Der genetisch optimierte Mensch - eine zutiefst konservative Idee?

Seite 2: Der ideale Körper in der Renaissance

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Auch für andere Konzepte des Transhumanismus findet Goodey christliche Vorläufer. Die Schöpfung eines idealen Körpers, von allem irdischen Makel befreit, war bereits in der Renaissance ein Kennzeichen der Auferstehung von den Toten - man siehe nur Michelangelos Darstellung des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle. Der weltliche Körper aus Fleisch und Blut traf hingegen schon in der Frühzeit des Christentums auf Misstrauen. Angestrebt wurde ein Zustand reiner Geistigkeit: Goodey sieht darin den Vorläufer der Idee, das menschliche Bewusstsein im Cyberspace zu verewigen.

Die letzte Herleitung ist sicherlich gewagt, gewinnt aber an Plausibilität, wenn man den Ursprung des Begriffes "transhuman" betrachtet. Dieser wird meist dem Eugeniker Julian Huxley zugeschrieben, der in den 1950er Jahren eine angemessene Beschreibung seiner Weltsicht suchte. Tatsächlich tauchte der Begriff aber erstmals im 14. Jahrhundert auf, in der Göttlichen Komödie von Dante Alighieri. Das Kunstwort "transhuman" umschrieb darin letztlich die Ekstase des Apostel Paulus, die - so spekulierte Dante - einem körperlosen Zustand gleichgekommen sein mag.

Liberale Eugenik als Ausdruck einer urmenschlichen Angst

Noch weiter in der Geschichte geht Goodey zurück, wenn er auf einen anderen Aspekt des Human Enhancement zu sprechen kommt. Die moderne, sich selbst liberal nennende Interpretation der Eugenik will Eltern die genetische Modifikation ihrer Kinder erlauben, wenn dies ohne staatlichen Zwang und zum Besten der Kinder erfolgt. Explizit geht es dabei auch um die Optimierung geistiger und intellektueller Fähigkeiten, wobei implizit mitschwingt, dass die Geburt von Kindern mit geistiger Behinderung unerwünscht ist.

Die Definition einer geistigen Behinderung ist jedoch fließend, und laut Goodey lehrt die Geschichte, dass Ausprägungen, die zu manchen Zeiten als Handicap galten, zwei Generationen später wieder als normal angesehen wurden. Hinter der liberalen Eugenik sieht er daher einen moralischen Absolutismus, der unerwünschte Zustände erst als Krankheit definiert, um sie dann möglichst vollständig aus der Welt zu verändern.

Die liberale Eugenik wäre damit ein Ausdruck urmenschlicher Ängste - vor dem Unbekannten und Andersartigen, das uns vielleicht bedrohlich werden kann. Was früher ansteckenden und tödlichen Krankheiten galt, wird heute auf die "Verunreinigung" unseres Erbguts übertragen. Befremdet stellt Goodey die rhetorische Frage: "Wie konnte sich eine Angst vor Verunreinigung, dogmatisch und mit zähen geschichtlichen Wurzeln, in der Öffentlichkeit als liberal, progressiv und säkular präsentieren?"

Politische Grundsatzentscheidungen

Natürlich ist dies in weiten Teilen als Provokation gedacht. Goodey gibt bereitwillig zu, dass das Thema Human Enhancement zu komplex ist, um es in so simple Schubladen wie konservativ, liberal oder progressiv einzuordnen. Dennoch ist die Wahl der Kategorien nicht ohne Bedeutung - sie kann großen Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse ausüben.

Damit spielt Goodey auf aktuelle Entwicklungen an: Politik und Gesetzgebung stehen vor wichtigen Grundsatzentscheidungen. Zentrale Elemente des Human Enhancement - die Manipulation des Erbguts und der Eingriff in die menschliche Keimbahn - haben in letzter Zeit für große Aufmerksamkeit gesorgt, der Ruf nach verbindlichen Regeln wird immer lauter. Angesichts der Komplexität des Sachverhalts ist jedoch zu befürchten, dass sich die Diskussion auf die simplen Kategorien progressiv versus konservativ reduziert.

Goodey provoziert ein Hinterfragen der eigenen Position: Wer das Human Enhancement (auch) deshalb begrüßt, weil er darin fortschrittliche und liberale Gedanken erkennt, sollte innehalten - im Spiegel der Geschichte zeigen sich deren konservative Wurzeln.