"Der kleine Prinz" als Sicherheitsrisiko …

Seite 4: Verboten: Kurdische Sprache und Kultur

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Auch das Tragen traditioneller kurdischer Kleidung wurde vergangenes Jahr faktisch verboten. In einem Gerichtsverfahren wurde festgestellt, dass kurdische Kleider (Fistan), Schal (Şal) und Westen (Şapik) der "Propaganda für eine terroristische Organisation" diene. Jugendliche aus Doğubayazıt starteten daraufhin eine Kampagne zur Förderung traditioneller kurdischer Kleidung.

Adem Karahan, einer der Initiatoren der Kampagne meinte, der türkische Staat wolle mit dem Verbot eines der wichtigsten kurdischen Kulturmerkmale abschaffen und auslöschen.

In Van drohte die Polizeibehörde Musikgruppen, die in der überwiegend kurdischen Stadt auf Hochzeiten aufspielen. Ab sofort dürften keine Lieder mehr gespielt werden, in denen die Worte "Heval" (dt. Freund), "Serok" (dt. Vorsitzender), sowie "grün", "rot" und "gelb" (die Farben der kurdischen Fahne) vorkommen. Dies sei politische Propaganda, bei Zuwiderhandlung drohe den Musikern die Beschlagnahmung der Instrumente und eine Anklage wegen Unterstützung einer Terrororganisation.

Im Juli 2017 verabschiedete das türkische Parlament mit den Stimmen von AKP und MHP ein neues Gesetz, welches Konsequenzen für türkische Abgeordnete vorsieht, die die "Geschichte und die gemeinsame Vergangenheit des türkischen Volkes beleidigen". Als "Beleidigung" gelten nun Begriffe wie "Kurdistan" oder "kurdische Regionen".

Auch wer etwa in Diskussionen über die Ereignisse von 1915 den Begriff "Völkermord" im türkischen Parlament verwendet, beleidigt das "türkische Volk". Abgeordnete, die sich nicht an das Gesetz halten, werden vorübergehend von Parlamentssitzungen ausgeschlossen und müssen ein Drittel ihres Gehaltes als Strafe zahlen.

Kuriose Gründe für Inhaftierungen - über verbotene Tänze, Musik und T-Shirts

Türkische Soldaten sind keine Angreifer! Wo gibt’s denn sowas? Die 29-jährige Lehrerin Ayşe Çelik aus Diyarbakir wagte es in ihrer Verzweiflung im Januar 2016, in der Unterhaltungssendung "Beyaz Show" auf die Situation der Kinder im Südosten der Türkei aufmerksam zu machen.

In der Telefon-Liveschaltung fragte sie: "Wissen Sie eigentlich, was gerade im Osten und Südosten dieses Landes passiert? Hier werden ungeborene Kinder, Mütter, Menschen getötet. Alles, was hier geschieht, wird in den Medien verzerrt dargestellt. Schweigen Sie nicht. Erheben Sie ihre Stimme, zeigen Sie Empathie. Schauen Sie hin. Reichen Sie uns die Hand. Das ist doch erbärmlich. Menschen sollen nicht sterben, Kinder sollen nicht mehr sterben, Mütter sollten nicht mehr weinen."

Çelik, mittlerweile selbst Mutter, muss nun wegen angeblicher "Propaganda für eine Terrororganisation" für ein Jahr und drei Monate mit ihrem Neugeborenen ins Gefängnis. Das Gericht war der Meinung, dass Ayşe Çelik mit dem Satz "Die Kinder sollen nicht sterben, die Mütter sollen nicht mehr weinen" imstande war, "die türkischen Streitkräfte vor der Weltöffentlichkeit und der türkischen Öffentlichkeit als eigentliche Urheber für die Unruhen und als Angreifer darzustellen".

Eine Mutter wurde mit ihrer kleinen Tochter von der Gendarmerie verhaftet, weil das Kind ein Micki Maus-T-Shirt mit der Aufschrift "My Dad is my hero" trug. Im Sommer 2017 wurden Dutzende Personen verhaftet, die ein T-Shirt mit der Aufschrift "Hero" trugen. Angefangen hatte die Jagd nach den Hero-T-Shirt Trägern, als ein vermeintlicher Putschist mit einem ‚Hero‘-T-Shirt zum Gerichtsprozess erschien.

Kein Halay-Tanz auf der ITB? Idris Sayılğan, Journalist der mittlerweile verbotenen Nachrichtenagentur DIHA, muss nun für ein Jahr und 8 Monate ins Gefängnis, weil er am 7. März 2014 auf dem Campus der Universität Mersin den traditionellen, kurdischen Halay-Tanz getanzt hat.

Die Marketing-Agentur Global Communication Experts wirbt auf ihrer Türkei-Seite unter anderem mit dem "türkischen" Volkstanz Halay, der seit Jahrhunderten in der östlichen Mittelmeerregion, in Ost-, Südost und Zentralanatolien getanzt wird.

Die Türkei besteht aber erst seit 1924 und diese in der Tat Jahrhunderte alten Tänze dieser Region haben kurdische Wurzeln. Türkische Tourismusunternehmen werben bei ihren Auftritten sehr gerne mit den traditionellen Tänzen um Touristen.

Türkische Volkslieder sind unsittlich! Anfang März 2018 wurden zudem vom türkischen Staatssender TRT über 200 türkische, nicht nur kurdische Volkslieder und Popsongs mit der Begründung verboten, sie seien "unsittlich". In den inkriminierten Songs soll es sich um Textpassagen zu Alkoholkonsum, Zigarettenkonsum und Schimpfworten handeln.

Sie sollen Vorschriften im Rundfunkgesetz verletzt haben, da Inhalte von öffentlich ausgestrahlten Liedern "nationale und moralische Werte" nicht verletzten dürfen und nicht gegen die "allgemeine Moral" gerichtet sein dürfen.

Einheimisches, nationales Fleisch

Virtuelle Viehzucht oder die Uruguay-Connection: Da "einheimische", nationale und neo-osmanische Diskurse gerade Hochkonjunktur haben, entwickelte der gewiefte Jungunternehmer Mehmet Aydin eine Geschäftsidee besonderer Art: die Çiftlik-Bank (Farm-Bank).

Mit osmanischer Janitscharenkapelle weihte er eine symbolische Viehzuchtfarm ein und versprach Anlegern hohe Gewinne bei Investitionen in die Viehzucht. Man zahle 200.000 türkische Lira über das Internet ein und mache damit 50.000 TL Gewinn. Er versprach, die größte Anlage der Welt aufzubauen. Der lokale Imam betete für "gesegneten Gewinn" und beendete sein Gebet mit dem Islamistenkampfruf "Allahu Akbar".

Aydin überzeugte rund 78.000 Menschen von seiner "einheimischen und nationalen Geschäftsidee" und erntete 511 Millionen türkische Lira (ca. 110 Millionen Euro). Damit setzte sich Aydin flugs nach Uruguay ab, anstatt die größte nationale Viehzuchtkette der Türkei aufzubauen. Das Kurioseste an der Sache: Zur gleichen Zeit, wo sich Aydin nach Uruguay abgesetzt hatte, kam ein Schiff mit Kälbern aus Uruguay in der Türkei an.

Diese hatte die türkische Regierung bestellt, um die hohen Fleischpreise der "einheimischen und nationalen" Fleischproduktion zu senken.