Der gläserne Grieche

Seite 2: Gov.gr und die amtlichen Dokumente

Zeitgleich mit Beginn der Beschränkungen der Pandemie ging in Griechenland ein neuer Service des Staats an den Start. Über die Plattform gov.gr können Geburtsurkunden, Bescheinigungen über den Familienstand, Sterbeurkunden, Nachweise der Erbfolge, kurz, nahezu alle amtliche Bestätigungen abgerufen, oder beantragt werden. Der Clou ist, dass eine einmal über das System beantragte Urkunde, zum Beispiel die oft benötigte Geburtsurkunde, immer wieder mit aktualisiertem Datum abgerufen werden kann.

Neunzehn Ministerien, neunundsechzig Organisationen und acht unabhängige Behörden sind über gov.gr mit dem Bürger vernetzt. Die früher üblichen Gänge von einem Büro ins nächste und von dort zu einer anderen Behörde gehören der Vergangenheit an.

Statt eines physischen Stempels und einer handschriftlichen Unterschrift enthalten die Dokumente, die sich nun jeder zuhause selbst ausdrucken kann, eine einzigartige Kennnummer als Legitimationsnachweis. Eben diese Kennnummer ist auch die Schwachstelle des Systems. Jede Behörde, jeder Amtsträger, aber auch jeder Bürger kann mit dieser Kennnummer online überprüfen, ob das vorgelegte Dokument auch wirklich amtlich korrekt ist.

Die Vereinigung der Informatiker Griechenlands deckte auf, dass die Eingabe einer vorliegenden oder erratenen Kennnummer missbraucht werden kann, um sensible persönliche Daten der Antragsteller online zu erfahren. Dabei gibt es keinerlei weitere Zugangsbeschränkungen, welche eine Datenabfrage unterbinden.

Bei einer Diskussion im Parlament am Freitag, betonte die Regierung, dass dies für sie kein Datenschutzproblem darstellen würde.

Wählerverzeichnisse verraten Geburtsdaten

Es nicht die einzige Schwachstelle des staatlichen Systems. Bereits seit Jahren können die Geburtsdaten von in Griechenland registrierten Wählern mit einem einfachen Trial-and-Error-Verfahren von jedem ermittelt werden. Das Innenministerium stellt seit Jahren einen Service zur Verfügung, bei dem Wahlberechtigte erfahren können, wo sie wählen.

Für griechische Staatsbürger ist die Kenntnis des Namens, Vornamens und der ersten beiden Buchtstaben des Namens des Vaters erforderlich. Bei in Griechenland als Wähler registrierten ausländischen EU-Bürgern, zum Beispiel für Kommunal-, Regional- und Europawahlen, reichen allein der Name und Vorname. Zum Zugang zur Information des Wahllokals ist dann noch das Geburtsjahr notwendig. Weil das System sich aber bei mehrfacher Falscheingabe dieses Jahrs nicht sperrt, und weil es keinerlei Vorkehrungen zur Zugangskontrolle gibt, kann das Jahr beliebig oft eingegeben werden. Schlecht für Filmstars oder andere Prominente, die mit 53 immer noch behaupten, dass sie gerade erst 42 seien.

Nach dem gleichen System, aber mit noch detaillierteren Informationen liefert ein Antrag auf Wahl von einem Ort als dem registrierten Wahllokal. Weil es in Griechenland keine Meldepflicht gibt, können zum Beispiel in Thessaloniki geborene und aufgewachsene Wähler dort zeitlebens den Bürgermeister wählen, obwohl sie seit ihrem Studienende in Athen leben und arbeiten. Als weitere Vereinfachung hat der Staat diesen Menschen den Status des Eterodimotis geboten. Das heißt, wenn sich Wahlberechtigte aus obigem Beispiel nicht nach Thessaloniki ins Wahllokal bewegen wollen, sondern lieber am realen Wohnort den Bürgermeister oder Abgeordneten ihrer Heimatstadt wählen wollen, dann können sie dies mit einem einfachen Antrag tun.

Hier reichen der Vorname, die ersten beiden Buchstaben des Vornamens und die ersten beiden Buchstaben des Namens des Vaters um mit Erraten des Geburtsjahrs problemlos den konkreten Geburtstag zu ermitteln. Die Namenshürde für den Namen des Vaters ist kein ernstes Hindernis in einem Land, in dem gefühlt die Hälfte Kostas, Giorgos oder Ioannis heißt. Dass es in Griechenland Tradition ist, den Erstgeborenen die Namen der eigenen Eltern zu verpassen, macht die Sache noch einfacher.

Arbeitnehmerdaten zentral erfassen - Totalüberwachung

Nun steht die nächste Digitalisierungswelle an. Das Arbeitsministerium hat einen neuen Entwurf für das Arbeitsgesetz im Parlament eingereicht. Darin geht es unter anderem um die Aufhebung des Acht-Stunden-Tages. Künftig gibt es für Griechen faktisch keine Überstunden mehr. Die Arbeitgeber können ihre Angestellten so lange einsetzen, wie sie sie brauchen. Zwar wird pro forma im Gesetzesentwurf betont, dass dies in Absprache mit dem Arbeitnehmer zu geschehen habe, aber in der Praxis sind die Rollen klar verteilt.

Welcher Arbeitnehmer in Griechenland traut sich, dem Boss zu widersprechen, wenn die Arbeitslosigkeit auf konstant hohem zweistelligem Niveau ist und wenn, wie aktuell wegen der Pandemie, eine Erhöhung der Massenarbeitslosigkeit droht? Es klingt zynisch, dass Premierminister Kyriakos Mitsotakis seine "Reform" feiert. Mitsotakis erklärte, dass nun auch die Sieben-Tage-Woche für jeden Arbeitnehmer möglich sei - natürlich nur nach vorheriger Absprache.

Im neuen Gesetz sind für die Mehrarbeit keine Überstundengelder oder Feiertagszuschläge vorgesehen. Die geleistete Mehrarbeit soll, wenn es dem Arbeitgeber hinsichtlich der Auftragslage möglich ist, in Form von freien Tagen abgefeiert werden. Nun sind die tatsächlichen Arbeitszeiten nicht nur für Arbeitnehmer und Arbeitgeber interessant. Sie sind für den Staat wichtig, wenn es um Abgaben und Steuern geht.

Damit der Staat die Arbeitswelt kontrollieren kann, soll sie nun online erfasst werden. Statt einer haptisch erfassbaren Karte und einer Stechuhr wird es nun über die Mobiltelefone oder ähnliche Geräte kontrolliert. Mit einer GPS-Erfassung der Standortdaten der Arbeitnehmer, soll die Anwesenheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz, samt deren Bewegungsprofil registriert werden. Die Daten landen auf dem zentralen staatlichen Server. Dort sollen der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Staat Zugriff darauf haben.

Ziel ist es laut Arbeitsminister Kostis Chatzidakis, dass der Staat jederzeit wissen soll, wo sich jede im Land beschäftigte Person aufhält. In einem weiteren Schritt wird der Staat dann, die Überwachung der Arbeitsgesetze an private Unternehmen outsourcen. Was kann da hinsichtlich des Datenschutzes schon schiefgehen?

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