Der gefährliche Dauerkonflikt Kaschmir geht alle an
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In der Krise zwischen den Atommächten Indien und Pakistan geht es wie seit 71 Jahren vor allen um die Bergregion Kaschmir
Eigentlich schien alles wie erwartet auszugehen. Der indische Premierminister Narendra Modi hatte seinen "Militärschlag" im pakistanischen Balakot und konnte durch seine Armee behaupten lassen, 350 Kämpfer der Jaish-e-Mohammed (JeM) getötet zu haben.
Die JeM hatte sich zum Anschlag am 14. Februar im Bezirk Pulwama in Kaschmir bekannt, bei dem 45 indische Soldaten getötet wurden. Die pakistanische Armee konnte behaupten, dass die indischen Flugzeuge nur in den "Wald" geschossen haben. Doch dann gerieten die Ereignisse außer Kontrolle: Die Inder gaben an, eine pakistanische F-16 abgeschossen zu haben, die pakistanische Armee eine indische MiG-21 und sie nahmen dabei auch noch den Piloten gefangen.
Es schien klar, dass plötzlich beide Militärs das Geschehen in die Hände genommen hatten und sich gegenseitig hochschaukelten - so wie sie es seit Jahren tun und sich beinahe täglich an der Line of Control beschießen: Zu Schaden kommen dabei in der Regel Zivilisten beider Seiten.
Gespannte Ruhe
Aktuell herrscht gespannte Ruhe, doch auch weil die indische Presse weitaus kritischer sein darf als in der inoffiziellen Militärdiktatur Pakistan, steht Modi immens unter Druck: Da die pakistanische Armee den indischen Piloten wie einen Tanzbären herumführt, könnte Modi sich gezwungen fühlen, wegen der Parlaments-Wahlen im kommenden Mai/Juni militärisch nachzulegen.
Imran Khan hatte nach dem Anschlag in Pulwama eine Möglichkeit, die Krise zu entschärfen, hätte er alles darangesetzt, Masood Azhar auszuliefern - den Führer der JeM. 1999 wurde Azhar durch eine Flugzeug-Entführung aus indischer Haft frei gepresst und ist seitdem für etliche Anschläge in Indien verantwortlich.
Dass die pakistanische Armee Terrororganisationen wie die JeM unterstützt, gilt als gesichert - selbst der pakistanische Ex-General Musharraf macht daraus keinen Hehl.
Bei der jetzigen Krise der beiden Atommächte geht es natürlich wieder um Kaschmir wie seit 71 Jahren. Das ehemalige Fürstentum Kaschmir fiel nach der Teilung Indiens trotz muslimischer Bevölkerungsmehrheit Indien zu. Seit 1948 gibt es eine UN-Resolution, die besagt, dass die Menschen in Kaschmir mit einer Abstimmung selbst entscheiden sollen, wem sie sich anschließen. Indien hat in seinem Teil Kaschmirs diese Abstimmung verhindert.
Der Fall Kaschmir und Pakistans Umgang mit Minderheiten
Doch so klar ist der Fall Kaschmir nicht. Ein Blick nach Belutschistan zeigt, wie die pakistanische Armee mit Unabhängigkeits-Befürwortern umgeht. 1973-77 schlug sie dort einen Aufstand blutig nieder und unterdrückt die Bevölkerung bis heute. Dass die indische Armee seit einigen Jahren die Aufständischen unterstützt, als Vergeltung für Pakistans Unterstützung von Islamisten, ist stark anzunehmen.
Noch schlimmer ging die pakistanische Armee in Ost-Pakistan vor. Als sich die Menschen dort 1971 einem Aufstand gegen die Vorherschafft West-Pakistans zur Wehr setzten, massakrierte die pakistanische Armee bis zu drei Millionen Menschen, vorwiegend Studenten und Intellektuelle. Indien kam den Muslimen Ost-Pakistans zur Hilfe - Bangladesch wurde geboren.
Dass Imran Khan der einzige namhafte Politiker ist, der sich bisher für die Gräueltaten der pakistanischen Armee im damaligen Ost-Pakistan entschuldigte, zeigt, dass er ein Mann ist, mit dem man reden kann. Augenblicklich ist er jedoch in einem zu großen Spiel gefangen, dessen Regeln immer noch die pakistanische Armee bestimmt. So hätte Khan daheim politischen Selbstmord betrieben, hätte er den Terroristen Masood Azhar an Indien ausgeliefert.
Auch ein Blick auf die hinduistischen oder muslimischen Minderheiten in Pakistan offenbart, dass Pakistan das letzte Land auf der Erde ist, das das Recht hat, für die Menschen im indischen Teil Kaschmirs zu sprechen. Dort will die Mehrheit mittlerweile keinen Anschluss an Pakistan mehr, sondern die Unabhängigkeit. Doch diese kann Indien nicht zulassen.
Seit 1989 unterstützen die pakistanischen Militärs islamistische Fanatiker in Kaschmir - und die würden nach einer eventuellen Unabhängigkeit sofort das Heft übernehmen. Im Angesicht der Tatsache der buddhistischen-hinduistischen Mehrheiten in den Kaschmirgebieten wie Ladakh wäre dies unverantwortlich.
Geheimdienste, Militär - und die Bevölkerung
Dazu gibt es in Indien immerhin eine politische Linke, die sich für die Muslime im indisch verwalteten Teil von Kaschmir einsetzt und von der indischen Regierung eine regionale Selbstverwaltung für die Muslime Kaschmirs verlangt. Auch dass drei Flüsse Indiens in Kaschmir entspringen, macht ein unabhängiges Kaschmir derzeit unmöglich.
Es gibt jedoch eine stille Lösung und die liegt in Gilgit-Baltistan, im von Pakistan verwalteten Teil Kaschmirs:
Genauso unbeachtet und leise wie die Gilgit Scouts im Winter 1947 die Truppen des Fürsten Hari Singh besiegten und die Region, damals Northern Areas genannt, Pakistan übergaben, genauso still ist die Region Gilgit-Baltistan bis jetzt ein Teil des Kaschmirkonflikts. Die meisten der einfachen Pakistaner im Süden, die schon in ihrer Kindheit zu Verfechtern Kaschmirs erzogen werden, haben keinen Schimmer von der Existenz dieser Bergregion.
Trotz ethnischer Konflikte - weil die pakistanischen Verantwortlichen die Ansiedlung von Sunniten aus dem Süden forcierte - gab es dort nie große Anti-Pakistan-Bewegungen. Im Gegenteil, die Menschen hier wollen endlich, dass Pakistan ihre Region als Teil des Landes anerkennt. In dem Augenblick, in dem die pakistanische Regierung dies tun würde, würden sie die von Indien verwalteten Teile Kaschmirs als Teil Indiens anerkennen
Gilbert Kolonko, Die Lösung des Kaschmirkonflikts liegt in Gilgit-Baltistan
Doch weil mindestens 20 pakistanische Geheimdienste in Gilgit-Baltistan dafür sorgen, dass der Ärger in den eigenen vier Wänden bleibt, kann man die wahren Gefühle der Mehrheit nur in Gesprächen vor Ort erfahren: "Ich kann das Wort Kaschmir nicht mehr hören. Wir, ganz Pakistan, haben für deren Wunschträume zu bezahlen. Wir haben nichts gegen Indien, wir hören doch die gleiche Musik, lieben Kricket, Tee und das gleiche Essen. Wenn unsere Regierung endlich ein freundschaftliches Verhältnis zu Indien aufbaut, können unsere Kaschmiris doch jederzeit ihre 'Brüder' in Jammu Kaschmir besuchen. Die Inder können bei uns Urlaub machen und wir bei ihnen!", sagte ein 40-Jähriger in Gilgit zu mir - stellvertretend für viele andere, die ich auf etlichen Reisen in die Region gesprochen habe.
So liegt es aktuell bei Imran Khan, seine Militärs davon zu überzeugen, endgültig mit den islamistischen Militanten zu brechen, denn die werden mit weiteren Anschlägen in Indien und Pakistan versuchen, Öl ins Feuer zu gießen.
Doch China könnte Khan helfen, verdeckten Druck auf die pakistanische Armee auszuüben, schließlich hat Peking mit seinen Milliarden-Investitionen in Pakistan ein Interesse an Frieden in der Region und natürlich braucht es auch den 1,3-Milliarden-Markt Indien für seine Produkte.