Der letzte Dammbruch

Seite 2: Antisemitismus verschmilzt mit Antiislamis

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Bei den neuesten Auswüchsen des oberflächlich kaschierten osteuropäischen Antisemitismus verschmelzen diese alten Wahnvorstellungen mit dem neuen Antiislamismus: Die Juden werden als Förderer der Flüchtlingskrise imaginiert.

Im westpolnischen Wroclaw etwa ging am Nationalfeuertag 2015 bei rechtsextremen Demonstrationen eine Judenpuppe in Flammen auf, während militante Nazis hinter der Flüchtlingskrise mal wieder eine perfide jüdische Verschwörung halluzinierten, wie die Jüdische Allgemeine berichtete.

Die Neonazi-Organisation Nationalradikales Lager wie auch die Allpolnische Jugend machen "die Juden" für die angebliche »Islamisierung Europas« verantwortlich. Die Kriegsflüchtlinge aus Syrien seien Sozialschmarotzer oder gar Terroristen. Auf dem größten Transparent in Breslau war zu lesen: "Sie kommen hierher, um unsere Welt zu verändern, um zu zerstören, abzufackeln und zu vergewaltigen!" Als Piotr Rybak "den Juden" abfackelte, hetzte einer der Organisatoren auf der Bühne: "Jemand gibt ihnen Geld - für die Boote, für die Waffen in Europa. Jemand finanziert diese ganzen Ausschreitungen. Wir müssen wissen, wer das tut. Noch weiß ich es nicht. Noch nicht!"

Selbstverständlich blieben diese antisemitischen Vorfälle für alle Beteiligten folgenlos. Die in Warschau regierenden Rechtspopulisten haben diese pogromartige Verbrennung einer Judenpuppe am Nationalfeiertag schlicht ignoriert.

In Ungarn glaubt man nun in Soros den konkreten Juden ausfindig gemacht zu haben, der die Flüchtlingskrise steuerte. Soros und seine "vor der Öffentlichkeit verborgen" Seilschaften hätten "unter Einbeziehung seiner ungarischen Organisationen, mit enormen Geldern die illegale Einwanderung" gefördert, erklärte Orban bei einer Demonstration, die sich gegen den jüdischen Milliardär richtete. Soros finanzierte "zahlreiche, als zivile Vereine getarnte Lobby-Organisationen", es sie "ein richtiggehendes Netzwerk, mit eigenen Sprechern, eigenen Medien, vielen Hundert Menschen, einer eigenen Universität". Gegen diese hinter den Kulissen agierende Verschwörertruppe müsse Ungarn nun "auch den Kampf aufnehmen", tönte der Ministerpräsident.

Was hier hervorbricht, ist der mühsam kaschierte Antisemitismus. Orban beschreibt hier die Funktionsweise einer gewöhnlichen westlichen Regierungs- oder Milliardärs-NGO, wie sie auch ein Bill Gates oder die deutschen Parteien im Ausland unterhalten, und reichert sie mit dem alten antisemitischen Verschwörungswahn an. Denn selbstverständlich sind ja nicht nur die NGO des Juden Soros, auf den sich Ungarns Rechte in ihrer Kampagne so fanatisch eingeschossen hat, in Ungarn aktiv. Auch die Konrad Adenauer Stiftung, die Friedrich Ebert Stiftung oder unzählige US-amerikanische NGOs sind in Ungarn aktiv.

Diese werden nun mittels eines weiteren Gesetzesvorhabens unter Druck gesetzt, ohne dass Massenaufmärsche vor der US-Botschaft oder der deutschen diplomatischen Vertretung in Budapest stattfinden würden. Amnesty International kündigte bereits an, nicht den Bestimmungen dieses Gesetzes Folge zu leisten, das alle NGOs, die mehr als 26.000 US-Dollar aus dem Ausland erhalten, zu einem umständlichen und schikanösen Registrierungsverfahren nötigt.

Die von Fidesz befeuerte Rechtsentwicklung stärkt Jobbik

Ironischerweise hat der rechtspopulistische ungarische Ministerpräsident seine gute Bildung gerade dem Juden George Soros zu verdanken. Das Auslandsstudium in Oxford, das Orban genoss, wurde durch ein Stipendium der Soros Foundation ermöglicht. Das ist auch kein großes Geheimnis - und es hat sich selbstverständlich auch innerhalb der ungarischen Rechten herumgesprochen.

Hier ist ein weiterer Grund für die Härte Orbans im Kampf gegen Soros zu finden. Er ist ein Getriebener der Ressentiments, die er selber jahrelang schürte. Orban muss gegen die antisemitischen Ressentiments in seinem eigenen politischen Lager ankämpfen, indem er beweist, nicht von dem Juden Soros gekauft worden zu sein. Zumal die rechtspopulistische Fidesz im aufkommenden Wahlkampf stark von rechts unter Druck gesetzt wird.

Die offen faschistische Nazipartei Jobbik konnte mit einer aggressiven Kampagne, die sich gegen Korruption in der Fidesz richtete (Motto: "Du arbeitest, sie stehlen"), erste Erfolge verzeichnen, wie die Financial Times erklärte. Ungarns Nazis können Umfragen zufolge auf rund 21 Prozent der Stimmen hoffen - die von Fidesz befeuerte Rechtsentwicklung der ungarischen Gesellschaft droht nun, die Rechtspopulisten zu überrollen. Die Regierungskampagne gegen Soros sei Teil der "politischen Positionierung" der regierenden Fidesz vor den Wahlen im nächsten Jahr, erklärte ein Analyst gegenüber der FT: "Sie brauchen einen starken Feind, und deswegen wird dieses diabolische Bild von Soros benutzt."

Im Rahmen dieser politischen Positionierung rehabilitierte Orban in einer Rede auch den Diktator und Nazi-Kollaborateur Miklós Horthy, den er als einen "außergewöhnlichen Staatsmann" würdigte. Horthy, der offiziell als "König" firmierte, führte bereits 1938 antisemitische Gesetze in Ungarn ein, er war an der sukzessiven Entrechtung und Deportation der ungarischen Juden in Deutsche KZs beteiligt. Er sei "ein Leben lang ein Antisemit" gewesen, bekannte Orbans "außergewöhnlicher Staatsmann".

Den Juden Ungarns, die nun in böser alter Tradition zum Hassobjekt eines Wahlkampfes werden, ist das Lachen somit längst vergangen. Andreas Heisler, Vorsitzender der Ungarischen jüdischen Föderation, forderte Orban eindringlich auf, die Kampagne einzustellen: "Bitte, machen Sie diesem bösen Traum so schnell wie möglich ein Ende." Die Kampagne würde Stereotype aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wiederbeleben, die Juden als "politische Manipulateure" darstellten. In den Plakaten seien "toxische Nachrichten" enthalten, die bösartige Reaktionen provozierten könnten. Die Kampagne sei nicht "offen antisemitisch", so Heisler, sie könne aber "unkontrollierte antisemitische Emotionen" auslösen.

Bislang musste die europäische Rechte in der derzeitigen Systemkrise ohne manifesten Antisemitismus auskommen. Doch scheint nun dieses letzte zivilisatorische Tabu in Ungarn zu fallen. Die Angriffe der ungarischen Regierung richteten sich auch gegen jüdische Einrichtungen, die offensichtlich als "ausländisch" wahrgenommen werden.

Ein von einer jüdischen Jugendorganisation betriebener Jugendtreff in Budapest, das Cafe Aurora, der vor allem in der alternativen Szene beliebt ist, soll nach einem martialischen Polizeieinsatz geschlossen. Ein Großaufgebot der Polizei stürmte bei einer Drogenrazzia den Szenetreff und durchsuchte Hunderte der Anwesenden - bei 15 Jugendlichen wurde Cannabis gefunden. Nun soll die Einrichtung geschlossen werden. Aurora sei bekannt für die Unterstützung von NGOs, sexuellen Minderheiten und der marginaliserten ungarischen Roma, erläuterte der linksliberale jüdische Forward in einem Hintergrundbericht, deswegen befinde sich die Einrichtung auf der Abschlussliste der nationalistischen Regierung.