Der gefiederte Sisyphus
Donald Duck wird 75
Am 9. Juni 1934 tauchte in dem Disney-Achtminüter The Wise Little Hen zum ersten Mal eine Ente namens Donald Duck auf. Nicht in der Hauptrolle zwar, und mit längerem Schnabel, anderem Körperbau und grauer Matrosenmütze, aber bereits mit zweien seiner charakteristischsten Begleiter: Dem Willen zur Arbeitsersparnis und dem Pech am Ende der Geschichte. Nach mehreren Nebenrollen in anderen Kurzfilmen bekam die Figur ihre eigene Reihe, in der ihr erst die weibliche Daisy und ein Jahr später die drei Neffen Huey, Dewey und Louie (Tick, Trick und Track) beigesellt wurden.
Groß wurde Donald Duck aber weniger über Filme als über Comics. Nicht durch die 1936 begonnenen Strips von Al Taliaferro und Bob Karp, sondern durch die seit 1942 von Carl Barks geschriebenen längeren Geschichten. Barks schaffte es, aus dem noch relativ eindimensionalen Choleriker einen auf höchst interessante Weise widersprüchlichen Charakter mit verschiedenen Persönlichkeitsfacetten und relativ großer Emotions- und Reflexionsbreite zu machen. Das gelang ihm unter anderem mittels Oppositionsarchetypen wie Gladstone Gander (Gustav Gans) und Scrooge McDuck (Onkel Dagobert), die Donald auf verschiedene Weisen als Negativspiegel dienen.
Es ist mittlerweile ein Gemeinplatz, dass Barks als Autor besser gewesen sei denn als Zeichner. Trotzdem konnte er mit wenig Aufwand vor allem die Mimik seiner Figuren so gestalten, dass auch differenziertere Gefühlskombinationen sichtbar werden und beispielsweise alleine die Darstellung eines Hintergedankens im Gesicht von Donald als Kunstwerk für sich steht.
Ein Grund, warum die Barks-Comics in Deutschland wesentlich wichtiger wurden als in den USA, lag in der Bearbeitung durch Erika Fuchs, für die Elfriede Jelinek den Büchnerpreis forderte, den bedeutendsten deutschen Literaturpreis. Barks-Übersetzerin wurde sie nur durch einen Zufall: Der Verlag stellte sie nach dem Krieg vor allem deshalb an, weil ihr Doktortitel die damals so sehr um Comics wie heute um Computerspiele besorgten Jugendschützer abschrecken sollte.1 Allerdings erwies sie sich bald als sehr viel mehr denn als bloße Übersetzerin.
Ihr wichtigstes Stilmittel war der Stabreim, wie ihn Donald beispielsweise in der Eignungsprüfung spricht: "Hinaus in Feld und Flur! Hinauf auf Gipfel und Grat! Durch Hag und Heide, durch Moor, Modder und Morast!" Allerdings beschränkte sich ihre sprachliche Schöpferkraft nicht auf die bloße Alliteration, sondern wurde durch einen gewissen Hang zum Absurden zu etwas Neuem und Eigenem - und zu dem, was ihre Übersetzungen häufig näher bei Ernst Jandl als bei den Merseburger Zaubersprüchen sein lässt:
Ich stehe hier, ein Herkules mit Fackeln! Sie sollen lodern, leuchten, knistern und auch knackeln!
Donald Duck in Der Feuerteufel
Wichtige Innovationen waren ihre Neologismen, die sich keineswegs nur auf Inflektive wie "Schluck!" und "Grübel!" beschränken (für die das Wort "Erikativ" Eingang in die deutsche Sprache fand): Auch in der Onomatopoesie war sie anderen Textern weit voraus - etwa durch das geradezu sozialrealistisch passende "Fnf!", das eine Entenhausener Hausfrau Donald in der Geschichte Ein poetisches Weihnachtsfest auf sein "Schönen guten Morgen, junge Frau! Sie sehen ja fabelhaft aus! Doch zur Sache! Ich bin Ihr Lieblingsvertreter in Weihnachtskarten" antwortet. Möglicherweise hat Erika Fuchs sogar den "großen Lauschangriff" erfunden, der in ihrer Übersetzung von Pawns of the Loup Garou auftaucht.
Auch durch zahllose Zitate und Anspielungen verlieh sie den Barks-Geschichten eine neue Dimension, welche diese für Kinder auch zu einer Art Rätsel machte, das es nach und nach zu entschlüsseln galt: "Aber es ist nichts zu fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen" heißt es etwa in der Geschichte Die flinken Schwimmer - und natürlich bei Friedrich Wilhelm Philipp Oertel.
Ein weiterer Grund, warum Donald Duck in Europa bedeutender wurde als in den USA waren die in Italien entstandenen Geschichten mit ihm als Helden, die ganz eigene Charakterzüge hervorkehrten. So wurde dort beispielweise seine Superhelden-Identität Phantomias entwickelt. In Deutschland erschienen diese Geschichten in den Lustigen Taschenbüchern.
In den allermeisten Ausprägungen aber hat Donald Duck eines gemein, das die Comics mit ihm nachgerade zu protoexistenzialistischen Klassikern werden ließ: Eine Vergeblichkeit in seinem Mühen, die Frank Schätzing dazu brachte, ihn als "gefiederten Sisyphus" zu bezeichnen und die Erika Fuchs in der Geschichte Vom Pech verfolgt noch besser auf den Punkt bringt, als sie ihn sagen lässt: "Vielleicht, wenn ich mich hier hinsetze und auf die Sumpfhühner starre, die im Sumpf rumsumpfen, vermeide ich allen Ärger."
Sehr oft hat dieses Scheitern mit ökonomischen Gegebenheiten zu tun. Donald Duck führt, so würde man heute sagen - eine "prekäre" Existenz, in der er sich als alleinerziehender Onkel in den verschiedensten Bereichen verdingt, ohne jemals auf einen grünen Zweig zu kommen. Der "Underduck" - und das macht ihn möglicherweise so attraktiv für das heutige Feuilleton - hatte bereits vor Jahrzehnten eine "moderne" Erwerbsbiographie mit ständig wechselnden Jobs in den verschiedensten Bereichen. So versuchte er sich unter anderem als Automechaniker, Baggerfahrer, Bahnhofsvorsteher, Bauer, Briefträger, Gepäckträger, Großwildjäger, Hausierer, Imker, Kapitän, Kunstkritiker, Leuchtturmwärter, Museumswärter, Pizzabäcker, Polizist, Schmied, Schulaufseher, Straßenkehrer, Tierfänger und in ungezählten anderen Tätigkeiten. Die französische Einseiter-Serie Les petits boulots de Donald (deutsch: Donald in 1001 Jobs und Donalds irre Jobs) beschäftigt sich sogar ausschließlich mit solchen immer neuen Tätigkeiten.
Oft verdient Donald bei seinen Unternehmungen auch gar nichts und wird mit bloßen Aussichten auf große Schätze abgespeist. Dabei scheitert er aber nicht an zu großem Altruismus. Nein - er verstünde es durchaus, auszubeuten - wie er etwa in der Geschichte vom goldenen Helm beweist, wo er unter dem Einfluss einer besonderen Kraft Pläne entwickelt, die an die Digital-Rights-Management-Geschäftsmodelle von vor ein paar Jahren erinnern: In der Erzählung nutzen ein Schurke und sein Anwalt internationales Recht, um sich als Erbe eines Wikingers, der Amerika entdeckt hat, den Kontinent mit allem drum und dran als Eigentum unter den Nagel zu reißen. Beweisstück dafür ist ein goldener Helm. Als Donald ihn schließlich in die Hände bekommt, überfällt auch ihn der Machtwahn und er will als Besitzer von Amerika Geld für die Luft verlangen: "Meine Untertanen werden Luftmesser auf der Brust tragen, und jeder Atemzug, den sie tun, wird ihnen berechnet" Der Anwalt meint darauf: "Eine ausgezeichnete Idee, Herr Duck. Ein Seufzer kostet einen Kreuzer und ein Gähnen deren zwo". Worauf hin Donald wiederum entgegnet: "Respekt. Sie kennen die Marktlage für Sauerstoff."
Beim Egmont Ehapa Verlag erscheint zum Jubiläum eine vierbändige Lustige-Taschenbücher-Box, die unter anderem deutsche Erstveröffentlichungen von Carlo Gentinas Knallhart getestet! und Flemming Andersens Flüssiges Gold enthält. Auch die aktuelle Nummer 390 der Lustigen Taschenbücher (Alles Gute, Donald) beschäftigt sich mit dem Geburtstag der Figur. Zusätzlich erscheint in der Reihe Comic Collection der Hardcover-Sonderband 75 Jahre Donald Duck Superstar.