Der geschmierte Pleitegeier

Seite 2: Wirtschaftspolitik nach dem Prinzip des Verschiebebahnhofs

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Aber in den letzten Jahren hat die Verschuldung noch einmal eine ganz neue Dimension erreicht, seit nämlich die Politik des Bundes und der Länder sich darauf verlegt hat, den Städten und Gemeinden systematisch neue Aufgaben aufs Auge zu drücken, ohne auch dafür zu sorgen, dass diese Aufgaben finanziert werden können.

Nach dieser Methode haben Bund und Länder die eigenen Lasten bequem weitergewälzt. Nachdem die Politik der gewählten Repräsentanten die Finanzen der Länder und des Bundes erfolgreich zerrüttet hat, hat sie in den Kommunen ein neues Opfer ihrer Verantwortungslosigkeit gefunden.

So sind den Städten und Gemeinden gewaltige neue Aufgaben auferlegt worden, mit denen sich der Bundeshaushalt aus der eigenen Schuldenkrise zu schummeln versucht. Die belasten nun den Bundeshaushalt nicht mehr.

Aber die Städte und Gemeinden müssen diese neuen Aufgaben leisten, bekommen dafür aber kaum zusätzliche Mittel. Wie sie das bewerkstelligen sollen, ist völlig schleierhaft. Den verantwortlichen Politikern geht das schlichtweg am Rücken vorbei. Tatsächlich hat vor allem der Bund den Gemeinden gigantische finanzielle Bürden aufgehalst und lässt sie bei der Bewältigung der zusätzlichen Lasten allein im Regen stehen.

So hat beispielsweise das Wachstumsbeschleunigungsgesetz von Dezember 2009 den Eigentümern von Hotels zusätzliche Einnahmen von über einer Milliarde Euro beschert. Aber die Städte und Gemeinden verlieren dadurch pro Jahr 1,6 Milliarden Euro. Durch die Wirtschafts- und Finanzkrise flossen allein 2009 sieben Milliarden Euro weniger in die Gemeindekassen, während zugleich die Sozialkosten für die Unterbringung von Langzeitarbeitslosen dramatisch stiegen.

Da kann eine Stadtverwaltung noch so sparen, wenn die Bundespolitik dann ein neues Gesetz beschließt oder sich die konjunkturelle Lage ändert, dann gehen alle Einsparungen wieder flöten. Städte und Gemeinden haben keine vollständige Autonomie über ihre Finanzen. Bundes- und Landesgesetze können ihnen jederzeit einen Strich durch ihre Rechnungen machen.

So versuchte beispielweise 2010 die Stadt Ludwigshafen, durch Erhöhung der Grundsteuer und die Schließung eines Schwimmbads ihr dreistelliges Millionendefizit wenigstens um einen kleinen einstelligen Millionenbetrag zu vermindern.

Doch dann kam das Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Die daraus folgenden Steuersenkungen und einige andere Regelungen der Bundesregierung, etwa zur Gewerbesteuerumlage, belasteten den städtischen Haushalt mit zusätzlichen 15 Millionen Euro. Die Bundesregierung vereitelte so das Sparprogramm einer Stadt, ohne dass die Stadt sich dagegen wehren konnte.

Die Bundespolitik rühmt sich auch dafür, dass sie seit 2013 Eltern einen gesetzlichen Rechtsanspruch ihrer dreijährigen Kinder auf einen Platz in einer Kindertagesstätte garantiert. Was für eine großartige Sozialtat. Bauen müssen aber die Städte und Gemeinden die neuen Kitas. Doch zusätzliches Geld kriegen die nicht. Da haben sich die fabelhaften Bundespolitiker rasch aus dem Staub gemacht…

Bundesgesetze sorgen auch dafür, dass große Konzerne immer weniger Gewerbesteuer zahlen müssen. Aber die Landeszuweisungen reichen nicht für die Aufgaben, die den Kommunen zum Beispiel im Zusammenhang mit Hartz IV übertragen wurden.

Betreuung von Kindern, Jugendhilfe, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie die Eingliederungshilfe für Behinderte - die Ausgaben summieren sich inzwischen auf mehr als 40 Milliarden Euro. Die über die Jahre gestiegenen Soziallasten machen bei den Kommunen heute 50 Prozent der Ausgaben aus, unter anderem Leistungen für Unterkunft und Heizung für Hartz-IV-Empfänger, Eingliederungshilfe, Grundsicherung.

Die Städte und Gemeinden fühlen sich dadurch ungerecht behandelt. Sie beharren auf dem Konnexivitätsprinzip. Das klingt etwas komplizierter, als es ist. Es ist so eine Art Anwendung des Verursacherprinzips auf die Politik.

Bund und Länder können Gesetze erlassen, mit denen sie die Kommunen verpflichten, bestimmte öffentliche Aufgaben zu erfüllen. Allerdings müssten sie ihnen auch das Geld zur Verfügung stellen, das dafür gebraucht wird. Sonst kann das nicht funktionieren.

Doch genau das tun Bund und Länder nicht. Sie übertragen den Kommunen gezielt Aufgaben, ohne ihnen dafür auch die erforderlichen Mittel bereit zu stellen. Der Grundsatz lautet also: Wer bestellt, muss auch zahlen. Wer ein Gesetz erlässt, trägt die dadurch entstehenden Kosten.

Konnexität zwischen Aufgaben und Ausgaben nach dem Grundsatz der Gesetzeskausalität würde dementsprechend bedeuten, dass der Gesetzgeber die Kosten der durch seine Gesetzgebung beschlossenen Aufgaben auch selbst zu tragen hat.

Das ist sehr vernünftig und auch für jedermann nachvollziehbar. Schließlich kann ja auch keine Stadt beschließen, dass ihre eigenen Ausgaben fortan aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden. Aber der Bund kann umgekehrt beschließen, dass bisherige Bundesausgaben aus den Stadtsäckeln bezahlt werden müssen.

Die Debatte über das Konnexivitätsprinzip wird erbittert geführt. Der Deutsche Städtetag wehrt sich vehement dagegen, dass den Städten und Gemeinden laufend neue Kosten aufgehalst werden. Die Debatte ist - wie so viele öffentliche Debatten in den demokratischen Systemen - relativ müßig; denn der Effekt, Belastungen von der Landes- und der Bundesebene auf die kommunale Ebene abzuwälzen, ist ja durchaus nicht unbeabsichtigt.

So wird in demokratischen Systemen Politik gemacht: Schuldenberge werden aufgetürmt und verschoben - egal wohin, Hauptsache weg und Hauptsache, man findet noch einen, bei dem man das machen kann. Noch beliebter als zu den Kommunen ist die Verschiebung von Lasten zu den Steuerzahlern. Die zahlen inzwischen ja sogar die Stromrechnungen der viel Energie verbrauchenden Konzerne…

Dass Bundes- und Länderpolitik die Kommunen belasten, bedeutet ja nun allerdings nicht, dass die Stadt- und Gemeindepolitiker Gründe hätten, ihre Hände in Unschuld zu waschen. Denn die hohe Kunst der Misswirtschaft und Verschwendung von Steuergeldern beherrschen die Provinzpolitiker mindestens ebenso gut wie ihre Kollegen in den Bundesländern und im Bund.