Der geschmierte Pleitegeier
Seite 3: Amigos beherrschen das lokale Baugeschäft
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- Wirtschaftspolitik nach dem Prinzip des Verschiebebahnhofs
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Die Vielzahl der kommunalpolitischen Narreteien und Anwandlungen von Großmannssucht füllt jedes Jahr große Teile des "Schwarzbuchs", das der Bund der Steuerzahler herausgibt. Die Kommunalpolitiker sind sich ebenso wie alle anderen politischen Repräsentanten nicht ihrer Verantwortung bewusst. Auch ihr vorrangiges Ziel ist es, wiedergewählt zu werden. Und in den Stadt- und Gemeinderäten sitzen hauptsächlich Leute, die eher noch weniger von wirtschaftlichen Zusammenhängen verstehen.
Die Städte und Gemeinden haben einen gehörigen Anteil an ihrer eigenen Misere. Misswirtschaft gehört bei allen Bauprojekten zum Alltag. Die schleichende Balkanisierung Deutschlands hat inzwischen dazu geführt, dass ganze Städte fest in der Hand der örtlichen Bau-Mafia sind.
Auch dies ist ein sehr langwieriger Prozess, der sich bis hin zur Spätphase der repräsentativen Demokratie ständig verstärkt hat. Im Laufe vieler Jahrzehnte haben sich zwischen den lokalen Klüngeln und Seilschaften auf der einen und den von der Vergabe öffentlicher Aufträge lebenden Firmen Amigo-Beziehungen etabliert, die im doppelten Sinn des Worts wie "geschmiert" funktionieren.
So ist es zur absoluten Regel geworden, dass Bauunternehmen bei örtlichen Bauvorhaben und die Mitarbeiter in der Kommunalverwaltung einander die Hände reichen und sich regelrecht gegen die Interessen der Steuerzahler und Bürger zusammenrotten.
Bei öffentlichen Ausschreibungen hat der Betrug Methode. Da legen Anbieter bei öffentlichen Ausschreibungen Angebote im Niedrigstbereich vor, von denen jeder der Beteiligten von Anfang an weiß, dass sie nie gehalten werden können.
Da in der Praxis meist nur der zum Zuge kommt, der das billigste Angebot abgibt - und nicht das günstigste oder gar das wirtschaftlichste -, ist der Betrieb, der vernünftig und qualitätsorientiert kalkuliert, zwangsläufig im Nachteil.
Es gibt Ausschreibungen, in denen der Abstand vom teuersten zum billigsten Angebot bis zu 50 Prozent beträgt. Vom Mittelfeld zum billigsten sind es immer noch 20 bis 30 Prozent. Solche Unterschiede sind wirtschaftlich nicht zu begründen. Dadurch sind auch die Baupreise abgeglitten, und die Qualität ist den Bach ‘runtergegangen.
Dabei muss sich die öffentliche Hand bei der Vergabe eines Bauauftrags nicht zwangsläufig für den billigsten Anbieter entscheiden. Vielmehr soll sie das "wirtschaftlichste" Angebot wählen. So wenigstens steht es in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), dem Werk, das die Regeln für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge formuliert.
Das wirtschaftlichste Angebot ist aber in Wahrheit auch das billigste Angebot; denn rechnet man eventuelle spätere Schäden ein, werden alle anderen Angebote viel teurer.
Solange das System der öffentlichen Ausschreibungen nicht so umgestellt wird, dass derjenige den Auftrag erhält, der vernünftig kalkuliert, ist mit einer Besserung nicht zu rechnen. Wenn dann der Zuschlag erteilt ist, wird überhaupt erst richtig gerechnet, und dann schnellen die tatsächlichen Preise aufs Doppelte, Dreifache, Fünffache und auch schon mal das Zehnfache in die Höhe.
Um bei Bauprojekten an Aufträge zu kommen, wird häufig geschmiert und anschließend gepfuscht. Betrügereien, illegale Preisabsprachen und Bestechung bei Bauvorhaben kosten die öffentliche Hand mindestens zehn Milliarden Euro im Jahr, schätzen Branchenbeobachter.
So nimmt es auch nicht wunder, dass die Medien alle paar Wochen ausgiebig über lokale Bau- und Betrugsskandale berichten. Die öffentliche Debatte erhitzt sich zurzeit stets an der Handvoll Milliardengräber wie BER, Elbphilharmonie und Stuttgart 21, bei denen das Totalversagen der öffentlichen Auftraggeber offensichtlich ist. Doch die Konzentration auf diese drei Beispiele pompösen Versagens lenkt davon ab, dass grundsätzlich bei allen Doch die Konzentration auf diese drei Beispiele pompösen Versagens lenkt davon ab, dass grundsätzlich bei allen öffentlichen Aufträgen Milliardensummen verschleudert werden. Und was hat es da in letzter Zeit nicht alles an Skandalen gegeben?
► Am Anfang waren sich alle politischen Parteien in Hamburg einig: Die Elbphilharmonie sollte ein Prachtstück und ein Touristenmagnet werden. Doch dann explodierten die Kosten. Inzwischen ist das Prestigeprojekt zum Lieblingsthema der Kabarettisten und Komiker geworden. Wann wird es fertig? Wer kann das schon wissen? Was wird es die Steuerzahler am Ende kosten? Wer soll das ahnen?
Ursprünglich war für die Stadt ein Kostenanteil von 77 Millionen Euro veranschlagt worden. Auch der Eröffnungstermin wurde seit der Grundsteinlegung im April 2007 stets verschoben. Die Kosten für die "Gläserne Welle" auf einem alten Kaispeicher stiegen auf mittlerweile 789 Millionen Euro. Mehr als das Zehnfache. Die Eröffnung wurde mehrmals von 2010 auf 2017 verschoben. Aber da ist das letzte Wort bestimmt noch nicht gesprochen.
► Der Bau der LTU-Arena in Düsseldorf mit 51.484 Sitzplätzen verschlang 218 Millionen Euro. Im Vergleich kostete das Mönchengladbacher Stadion im Borussia-Park, das etwa gleichzeitig - 2004 - entstand und mit rund 54.000 Plätzen sogar größer ist, kaum 90 Millionen Euro. Der Bau kostet den Düsseldorfer Steuerzahler pro Jahr zwischen 8,5 und 12 Millionen Euro.
► Völlig unberührt von den eigenen Sparappellen und der objektiv bestehenden Notwendigkeit zu maßvollem Haushaltsgebaren versenken die Lokalpolitiker derzeit immense Summen in protzige Fußballstadien für Vereine der Dritten und der Vierten Liga - Vereine, deren Anhängerschaft auf einen harten Kern von wenigen lokalen Fans zusammengeschmolzen ist.
Ein geradezu morbider Baurausch hat einige Städte und ihre Fußballvereine übermannt. Sie klotzen - besonders vor Wahlen - auf Kosten der Steuerzahler überdimensionierte Fußballpaläste in die Landschaft, die niemand braucht und niemandem nützen; schon beim Bau verschlingen die Protzpaläste zwar schon stattliche Millionenbeträge und in Zukunft kommen noch laufende Kosten von mehreren Millionen für unausgelastete Stadien hinzu. Fehlinvestitionen sind ein teurer Luxus.
So plant die Pleitestadt Essen für 43 Millionen Euro ein neues Stadion mit über 20.000 Plätzen, obwohl der Verein Rot-Weiß Essen gerade erst in die 4. Liga abgestiegen ist, die Stadt Essen mit einer Verschuldung von über 3,1 Milliarden Euro zu den am höchsten verschuldeten Kommunen Deutschlands zählt und überhaupt nur mit 100 Millionen Euro an Hilfsgeldern des Landes Nordrhein-Westfalen künstlich am Leben gehalten wird.
In einer dritten Baustufe soll das Stadion auf 35.000 Zuschauerplätze aufgestockt werden. Dabei können Vereine der 4. Liga schon froh sein, wenn sie ab und zu einmal um 5.000 Besucher in ihre Stadien bringen.
Ähnlich verschwenderisch geht die Stadt Saarbrücken mit Steuergeldern um und baut zu Anfangskosten von 28 Millionen Euro ein neues Fußballstadion mit 22.000 Plätzen, obwohl sie mit über 1 Milliarde Euro verschuldet ist. Allerdings ging es bei der Planung gerade darum, eine Wahl zu gewinnen, und da ist nun einmal jedes Mittel recht. Dabei ist der 1. FC Saarbrücken erst 2011 in die 3. Liga abgestiegen und dürfte mit seiner müden Kickerei kaum ein Drittel der Zuschauerplätze gefüllt bekommen.
Die Stadt Chemnitz beschloss 2011 den Bau eines neuen Fußballstadions mit 15.000 Plätzen für 23 Millionen Euro, obwohl der Chemnitzer FC seit Jahren in der 3. Liga spielt. Wer die kommunale Praxis kennt, weiß, dass die zu Beginn von Projekten angesetzten Kostenschätzungen oft um ein Vielfaches übertroffen werden.
Der kommunale Großmannsprotz feiert ungeachtet aller Finanzkrisen weiterhin fröhliche Urständ‘. Es ist einfach viel zu schön für wackere Kommunalpolitiker, sich im Wahlkampf mit Schutzhelm und Spaten als großartige Macher und Männer der Tat abgebildet in den lokalen Medien abgebildet zu sehen. Das sind Siegerposen, die etwas hermachen. Was kümmert einen da kleinkarierte Pfennigfuchserei wegen der läppischen paar Millionen?
► Der über viele Jahre verschleppte Schürmann-Bau in Bonn, ein Bürogebäude, gilt mit Baukosten von etwa 700 Millionen Euro als eines der teuersten Gebäude der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es beherbergt heute die Zentrale der Deutschen Welle, nachdem es ursprünglich als Abgeordnetenbüro geplant war und 1993 durch ein Rheinhochwasser schwer beschädigt wurde.
► Pfusch am Bau führte im März 2009 zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Schaden mehr als 700 Millionen Euro.1
Zwei Menschen starben. Beim Bau der Kölner U-Bahn waren in einer Außenwand, die den U-Bahntunnel sichern sollte, zu wenig Eisenbügel eingeflochten worden. Die nicht verwendeten Eisenbügel waren an einen Schrotthändler verkauft worden.
► Bei den Arbeiten für das U-Bahn-Projekt Wehrhahnlinie in Düsseldorf wurden 2010 Vermessungsprotokolle für Stütz- und Schutzwände nicht ordnungsgemäß erstellt. Außerdem waren, wie üblich, die Kosten davongerannt. Statt der budgetierten 650 Millionen kostet die Wehrhahnlinie mindestens 750 Millionen Euro.
► Beim Bau des Saarland-Museums in Saarbrücken explodierten die Kosten trotz großer Baumängel. 2009 ging man in Saarbrücken an den Bau des vierten Pavillons der Modernen Galerie. Die Kosten waren ursprünglich auf 9 Millionen Euro geplant. Nach kurzer Zeit stiegen sie auf 30 Millionen, obwohl der Bau noch nicht fertig war. Längst sind Dokumente aufgetaucht, die nachlegen, dass die Kosten anfangs gezielt kleingerechnet wurden. Danach wurden Kosten "auf Wunsch nicht berücksichtigt".
► Ein dubioser Investor aus Korea wollte in Bonn ein großzügiges Kongresszentrum bauen. Doch das World Congress Center wurde bis 2010 nur ein Rohbau. Der Investor flüchtete, und die Kommunalpolitiker hatten sich über den Tisch ziehen lassen und wohl auch mit dem Investor kollaboriert.
► Einen ganz normalen Disput um explodierende Kosten gab es 2011 bei der Restaurierung des Technischen Rathauses in Greifswald. Ursprüngliche Umbaukosten von rund 6 Millionen Euro stiegen 2007 auf 8,5 Millionen und dann 2010 auf 13,5 Millionen Euro.
► Dies ist der ganz normale kommunale Bau-Alltag: In Konstanz am Bodensee wurde ein alter Radfahrer- und Fußgängerübergang über die Bahngleise abgerissen und 2009 neu gebaut. Aus bescheidenen Planungskosten von 1,2 Millionen Euro wurden am Ende 4,1 Millionen.
Es ist völlig unproblematisch, noch hunderte, ja tausende von weiteren Beispielen anzuführen. Man braucht auch erst gar nicht auf Milliardengräber wie den Hauptstadtflughafen BER in Berlin-Schönefeld oder Stuttgart 21 zurückzugreifen; denn im Prinzip wiederholt sich stets dasselbe abenteuerliche Schauspiel: Die örtliche Bau-Mafia trickst bei der Vergabe kommunaler Aufträge und findet entweder willige Helfer in den kommunalen Behörden oder aber, die Kommunalpolitiker und ihre Behörden lassen sich gnadenlos über den Tisch ziehen.
So oder so sind die Steuerzahler die Betrogenen - und da ist es relativ gleichgültig, ob sie den Betrug der Unfähigkeit oder der Korruptheit der Lokalpolitiker zu verdanken haben.
Wenn ein Anbieter einen Kostenvoranschlag vorlegt und sich anschließend nicht daran hält, kann man ihn verklagen. Jeder Privatmann kann sich mit sehr guter Aussicht auf Erfolg vor Gericht dagegen zur Wehr setzen.
Kein Anbieter darf einen Kostenvoranschlag um mehr als zwanzig Prozent überschreiten. Doch bei Städten und Gemeinden gilt dieser Grundsatz offensichtlich nicht. Die lassen das betrügerische Spiel, fast ohne zu murren, mit sich treiben. Warum?
Die Antwort fällt leicht: Das Niedrigangebot am Anfang, bei dem alsbald das gnadenlos überteuerte dicke Ende nachkommt, ist Teil des politischen Spiels, das lokale Wirtschaft und lokale Politiker auf Kosten der Bürger treiben. Da herrscht ein klammheimliches Einverständnis zwischen Kommunalpolitikern und örtlicher Wirtschaft.
Es ist eine insgeheime Amigo-Kumpanei aus gemeinsamem Interesse: Die Kommunalpolitiker wollen ihre Großprojekte durchboxen, und die kommunale Wirtschaft will satte Gewinne machen.
Das Kalkül der Politiker ist ebenso klar wie durchtrieben: Es sähe ja ganz schlecht aus, wenn sie für große Bauprojekte von Anfang an realistische Preise ansetzen müssten. Man kann der eigenen Bevölkerung doch unmöglich reinen Wein einschenken. Dann würden die schönen Großprotzprojekte gleich abgelehnt und fänden in der Öffentlichkeit keine Befürworter. Es ist halt am besten, man fängt erst einmal ganz bescheiden an und gaukelt den Leuten vor, dass sie da ein Schnäppchen bezahlen dürfen. Kostet ja kaum ‘was.
Also bieten die örtlichen Baufirmen von vornherein weltfremde Niedrigstpreise. Es ist auch den Kommunalpolitikern von vornherein klar, dass diese Preise nicht zu halten sind. Macht aber nichts; denn die Preise sollen ja auch gar nicht gehalten werden.
So werden die Aufträge durch den Stadt- oder Gemeinderat durchgeboxt und finden wegen der moderaten Preise auch in der breiten Öffentlichkeit Akzeptanz. Und wenn man das Projekt dann erst einmal in der Realisierung hat, kann man ja immer noch die richtigen Preise ansetzen und die später öfter noch ein paar Mal anheben.
Begründungen kann man ja nach Bedarf nachliefern: Die Preise sind gestiegen. Die Rohstoffe werden immer teurer. Es hat sich zusätzlicher Bedarf ergeben. Es wurde erhebliche Mehrarbeit erforderlich. Und überhaupt und sowieso…
Der kreativen Phantasie beim Erfinden von Ausreden sind da keine Grenzen gesetzt. In der Umsetzungsphase ist ein Ausstieg aus einem laufenden Bauprojekt in aller Regel sehr viel teurer als vorher und für die Stadt oder Gemeinde kaum noch möglich. Also kriegt man das sicher durchgeboxt. Darauf kann man sich verlassen.