"Der große Lockdown war niemals alternativlos"
Seite 2: Was will Bill Gates?
Bleiben wir noch einen Moment bei der Vorgeschichte, aber wechseln von den Sicherheits- und Gesundheitsbehörden zu den großen Stiftungen. Die Bill and Melinda Gates-Foundation (BMGF) und einige andere, kleinere Stiftungen beeinflussen mit ihren Spenden die globale Gesundheitspolitik, direkt über die WHO oder über die sogenannten Multiakteurspartnerschaften wie Gavi (Global Alliance for Vaccines and Immunisation) oder Cepi (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations). Sie setzten dabei vor allem auf Impfungen. Warum?
Karl Heinz Roth: So lassen sich schnell vorzeigbare Erfolge erreichen, zum Beispiel um die Säuglings- und Kindersterblichkeit zu senken. Natürlich sind manche Impfkampagnen dringend erforderlich, aber der einseitige Fokus auf Immunisierung ist auch problematisch.
Ohne eine entsprechend ausgebaute medizinische Basisversorgung entstehen nämlich nur Strohfeuer, keine nachhaltigen Verbesserungen. Chronisch Kranke in den Schwellenländern und die Armutsbevölkerungen in den Metropolen haben immer weniger Zugang zu einer regulären Versorgung.
Wie schlecht es um das Gesundheitswesen steht, wurde klar, als wegen Covid-19 die Versorgung im Globalen Süden zurückgefahren wurde. Sofort stiegen die Todeszahlen durch Tuberkulose, Malaria und AIDS wieder an.
Die internationalen Stiftungen spielen mittlerweile eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung der alten und der neuen Infektionskrankheiten. Wie ist dieses Engagement zu bewerten, was steckt dahinter?
Karl Heinz Roth: Um die Rolle der Stiftungen zu verstehen, müssen wir etwas weiter in der Geschichte zurückgehen. Mit der Schuldenkrise der Entwicklungs- und Schwellenländer in den 1980er-Jahren begann ein Prozess, in dem das öffentliche Gesundheitswesen schrittweise demontiert wurde, zunächst im Globalen Süden, dann auch die Zentren des heutigen Kapitalismus.
Die Ansätze für eine medizinische Basisversorgung, die mühsam in den 1950er- und 1960er-Jahren aufgebaut worden waren, wurden wieder zurückgefahren.
Aufgrund ihrer Überschuldung mussten viele Länder ihre Beiträge für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stunden lassen. Dadurch sank auch ihr politisches Gewicht im Verhältnis zu den Nationen der Transatlantikregion. 1993 wurden dann die verpflichtenden Beiträge der WHO-Mitgliedsländer eingefroren. Die Strukturen des Weltgesundheitssystems begannen zu verfallen.
Die internationalen Großstiftungen haben diese Situation nicht geschaffen, aber sie haben sie genutzt: Mit ihren Kooperationen haben sie ihren Einfluss ausgebaut und auf die globale Gesundheitspolitik auf Impfkampagnen ausgerichtet. Die Stiftungen waren nicht die Ursache für die Deregulierung im Gesundheitswesen, sie haben die Situation lediglich genutzt.
Die Übungen für eine kommende Pandemie und die Warnungen werden heute in der Impfgegner-Szene als Beleg für eine "Plandemie" gedeutet. Wie sehen Sie das?
Karl Heinz Roth: Wir kennen alle die Theorien, dass die globalen Großstiftungen Covid-19 mehr oder weniger angezettelt haben, um an den Impfkampagnen zu verdienen. In Wirklichkeit hat Bill Gates früh verstanden, dass globale Ausbrüche kommen werden.
Um den Kollaps zu verhindern, wollte er die Netzwerke des internationalen Gesundheitswesens erhalten, vor allem Unicef und WHO, und sie sozusagen zu einer Feuerwehr gegen die Pandemie-Gefahr umbauen. Dass dabei für die Medizinkonzerne erhebliche Renditen anfallen, ist sicher nicht unerwünscht, aber meines Erachtens nicht das Hauptmotiv.
Bill Gates sieht keinen Widerspruch darin, mit der Abwendung einer pandemischen Katastrophe Geld zu verdienen.
(Heimliches) Vorbild China
Covid-19 breitete sich seit Dezember 2020 aus. Wie reagierte China auf den Ausbruch?
Karl Heinz Roth: Zunächst versuchte die Staatsführung, den Ausbruch zu vertuschen. Nach etwa vier Wochen schaltete sie drastisch um und verband ihre detaillierten Pläne für die entsprechenden Notfallmaßnahmen mit einer Katastrophenmobilmachung.
Dieser radikale Shutdown mit massiven Kontaktbeschränkungen und Quarantäne-Maßnahmen hatte nicht nur Folgen im Land selbst, sondern war der Auslöser einer Weltwirtschaftskrise. Der Kollaps der chinesischen Wirtschaft führte zu einem Kollaps der Lieferketten, dann zu einem Kollaps der internationalen Finanzmärkte.
Wenn wir einmal vom diktatorischen Charakter der Maßnahmen absehen, schien der Lockdown zunächst erfolgreich zu sein. Aber die Virologen und Epidemiologen hätten schon damals wissen müssen, dass diese Pandemie mit solchen Methoden nicht zu besiegen ist. Dazu ist die Dunkelziffer bei Covid-19 zu groß.
Bekanntlich entwickeln zwei Drittel der Infizierten keine oder so schwache Symptome, dass sie höchstens mit Testverfahren erfasst werden können. Außerdem ist das Virus längst weitergewandert in andere Säugetierarten und überlebt in diesen Reservoirs. Es lässt sich nicht mehr ausrotten.
Die Bilanz bei den Todesopfern sieht für China dennoch vergleichsweise gut aus. Das Land hat offiziell nur 4.636 Todesopfer zu beklagen. Selbst wenn diese Zahl geschönt sein mag, die geringe Todesrate ist beeindruckend. In den USA nähert sich die offizielle Zahl der Verstorbenen den 900.000 …
Karl Heinz Roth: Ob das so bleibt, ist eine andere Frage. Die Covid-19-Ausbrüche werden nicht aufhören. Es kann sein, dass das Politbüro irgendwann vor der Pandemie kapituliere und mit dem Virus leben muss.
In China herrscht eine Art kapitalistischer Staatsabsolutismus: Die Staatsmacht kann grundlegende Rechte beschneiden oder auch wieder gewährt, immerhin sorgt sie für ihre Untertanen, das ist schon richtig.
Meine These lautet: Der Shutdown war gar nicht notwendig! Covid-19 ist keine Killerpandemie. Wenn ein Virus wie die Pocken sich ausbreitet, das 20 bis 25 Prozent aller Infizierten tötet, dann muss man ernsthaft nachdenken, wie schwer Grundrechte wiegen gegen den Untergang eines Viertels der Menschheit.
Bitte nicht missverstehen, Covid-19 ist eine schwere Pandemie, die schwerste seit der Spanischen Grippe von 1918 bis 1920. Aber der Lockdown mit seinen unspezifischen Kontaktbeschränkungen war weder notwendig noch zielführend.
Bevor wir zu Sinn oder Unsinn der sogenannten nicht-pharmazeutischen Maßnahmen kommen, lassen Sie uns noch kurz bei der Politik bleiben. Außerhalb von China versuchten viele Regierungen zunächst, das Problem auszusitzen. Als sich abzeichnete, dass das zu enormen Todeszahlen führen würde, erließen die Regierungen nach und nach pauschale Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen, mehr oder weniger strikt, mehr oder weniger sinnvoll. Wie erklären Sie dieses Vorgehen, wenn es doch Ihrer Meinung nach nicht notwendig war?
Karl Heinz Roth: Der harte Lockdown entstand aus Panik und Hilflosigkeit. Die verantwortlichen Politiker mussten feststellten, dass die Gesundheitssysteme nicht vorbereitet waren und selbst elementarste Hygienevorräten fehlten.
Von Seiten der Wissenschaft kam kaum Hilfestellung. Zugang zu den Krisenstäben erhielten vor allem Forscher, die die Paniktendenzen der Politik eher noch verstärkten. Die Modellierungen des weiteren Verlaufs lieferten schockierende Opferzahlen, allerdings waren diese Modelle für den Erreger Sars-CoV-2 überhaupt nicht realistisch.
Alle starrten auf die Infektionszahlen, die aber aufgrund der hohen Dunkelziffer kaum etwas aussagen, nicht auf die entscheidenden Krankenhauseinweisungen und Todeszahlen.
Bei den Maßnahmen handelte es sich zu einem Gutteil um Symbolpolitik beziehungsweise um konzeptlosen Aktionismus. Auf diese Art sollte energisches Handeln vorgespielt werden. Die Engpässe im Gesundheitswesen wurden verschleiert, damit eine Diskussion über die tieferliegenden Probleme gar nicht erst aufkommen konnte.
Aber, wie zuvor erwähnt, die diffuse Eindämmungsstrategie wird dem Charakter der Pandemie überhaupt nicht gerecht.