Der todsichere Strand
Wie Hightech-Kontrolle und Sicherheitswahn den Traum von der perfekten Gegenwelt ad absurdum führen
Nach der Tsunami-Katastrophe waren Strände out of fashion, doch sollten sie allenthalben bald wieder ins Zentrum des Massentourismus rücken. Die Rede von einem Tsunami-Frühwarnsystem hat sichere Strände in Aussicht gestellt; Strände, an denen man ohne Angst baden kann. Das paradiesische Gefühl in azurblauem Wasser zu planschen soll immer noch möglich sein. Wenn der Traum der perfekten Gegenwelt gerettet werden soll, dann dort: Wo die Unschuld und Unbeschwertheit des Paradieses mehr als andernorts an der Tagesordnung steht.
Die Rede von einem Tsunami-Frühwarnsystem knüpft aber auch an einen Sicherheitsdiskurs an, der den Massentourismus seit seinen Geburtsstunden begleitet. Bedrohungen haben die schönsten Urlaubsorte stets überschattet. Vor allem der Terrorismus gegen touristische Ziele hat gezeigt, wie fragil das Paradies ist. Seine Verwundbarkeit trat in Momenten des Schreckens zu Tage, etwa als für die Unabhängigkeit der Kanarischen Inseln kämpfende Guerilleros Urlauber zu terrorisieren begannen. Seine Verwundbarkeit wurde in solchen Zusammenhängen aber auch offenkundig, weil das Paradies offenbar nur noch über eine externe Gefahr – hier der Terrorismus – stabilisiert werden kann.
Seit den 1970er Jahren schwebt die Terrorangst über dem Urlaubsort, nach der Tsunami vom 26.12.2004 haben die Beschwörungen einer äußeren Bedrohung zugenommen. Jüngere Berichte über akute Gefahren:observer.guardian.co.uk/focus/story/0,6903,1520146,00.html zeugen davon, dass es um die Rettung einer Idee geht, die nicht mehr zu retten ist: Der unschuldige Strand ist zu einem Mythos geworden – er ist längst keine Realität mehr.
Sicher, die Gefahren der Großstadt mögen sich zusehends auch in solche peripheren Gegenden verlagert haben. Symptomatischer jedoch ist, dass mit einem überdimensionierten Feindbild auch überdimensionierte Gegenmaßnahmen legitimiert werden. Diese überdimensionierten Gegenmaßnahmen sollen den Strand schützen, sollen ihn zu einem kontrollierten Fleckchen Erde machen, an dem der unbefangene Konsum noch möglich ist. Sie sollen den Traum der Gegenwelt aufrecht erhalten.
Ort des Verbrechens
Der Strand als Ort des Verbrechens hat in letzter Zeit beispielsweise immer wieder in Berichten über die afrikanische Immigration nach Europa Gestalt angenommen. Ströme von Flüchtlingen, die an südlichen Grenzen Europas stranden – und damit nicht zuletzt an den Schauplätzen des Mittelmeer-Tourismus. Orientierungslose Gruppen von mittellosen und als heruntergekommenen beschriebenen Arabern, die mit ihrem unvorgesehenen Eintreffen das vergnügte Treiben am Strand aus den Fugen bringen. Meldungen mehren sich darüber, dass dort auch organisierte Banden umherziehen, die systematisch Urlauber ausrauben. Schwerbewaffnete Jugendliche gelten als der neuste Schrecken im Paradies. Sie fallen angeblich in größeren Gruppen über Sonnenbadende her und verwandeln die weißen Strände zwischen Portugal und Griechenland in Schauplätze der Gewalt.
Diese Vorfälle stellen, laut Medienberichten, eine große Bedrohung für die europäische Gesellschaft en gros und die Tourismus-Industrie im Speziellen dar. Sicherheitsmaßnahmen werden in Folge dessen ergriffen, die das Chaos eindämmen sollen. Schutzzäune werden errichtet, elektronische Sperren aufgestellt, Überwachungskameras installiert, die die Strände Tag und Nacht im Auge behalten. Damit aber auch die Urlauber. Ein Polizeiaufgebot tut sein übriges – Strände verwandeln sich zusehends in Hochsicherheitszonen. Damit einhergeht die Entwicklung einer zunehmenden technologischen Aufrüstung von Ferienanlagen. Um Partys am Strand möglich zu machen, wurden die Strände von Goa bereits vor einigen Dekaden mit technischer Hardware ausgestattet, die man sonst nur in Diskotheken vorfindet. Der Außenraum wurde auf diese Weise mit hohem Aufwand in einen Innenraum verwandelt.
Der Strand als Innenraum
Dieser Trend hat dazu geführt, dass die technisch-kontrollierbare Inszenierung des Strandes auf immer futuristischere Technologien zurückgreift und dass sich das Areal der Inszenierung in der vertikalen sowie in der horizontalen immer weiter ausdehnt. Ein Beispiel wären technische Einrichtungen an Stränden, die selbst das Wasser einige Hundert Meter weit ins offene Meer hinein manipulieren. Es gilt Farbe und Temperatur des Wassers zu kontrollieren.
Das paradigmatische Testfeld für solche Entwicklungen ist der persische Golf. Dort haben Mini-Staaten wie Bahrein mit ihrem immensen Ölreichtum Oasen des Tourismus auf Wüstenboden, teilweise aber auch auf offenem Meer errichtet: Inseln, die in Sachen Exklusivität und Luxus alles Dagewesene in den Schatten stellen sollen. So entsteht beispielsweise ein zweites Palazzo Versace in Dubai. Wie der Name schon sagt, ein Palast des touristischen Konsums, kein Wunsch soll dort unerfüllt bleiben. Dazu gehört auch die technische Kontrolle des Wassers. In einem Land, in dem normalerweise Temperaturen um die 50 Grad herrschen, soll die Wassertemperatur am Strand stets ideale 22 Grad betragen.
Belegen diese Entwicklungen jene Propheten, die behaupten, mit dem Tsunami habe eine Zäsur stattgefunden? Ist all das ein deutliches Zeichen dafür, dass nichts mehr so ist, wie es war? Es scheint, dass das Bild der perfekten Idylle nur noch unter absurden Umständen aufrechterhalten werden kann. Enorm ist der Aufwand, der betrieben wird, um vergessen zu lassen, dass die Aufrechterhaltung der Illusion einen großen Aufwand erfordert.
Während in der Südsee zu diesem Zwecke prämoderne Lebensstile und Kulturen re-kreiert werden, kann der Einsatz von Hightech die tautologischen Implikationen dieser Operation kaum mehr ausblenden. Die Künstlichkeit lässt unüberwindbare Paradoxien zu Tage treten, sowie die Tatsache, dass das angestrebte Ziel mittlerweile eine Farce geworden ist: Der unbefleckte, reine, unangetastete Strand als Symbol der perfekten Gegenwelt. Die Logik der Zäsur-Argumentation weist auf die Brüchigkeit einer Ordnung, beziehungsweise einer Vorstellung hin, die auch schon vor dem vermeintlichen Einschnitt nicht mehr aufrechterhalten werden konnte.