Der lange Weg zur Impfung
Lange Warteschlangen, kein Abstand und wachsende Verzweiflung - Erlebnisbericht aus dem Impfzentrum München
Am Dienstag, den 2. März, begleitete ich meine 88-jährige, stark bewegungseingeschränkte Mutter erneut zum Impfzentrum München, das auf dem Messegelände eingerichtet wurde.
Sie wohnt im Münchner Westen, das Impfzentrum ist 20 Kilometer entfernt, mit der U-Bahn hätte sie am Hauptbahnhof umsteigen müssen und nach circa 50 Minuten die Haltestelle Messestadt Ost erreicht (Angabe der Verkehrsbetriebe für Menschen mit durchschnittlicher Gehgeschwindigkeit), wo sie dann in den im 10 Min-Takt verkehrenden Impf-Shuttle-Bus hätte umsteigen können, der sie dann nach insgesamt mindestens einer Stunde zum Ziel gebracht hätte.
Wir kamen mit dem Auto.
Genau drei Wochen nach dem ersten Impftermin waren wir in froher Erwartung, dass die Stadt dort alles verbessert und perfekt organisiert hätte. Bei unserem ersten Termin waren wir ziemlich fassungslos über das Chaos, unter anderem standen wir mehr als eine Stunde allein bis zum "Check-In" an.
Seit 3. Februar werden in Münchens bislang einzigem Impfzentrum die Über-80-Jährigen geimpft. Bereits nach den ersten Tagen gab es viel Protest, die lokalen Zeitungen berichteten über das "Warten, frieren, bangen vor dem Impfzentrum". Die Stadt verkündete, das liege daran, dass so viele Senioren bis zu zwei Stunden vor dem eigentlichen Termin kämen, und gelobte sofortige Nachbesserung.
Als wir pünktlich ankamen, suchte ich als erstes einen Helfer in Leuchtweste, um einen Rollstuhl auszuleihen. Es dauerte etwas, bis ich in dem wartenden Pulk von Menschen einen Ansprechpartner fand, der mir dann ziemlich genervt erklärte, es stünden jetzt keine Rollstühle zur Verfügung, es gebe viel zu wenig Rollstühle und alle wollten Rollstühle, er könne jetzt gerade gar nichts für mich machen, ich solle mich vor den Haupteingang stellen und warten.
Vermutlich hat sich bei den Senioren inzwischen rumgesprochen, dass die Zielgruppe der Über-80-Jährigen das lange Stehen und die weiten Wege im Impfzentrum kaum schafft. Nach einigen Minuten hatte ich einen Rollstuhl ergattert und ordnete mich mit Mütterchen in die lange Warteschlange für den Termin um 13 Uhr. Getrennte Schlangen sortierten die Wartenden für die verschiedenen Termine, also 13 Uhr, 13:30 Uhr, 14 Uhr etc..
Da standen wir zunächst 40 Minuten draußen an diesem zum Glück sonnigen Tag. Davon 10 Minuten in einem beheizbaren Zelt - wir wurden allerdings mit einem heftigen eiskalten Luftstrom statt mit Wärme beglückt. Die Frau hinter mir schob mir mehrfach den Rollstuhl ihres Vaters in die Waden, vergeblich versuchend, diesem starken kalten Luftzug zu entkommen. Abstandhalten war zwischen den Absperrbändern im Zelt unmöglich.
Draußen wurde überhaupt kaum Abstand gehalten und es gab keine Sitzgelegenheiten, auch nicht wie von der Stadt angekündigt in den Zelten.
Aber immerhin wurden inzwischen Rampen an den Ein- und Ausgängen der Zelte errichtet, beim ersten Impftermin musste ich mir noch tatkräftige Hilfe zur Überwindung der hohen Schwellen mit dem Rollstuhl suchen.
In der Halle standen wir dann nochmals 20 Minuten, rückten Schrittchen vor Schrittchen zusammen mit Fußlahmen und Gebrechlichen vor, bis wir nach insgesamt einer Stunde endlich die Anmeldung erreichten, wo man kurz seinen Personalausweis vorzeigen muss.
Viel zu weite Wege und viel zu lange Wartezeiten im Stehen
Ab etwa der Hälfte des mit Bändern getrennten, ellenlang mäandernden Weges bis zum Anmelde-Schalter (wie am Flughafen) stehen vereinzelt Stühle, die eifrig hin und her geschoben wurden, weil die ersten Impfwilligen schon nicht mehr konnten und sich setzen mussten.
Um mich herum blasser werdende Gesichter und einige Alte, die in wachsender Verzweiflung versuchten, sich an den Bändern festzuhalten oder abzustützen. Einige beschwerte sich lautstark - aber da war kein Helfer in Sicht, der das hätte hören können, oder den bereits Erschöpften auf halber Strecke noch einen Rollstuhl hätte zur Verfügung stellen können (vielleicht weil es sowieso zu wenige gibt?).
Nach der Anmeldung ab in die nächste Halle, schnell vorbei an einer weiteren sehr langen Schlange, die für die erste Impfung anstand. Seitlich davon hohe Tische wie für einen Empfang, an denen die Impflinge stehend den überreichten Packen Papier lesen und unterschreiben sollen.
Im abgetrennten Bereich für die zweite Impfung mussten wir nur ein paar Minuten warten, schnell ging es in die Impfkabine, dort lief dann alles wie gehabt sehr professionell und freundlich ab. Eine Ärztin setzte gekonnt und schmerzfrei die Spritze.
Danach weiter zum Wartebereich, der jetzt in einer großen Halle mit vielen Stühlen eingerichtet ist und Abstandhalten ermöglicht. Immerhin eine kleine Verbesserung für die 15 Minuten, die man nach der Impfung sicherheitshalber warten soll.
Nach 90 Minuten haben wir es geschafft. Der Ausgang liegt nun auf der anderen Seite der zweiten Halle, bis zum Parkplatz müssen die frisch Geimpften nochmals sehr weit gehen, fast eine Umrundung der Messehalle. Zum Glück sitzt meine Mutter bequem im Rollstuhl.
Insgesamt viel zu weite Wege und viel zu lange Wartezeiten im Stehen, eine Zumutung für die alten Leute, die meist gar nicht mehr gut zu Fuß unterwegs sind, viele darunter mit Rollatoren, Stöcken oder Krücken. Über-80-Jährige eben.
Warum nicht auf erfahrene Veranstalter zurückgreifen?
Am 3. März beschloss der Münchner Stadtrat, dass die Zahl der täglichen Impfungen stark gesteigert werden soll, da endlich viel mehr Impfdosen eintreffen. Aktuell werden etwa 1.800 Personen täglich im Impfzentrum geimpft, die Zahl soll dort schnell auf 3.000 erhöht werden. Außerdem werden weitere Zentren in verschiedenen Stadtteilen eingerichtet, um in vier Wochen bis zu 13.000 Menschen pro Tag mit Impfstoff zu versorgen.
Es bleibt zu hoffen, dass künftig die Abläufe überall besser und an der Zielgruppe orientiert gestaltet werden. Es wäre nach der bisherigen Erfahrung sicher sinnvoll, erfahrene Veranstalter für die Umsetzung zu engagieren, die Branche hat momentan sowieso nichts zu tun und diese Fachleute verfügen über die professionelle Erfahrung, um Großveranstaltungen gekonnt zu organisieren und Besucherströme optimal zu dirigieren (Kontakt: Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft).
Am Schluss noch ganz kurz angemerkt: Meine Mutter ist sehr froh und dankbar, dass sie nun geimpft und vor Covid geschützt ist. Es gab so gut wie keine Impfreaktion, nur ihr Arm war jeweils ein bis zwei Tage lang unterhalb des Einstichs leicht verhärtet.