Der neue Tsipras heißt Mitsotakis
Griechenland: Der politische Saisonauftakt, die 83. Internationale Messe von Thessaloniki - eine Bilanz
Die am vergangenen Wochenende zu Ende gegangene 83. Internationale Messe von Thessaloniki war auch in diesem Jahr der Ort, an dem die griechischen Parteichefs ihr Programm vorgestellt haben. Den Anfang machte in der letzten Woche Parlamentspräsident Nikos Voutsis. Syriza hat das Narrativ geändert.
Vorgezogene Neuwahlen erscheinen nun auch aus Sicht der Regierung möglich. Die Regierung kokettiert ihrerseits auch gegenüber den Kreditgebern mit der Drohung von Neuwahlen, weil sie eine Aufhebung der bereits beschlossenen Rentenkürzung von 18 Prozent erreichen möchte.
Eine belagerte Stadt und die USA als geehrte Nation
Thessaloniki war eine Woche lang eine belagerte Stadt. 7.000 Polizisten und mehr als 200 FBI-Agenten wachten über die Sicherheit der Stadt und der Messe, die heuer die USA zur geehrten Nation erklärt hatte. Dem Bürgermeister von Thessaloniki Yannis Boutaris ist das gar nicht recht. Er möchte, dass die Politiker künftig der Messe fern bleiben. Boutaris meint, dass die Politiker, die ihrerseits selbst daran schuld sind, dass die Bevölkerung sie hasst, das Leben in Thessaloniki lähmen würden.
Er beruft sich auf die zahlreichen Beschädigungen in der Stadt durch randalierende Demonstranten, eine während der Demonstrationen buchstäblich geteilte Stadt und die Umsatzeinbußen des lokalen Einzelhandels. Statt die Messe als Podium für die politische Saisoneröffnung zu nutzen, sollten die Politiker gemäß Boutaris, besser eine Art Forum nach dem Muster von Davos außerhalb der Stadt veranstalten.
Die politischen Programme
Wie jedes Jahr haben die Parteichefs der griechischen Parteien auch dieses Jahr die Messe zur Vorstellung ihrer politischen Programme genutzt. Die Eröffnung der Messe findet immer samstags mit einer Grundsatzrede des jeweiligen Premierministers statt. Während der gesamten Woche der Messe von Thessaloniki kommen alle Vorsitzenden der politischen Parteien im Land zu Wort.
Am letzten Wochenende der Messe ist dann der Oppositionsführer an der Reihe. Premier und Oppositionsführer haben den Samstagabend für ihre Grundsatzrede und den Sonntagmittag für eine Pressekonferenz.
Tsipras verspricht kaum etwas
Tsipras Auftritt als Oppositionsführer gebar im September 2014 "das Programm von Thessaloniki". Mit diesem versprach er das Ende des Sparkurses. Darüber hinaus verkündete er damals, dass er die Europäische Union von innen heraus reformieren würde und dem US-amerikanischen Imperialismus und der Globalisierung Einhalt gebieten würde.
Bekanntlich hat er keines der damaligen Versprechen eingelöst. Die Tatsache, dass die USA nun in Thessaloniki die geehrte Nation waren und dass die US-Botschaft im griechischen Fernsehen zahlreiche Spots zur griechisch-amerikanischen Freundschaft sendet, macht Tsipras Wandel komplett. Vom "bis in den letzten Cent durchgerechneten" Programm von Thessaloniki blieb den Griechen ein vertraglich versicherter Sparkurs bis 2060.
Die umstrittene Immobiliensondersteuer ENFIA, die Tsipras bereits direkt nach seiner Wahl am 25. Januar 2015 samt sämtlicher Spargesetze "mit einem Gesetz und einem Artikel" abschaffen wollte, möchte er nun stufenweise vermindern. Er verschwieg, dass die Steuer unter seiner Regierung noch einmal erhöht wurde. Der griechische Premier versprach zudem die Erhöhung des Mindestlohns und die Abschaffung des Untermindestlohns für Arbeitnehmer unter fünfundzwanzig Jahren.
Lohnerhöhungen sollen gemäß Tsipras aber nur in Absprache mit der einheimischen Industrie stattfinden. Zudem kündigte er Mietbeihilfen für 300.000 Familien für die Jahre ab 2019 an. Eigentlich eine Minderung eines bereits bestehenden Gesetzes. Denn im Herbst 2017 wurden per Gesetz diese Beihilfen, 70 bis 200 Euro pro Familie und Monat, für 600.000 Familien beschlossen.
Dies wurde jedoch noch nicht umgesetzt. Hinsichtlich der Renten, deren Kürzung um 18 Prozent die Regierung selbst beschlossen hatte, verspricht Tsipras zu versuchen, bei den Kreditgebern unter Hinweis auf die hohen Primärüberschüsse des Staatsetats eine Abschaffung der Kürzung zu erreichen. Zynisch rechnete er vor, dass sich die Mehrbelastung für den Haushalt schließlich auf biologische Weise vermindern würde.
Für Ivan Savvidis, den Multiunternehmer, der auf Tsipras zuletzt nicht so gut zu sprechen war, hatte Tsipras ein Geschenk. PAOK FC erhält ein neues Fußballstadion. Das Grundstück schenkt der Staat. Es handelt sich um ein ungenutztes Militärgelände mitten in Thessaloniki.
Kammenos: Neuwahlen, wenn der Prespes-Vertrag ins Parlament kommt
Tsipras Koalitionspartner, Verteidigungsminister Panos Kammenos, betonte anlässlich der Messe von Thessaloniki seine Einstellung zur Regierung. Er will Tsipras stürzen, wenn der Vertrag von Prespes zur Einigung im Namensstreit mit der nördlichen Nachbarrepublik ins Parlament kommt. Zudem behauptet er, seine Partei, die Unabhängigen Griechen, seien die wahre Nea Dimokratia.
Kammenos zeigte keinerlei Opposition zum wirtschaftlichen Kurs der Regierung und bestritt wider besseren Wissens, dass er die getroffenen Sparmaßnahmen vor den Wahlen ausgeschlossen hatte.
Kyriakos Mitsotakis in der Rolle Tsipras von 2014
Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis schlüpfte dagegen in die Rolle Tsipras von 2014. Allerdings versprach er den ärmeren Bevölkerungsschichten wenig. Vor seiner Rede waren die früheren Premiers der Nea Dimokratia, Kostas Karamanlis und Antonis Samaras vor die Kameras getreten. Sie kamen demonstrativ zur Rede, um die Einheit der Partei zu betonen.
Karamanlis versprach, die Nea Dimokratia würde das Unrecht, das vor allem den Ärmeren zuteil wurde, wieder gut machen. Samaras schwor, er würde garantieren, dass der Name Makedonien von keinem anderen Staats benutzt werden dürfe.
Mitsotakis hingegen will vor allem den Mittelstand und die Oberschicht stärken. Erst wenn diese Bevölkerungsgruppe wieder stark sei, meinte er, könnten Lohnerhöhungen für die Armen folgen. Das Arbeitsrecht soll weiter zugunsten der Arbeitgeber verwässert werden.
Die von ihm avisierten Steuerentlastungen für Reichere werden zwangsläufig zu einer Erhöhung der Steuerlast ärmerer Bevölkerungsschichten führen. Denn die Gesamtsteuereinahmen sind den Kreditgebern als Summe bis 2060 vertraglich zugesichert worden. Das erwähnte Mitsotakis nicht.
Darüber hinaus möchte er eine private Rentenkasse schaffen und die Pflichtversicherung für die staatlichen Sozialdienste abschaffen. Dass er damit zwangsläufig weitere Rentenkürzungen vorprogrammiert, sagte der Politiker nicht. Ihm schwebt das Rentenmodell vor, welches der Diktator Pinochet nach seinem Putsch in Chile einführte.
Mitsotakis möchte mit einer Verfassungsänderung private Hochschulen ins Land holen. Diese würden massenhaft Studenten aus dem Ausland anziehen und somit Geld ins Land spülen, versprach er. Der Oppositionsführer möchte auch gegen die Vorgaben der Kreditgeber eigenmächtig die Mehrwertsteuer für die Gast- und Hotelwirtschaft ermäßigen.
Der Vorsitzende der Nea Dimokratia denkt nicht daran, die ansonsten verbal oft kritisierte Streichung des Steuerfreibetrags, eine Vorgabe der Kreditgeber, anzuzweifeln. Seiner Meinung nach wäre eine Steuer von neun Prozent für die ersten verdienten Euros Entlastung genug.