Der "erste echte Drohnenkrieg", Europas Anteil und deutsche Aufrüstung

Seite 2: EUropas technologischer Beitrag

Insofern wäre die notwendige und vernünftige Schlussfolgerung aus dem Krieg im Kaukasus, die Bemühungen um eine Regulierung der Rüstung insbesondere auch mit autonomen Waffen zu verstärken.

Dabei aber treten Deutschland und die EU auf die Bremse - während sie gleichzeitig auf allen Ebenen die Anschaffung und v.a. Weiterentwicklung entsprechender Systeme forcieren. Hierbei arbeiten sie teilweise eng mit der israelischen und türkischen Rüstungsindustrie zusammen.

So zeigt sich rückwirkend, dass die Hersteller mehrere Systeme, die im Krieg um Bergkarabach zum Einsatz kamen, von deutschen Rüstungsexporten und v.a. auch zivilen Forschungsgeldern profitieren konnten. Das ist durchaus relevant. Denn auch wenn zunehmend kleinere Staaten und sogar nichtstaatliche Akteure über beträchtliche Drohnenarsenale verfügen, so findet deren Entwicklung und die der benötigten Komponenten und Technologien weiterhin v.a. in den USA, Israel und der EU statt.

Die Entwicklung vieler dieser Komponenten - von der Sensorik und Bilderkennung über die Kommunikationsnetzwerke und automatisierte Datenauswertung bis hin zu den Steuerungssystemen - wurde durch die Europäische Kommission im Rahmen ihrer (eigentlich zivilen) Forschungsrahmenprogramme 6 und 7 sowie Horizon2020 gefördert.

Die Förderung war dabei weitgehend auf Mitgliedsstaaten der EU beschränkt, mit zwei bemerkenswerten Ausnahmen: Israel und der Türkei. Der israelische Drohnenhersteller IAI (Israeli Aircraft Industries), der nicht nur die deutschen Heron-Drohnen produziert, sondern auch die von Aserbaidschan ausgiebig eingesetzten Kamikaze-Drohnen vom Typ Harop, profitierte umfangreich von den genannten Programmen und war auch in verschiedene Projekte mit unmittelbarem Drohnen-Bezug eingebunden (z.B. Aeroceptor, Airpass, Oparus).

Die Unterstützung der türkischen Rüstungsindustrie

Bei einem anderen Projekt, Talos, ging es um den Einsatz umbemannter Landroboter (unmanned ground vehicles, UGV) im Grenzschutz. Beteiligt waren daran neben IAI auch das türkische Rüstungsunternehmen Aselsan, auf dessen Homepage sich mit Sensorik und Gewehren bestückte UGVs bewundern lassen, die landläufigen Vorstellungen von "Killerrobotern" doch sehr nahe kommen.

Aselsan produziert auch ein System zur elektronischen Kampfführung, Koral, mit dem feindliche Radarstellungen aufgeklärt und gestört werden können. Außer durch die türkische Armee in Syrien und Libyen (wo diese durchaus andere Interessen verfolgt als die EU-Mitgliedsstaaten) kam dieses System offenbar im jüngsten Kaukasus-Krieg auch durch Aserbaidschan zum Einsatz, wo es entsprechend einer Analyse des Magazins European Security & Defence die Voraussetzungen für den Einsatz von Kampf- und Kamikazedrohnen schuf und für diese "das Schlachtfeld vorbereitete".

Aselsan war neben Talos noch an einem guten Dutzend weiteren EU-Forschungsprojekten beteiligt, in denen es v.a. um verbesserte Sensorik und Bilderkennung ging. Im September 2021 soll mit Fitdrive ein weiteres Projekt mit Beteiligung des türkischen Rüstungsunternehmens beginnen, das Daten aus mobilen Endgeräten mithilfe Künstlicher Intelligenz auswertet, um Abweichungen zu erkennen und Rückschlüsse auf die Fahrtüchtigkeit von Verkehrsteilnehmer*innen zu ermöglichen.

Dass die Unterstützung der türkischen Rüstungsindustrie auch nach deren Rolle im Krieg um Bergkarabach (mal ganz abgesehen von der türkischen Rolle in Syrien und Libyen sowie der Unterdrückung der Opposition und insb. von Frauen) durch die EU-Forschungspolitik noch anhält, beweist auch das Projekt Adacorsa.

Unter der Leitung des deutschen Tech-Unternehmens Infineon zielt es explizit auf die Unterstützung der "europäischen Drohnenindustrie", indem es "die öffentliche und regulatorische Akzeptanz" von unbemannten Luftfahrzeugen verbessern soll. Insgesamt sind daran vier türkische Unternehmen und Forschungseinrichtungen beteiligt.

Darunter befindet sich auch das Rüstungsunternehmen Turkish Aerospace Industries, das zahlreiche türkische (Kampf-)Drohnen entwickelt hat und auch Komponenten für zivile und militärische Flugzeuge und Helikopter aus westeuropäischer und sogar US-amerikanischer Produktion liefert.

Lust zur Aufrüstung

Zusammenfassend kann man feststellen, dass Deutschland und die Europäische Union deutlich weniger in die Regulation oder gar Eindämmung von unbemannten Systemen investieren als in deren Weiterentwicklung und Anwendung.

Zugleich wird der möglichen Verbreitung der beteiligten Technologien an Dritte offenbar wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hebt immerhin hervor: "die zunehmende Leistungssteigerung, die technologische Proliferation […] und vor allem die Verbilligung der Bauteile führt dazu, dass der Anwenderkreis für diese Waffengattung sich dramatisch ausgebreitet hat und weiter ausbreiten wird. Dadurch haben sich die möglichen Einsatzszenarien schon vervielfältigt und dieser Trend wird ungebrochen weitergehen".

Angesichts der deutschen Debatte nach dem "ersten echten Drohnenkrieg" könnte man fast meinen, das wäre Absicht. Sowohl mit Drohnen als auch mit Abwehrsystemen kann man Geld verdienen und angesichts des sich abzeichnenden Wettrüstens dauerhaft Steuermittel in die eigene Rüstungs- und Tech-Industrie umverteilen. Von Regulierung hingegen ist kaum die Rede. Unserer Sicherheit freilich dient das nicht und nicht einmal dem "Schutz deutscher Soldaten".

Wie absurd diese Rüstungs- und Technologiepolitik ist, deutet der Wissenschaftliche Dienst in einem kurzen Unterkapitel zur "Drohnenproliferation" an. Ein Spiegelstrich thematisiert "die zur Zeit expansionistische Außenpolitik der Türkei".

Die drei übrigen beschäftigen sich mit Iran, das gute Kontakte zur Türkei und Aserbaidschan unterhalte, "an einem Transfer der türkischen Technologie und der türkisch-aserbaidschanischen Anwendungserfahrungen äußerst interessiert sein beziehungsweise sich dies einiges kosten lassen" dürfte.