Der letzte Dammbruch

Seite 3: Ein antisemitischer Orban scheint dem nationalistischen Netanyahu näher als der liberale Soros zu sein

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Die Kritik an der ungarischen Medienkampagne, die in der jüdischen Minderheit Ungarns alte Ängste offenlegte, wurde anfänglich von israelischen Diplomaten in Ungarn geteilt. Doch zugleich ging man in Jerusalem auf Distanz zum liberalen Milliardär Soros. Eine Verurteilung der Kampagne der ungarischen Regierung durch den israelischen Botschafter in Budapest diente nur dazu, den daraus resultierenden Antisemitismus zu kritisieren, hieß es in einer anschließenden Erklärung des israelischen Außenministeriums. Es ginge unter keinen Umständen darum, "Kritik an George Soros zu delegitimieren", der permanent "Israels demokratisch gewählte Regierung" unterminiere, "indem er Organisationen finanziert, die das Recht des jüdischen Staates auf Selbstverteidigung" nicht anerkannten.

Israel, seinem Selbstverständnis nach ein Zufluchtsort für Juden aus aller Welt, ist zugleich selber von der Rechtsentwicklung betroffen. Die israelische Rechte teilt den Hass auf den alten kosmopolitischen Liberalismus, der den ideologischen Überbau der neoliberalen Ära prägte. Die linksliberale Zeitung Haaretz bemerkte, dass diese besagte Erklärung des Außenministeriums vor allem auf Betreiben des stramm rechten israelischen Regierungschefs Netanyahu verbreitet wurde. Ein Viktor Orban scheint - trotz seiner Sympathien für Nazikollaborateure - einem nationalistischen Benjamin Netanyahu näher zu stehen als der liberale Soros mit seiner Kritik auch an der israelischen Rechten.

Die marginalisierte israelische Linke reagierte entsetzt auf diese Bemerkungen Netanyahus. Dies werde nicht das letzte Mal sein, dass "Neonazis Netanyahu zitieren", klagte die Vorsitzende der Linken Meretz Partei, Zehava Gal-On, die dem Premier vorwarf, "die Welt des Antisemitismus" zu unterstützen. Ungarns Rechte nutze die innenpolitisch motivierten Verzweiflungstaten Netanyahus, um ihn für die 2018 anstehende Wahlkampagne zu "rekrutieren", spottete Haaretz. Der Premier des "antijüdischen Staates Israel" mache nun Werbung für eine ultranationalsitische, islamhassende, rassistische und - neuerdings dank Netanyahu - vehement antisemitische Partei.

Letztendlich wird an den Vorfällen aber auch deutlich, um was für einen Anachronismus es sich bei George Soros mit seiner Beschwörung einer "Offenen Gesellschaft" handelt. Soros und sein Open Society Institute haben ihren Zenit im neoliberalen Zeitalter der Globalisierung erreicht, als die "bunten Revolutionen" in Osteuropa und dem eurasischen Raum den geopolitischen Hinterhof Russlands Anfang des 21. Jahrhundert erschüttern konnten.

Doch dies ist längst Geschichte - Protektionismus und Nationalismus mitsamt aufschäumenden Ressentiments dominieren den politischen Diskurs. Somit geht die Ära der Globalisierung und des Neoliberalismus ihrem Ende entgegen, sie wird vom Neonationalismus in einer neuen, zunehmend autoritären Epoche kapitalistischer Krisenverwaltung abgelöst. Insofern ist die konkrete Tatsache, dass ein Neoliberaler wie Soros einen Neonationalisten wie Orban das Studium finanzierte, nur zu bezeichnend für den allgemeinen Lauf der Dinge.