"Der ökonomischen Konzentration folgt die publizistische Konzentration"

Horst Röper über die Folgen der Marktmacht großer Verlage

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Marktmacht großer Verlag wächst weiter: Der Dortmunder Zeitungsforscher Horst Röper hat vor kurzem die Ergebnisse seiner aktuellen Untersuchung zur Konzentration auf dem Markt der Regional- und Lokalpresse bekanntgeben. Die Untersuchung, die Röpers Medienforschungsinstitut formatt alle zwei Jahre durchführt, zeigt einen Rekordwert. Der Gesamtanteil der 10 größten Verlagsgruppen liege nun bei knapp 62 Prozent, die Konzentration habe um 1,8 Prozentpunkte zugenommen, so Röper im Telepolis-Interview. Ein Gespräch über Monopole auf dem Zeitungsmarkt und den immer enger werdenden Meinungskorridor in der Presse.

Herr Röper, Sie haben gerade die Konzentration im Bereich der Tagespresse untersucht. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Horst Röper: Das wichtigste Ergebnis ist: Die Konzentration hat zu Gunsten der großen Verlagsgruppen zugenommen. Wir machen diese Untersuchung im zweijährlichen Rhythmus. Früher gab es alle zwei Jahre leichte Steigerungen, meist hinter dem Komma. Das heißt: unter einem Prozentpunkt. Dieses Mal ist es aber deutlich mehr. Der Gesamtanteil der 10 größten Verlagsgruppen liegt nun bei knapp 62 Prozent. Das ist ein Wert, den wir früher nie hatten.

Also eine Art Rekordwert?

Horst Röper: Ja, in der Tat.

Um wieviel Prozentpunkte ist die Konzentration angestiegen?

Horst Röper: Im Vergleich zum Jahr 2016 um 1,8 Prozent. Das ist ungewöhnlich für eine Statistik, die sich auf regionale Teilmärkte bezieht.

Regionalen Markt?

Horst Röper: In Deutschland haben wir es überwiegend mit Regional- und Lokalzeitungen zu tun, die alle nur in einem bestimmten Gebiet verbreitet werden. Die wenigen überregionalen Titel sind mit ihren Auflagen nur randständig.

Was bedeutet diese Konzentration für den Journalismus?

Horst Röper: Unsere Gesellschaftsordnung geht klassisch von einer Machtteilung aus. Das sollte auch für die Medien und ganz besonders im Verlagswesen gelten. Aber diese Machtteilung auf viele Marktteilnehmer ist stark eingeschränkt. Wenn 10 Verlagsgruppen 60 Prozent der verkauften Auflagen herausbringen, dann ist das gewaltig. Es bedeutet, dass diese großen Verlage in ihren Verbreitungsgebieten publizistische Macht haben und zunehmend keine Konkurrenten mehr.

Aber Konkurrenz ist wichtig auf dem Markt?

Horst Röper: Natürlich, wenn es Konkurrenz gibt, müssen Verleger in die Redaktionen, also in den Journalismus, investieren. Ohne Konkurrenz sparen die Verlage sich diese so wichtigen Investitionen. Auf lokaler Ebene ist genau diese Situation das Kernproblem. Wir haben in den einzelnen Kreisen und Gemeinden viel zu viele Monopole.

Man könnte doch auch sagen: Immerhin sind es 10 große Verlage. Es könnten ja noch weniger sein. Ist die derzeitige Situation tatsächlich so gefährlich?

Horst Röper: Absolut. Wenn heute Zeitungsverkäufe anstehen, dann sind es die großen Verlage, die aufkaufen. Die großen Verlage setzen sich in aller Regel durch, sie haben eine enorme Marktmacht.

Von welchen Verlagen reden wir? Springer, Funke, Madsack (Anmerkung: Zu Madsack sei an der Stelle auf diesen Artikel verwiesen) ?

Horst Röper: Springer hat mit 12,7 Prozent die größte Marktmacht. Danach folgen unter anderem die Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung/Die Rheinpfalz/Südwest Presse, Ulm, Funke, Ippen, Madsack DuMont.

Wie wirkt sich die Konzentration auf das Meinungsbild im Journalismus aus? Wird der Meinungskorridor immer enger?

Horst Röper: Eindeutig: Bei einer zunehmenden Konzentration im Bereich der Presse verengt sich auch das Meinungsbild. Das war schon immer zu beobachten. Der ökonomischen Konzentration folgt die publizistische Konzentration. Ein Verlag übernimmt eine Zeitung, danach ändert sich in der Regel auch die Zusammensetzung der Redaktion. Sie haben Madsack angesprochen: Dort erscheinen fast alle Zeitungen mit einem weitgehend identischen Mantel.

Können Sie bitte den Lesern erklären, was mit Mantel gemeint ist?

Horst Röper: Als Zeitungsmantel werden die Seiten mit der überregionalen Berichterstattung bezeichnet.

Und diese verhältnismäßig geringe Zahl an Journalisten gestaltet dann durch ihre jeweilige "Brille" bzw. Wahrnehmung die Berichterstattung?

Horst Röper: So ist es. Wir haben Zentralredaktionen, die haben täglich eine Millionenauflage bedienen. Beispielweise berichtet ein einzelner Korrespondent über eine Debatte im Parlament, nimmt dieseauf seine Weise wahr und seine Sicht findet sich am nächsten Tag genau in allen Zeitungen der Verlagsgruppe wieder.

Das war früher anders?

Horst Röper: Früher gab es, weil eben die Konzentration nicht so hoch war, ein breiteres Meinungsspektrum. Zumal größere Zeitungen hatten unterschiedliche Korrespondenten. Da konnte der Leser den Standpunkt X, aber auch Y und Z finden.

Seit geraumer Zeit gibt es eine Debatte um die Qualität der Berichterstattung. Viele Leser kritisieren Medien für eine angeblich zu einseitige Berichterstattung. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Horst Röper: Der Meinungskorridor ist enger geworden. Von daher kann ich die Kritik der Leser verstehen. Aber ich glaube, dass die Kritik vor allem bei der Lokalberichterstattung berechtigt ist. Auf überregionaler Ebene gibt es ein deutlich breiteres Meinungsspektrum. Hier haben die Mediennutzer die Möglichkeit, sich unterschiedliche Standpunkte anzuschauen. Schließlich gibt es auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Gerade aber doch was die großen Medien angeht, ist das Meinungsbild dort bei vielen großen politischen und gesellschaftlichen Themen mindestens genauso einheitlich, wie es auch im regionalen Bereich ist. Sehen Sie das wirklich anders?

Horst Röper: Es gibt auf jeden Fall Unterschiede in der Berichterstattung. Die FAZ berichtet anders als die taz, die taz anders als Die Welt. Das könnte ich nun fortführen.

Da kommt es nun aber darauf an, was "unterschiedlich" in dem Fall bedeutet. Natürlich gibt es gewisse Unterschiede. Jedes Blatt versucht einem Thema nochmal einen eigenen Blickwinkel, einen eigenen Schliff zu geben. Aber die Realität ist doch, dass, egal wie unterschiedlich die Berichterstattung dann im Detail ist, das jeweilige Meinungsbild und der jeweilige Blickwinkel sich in einem sehr, sehr engen Korridor bewegen. Nehmen Sie nur einmal die Berichterstattung zu Russland. Da gibt es ein stark einheitliches Meinungsbild, auch bei den Öffentlich-Rechtlichen - von Ausnahmen mal abgesehen. Der Leipziger Journalismusforscher Uwe Krüger bezeichnet dies als "Mainstream". Krüger spricht von "dominanten Narrativen", die in der Berichterstattung vorherrschen.

Horst Röper: Wir wissen seit vielen Jahren, dass es eine starke Orientierung von Journalisten an ihrer In-Group gibt. Nehmen wir einen Redakteur, der in einer Nachrichtenredaktion arbeitet. Der Redakteur muss ständig Nachrichten einordnen und bewerten. Dazu wird er sich vermutlich auch an anderen Medien und Kollegen orientieren. Wie berichten die anderen Zeitungen? Wir haben diese eingeordnet und gewichtet? Dieses Vergleichen führt oft auch zu einer Angleichung. Wir können, und da gebe ich Ihnen recht, bei den großen regionalen Medien erkennen, dass sie oft nach dem Prinzip "middle oft he road" agieren. Sie orientieren sich also in "der Mitte", weichen selten davon ab.

Hinzu kommt dann aber auch noch verstärkend die homogene soziale Zusammensetzung im journalistischen Feld. Viele Journalisten stammen aus mehr oder weniger einer gemeinsamen Schicht, kommen oft aus den selben Milieus. Das heißt wir haben es auch mit relativ einheitlichen Wahrnehmungs- und Denkschemata zu tun. Halten Sie diesen sozialisationsbedingten Einfluss auf die Berichterstattung für problematisch.

Horst Röper: Die Studien von Siegfried Weischenberg zur sozialen Herkunft von Journalisten waren eindeutig. Aber in den letzten Jahren hat man das Problem erkannt. Sowohl Verlage als auch Redaktionen - wohlgemerkt: längst nicht alle! - setzen auf "diversity", also Vielfalt. Zum Beispiel haben Redaktionen auch Journalisten mit ausländischen Wurzeln eingestellt.

Wird hier nicht einfach nur etwas Make-up aufgetragen? Ob ein neues Redaktionsmitglied nun aus Hamburg, München oder aus Neu-Delhi kommt, macht letztlich keinen Unterschied, wenn bei der Auswahl der Bewerber auf jene politischen Wirklichkeitsvorstellungen geachtet wird, die in den Redaktionen vorherrschen. Stefan Kornelius, Außenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung, sagte vor einiger Zeit gegenüber ZAPP: "Wir haben es mit einer Generation zu tun, die jetzt in den Journalismus kommt, die so international ist wie keine zuvor. Jeder Volontär bei uns hat zwei, drei Jahre Auslandserfahrung in den noch so exotischsten Ländern hinter sich, spricht Sprachen, das ist wirklich toll und bemerkenswert. Es gibt die komplette Erasmus-Generation, die rumläuft, die ist offen und versteht, wie die Welt tickt. Also eigentlich müsste es ein leichtes Spiel sein, aber das darf man sich nicht durch die Verrückten verderben lassen."

Eine Aussage wie diese liefert einen Hinweis darauf, dass bei der Rekrutierung des journalistischen Nachwuchses sehr stark auf bestimmte Merkmale geachtet wird, die die soziale Schließung des journalistischen Feldes noch weiter verstärkt. Wie sehen Sie das?

Horst Röper: Neue Orientierungen bei der Besetzung von Redaktionsstellen greifen in einer Zeit, in der Redaktionen nicht aus-, sondern eher abgebaut werden, kaum kurzfristig. Erst wenn Stellen z.B. durch das Erreichen der Altersgrenze frei werden, können solche Regeln greifen. Das sind langfristige Prozesse. Viele Redaktionen sind aber bereits heute durchaus breiter aufgestellt als früher.