Der totgeglaubte Kalif ruft zu Anschlägen auf westliche Medien auf
IS-Führer Al-Baghdadi konstatiert in seiner Audiobotschaft den geopolitischen Sieg Russlands über die USA und bestärkt seine Anhänger auf ihren verlorenen Posten
Neue Bewegtbilder vom Kalifen gibt es nicht, nur seine Stimme. Die Experten analysieren nun, ob es wirklich Abū Bakr al-Baghdadi ist, der in einer 46-minütigen Audiobotschaft ein Lebenszeichen sendet, nachdem er im Sommer mehrmals tot geglaubt wurde (siehe: IS-Führer al-Baghdadi soll schon wieder tot sein).
Wie so oft sind amerikanische Journalisten am besten im Zusammenfassen elaborierter Texte: "Endlich bin ich die ganze Rede mit der Hilfe von Übersetzern durchgegangen", twittert Rukmini Callimachi, IS-Spezialistin bei der New York Times, "die übergreifende Botschaft lautet: Greift den Westen so viel wie möglich an."
Alles andere wäre wirklich eine Überraschung gewesen. Bagdadi hat in seiner Rückmeldung nach etwa einjähriger Pause, die letzte Audiobotschaft stammt vom November 2016, aber auch eine Drohung an die westlichen Medien gerichtet, die ihm laut Kritiker so manchen Dienst beim "Terror-Reklame-Service" (vgl. Sloterdijk zur Debattenkultur) erwiesen haben:
Oh ihr Soldaten des Islam, Unterstützer des Kalifats in aller Welt, verstärkt eure Angriffe und schließt die Medienzentren der Ungläubigen und die Hauptquartiere ihres ideologischen Kampfes in eure Ziele mit ein.
Abū Bakr al-Baghdadi. Übersetzung aus einem englischen Exzerpt
Dieser Aufruf des Kalifen Ibrahim erinnert an den Schrecken des Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Januar 2015. Die Erinnerung dürfte einkalkuliert sein. Medien sind ein lohnendes Ziel, weil sie neuralgische Zentren für Stimmungen sind. Wer sich ein Jahr lang Zeit lässt für seine Botschaft, überlegt sich seine Sätze.
"Dein Herr reicht als Führer und Unterstützer"
Der größte Teil der Audiobotschaft befasst sich laut einer ersten, schnellen Einordnung des französischen Forschers Romain Caillet, der nicht nur mit der arabischen Sprache, sondern auch mit ideologischen Auseinandersetzungen im extremistischen und/oder radikalen Salafisten/Dschihadisten-Milieu vertraut ist, mit weitausholenden religiösen Referenzen, die von der Geschichte des Islam bis zum Dschihad von Sarqawi, dem zentralen Monster der al-Qaida im Iraq und der Gründung des IS reichen. Dabei greife der IS-Führer auf einen Hadith zurück, der sehr berühmt sei, frei übersetzt mit: "Ohne die Erlaubnis Gottes kann nichts den Muslimen schaden."
Auch die Audiobotschaft ist schon im Titel dem Verhältnis zu Allah gewidmet ist, frei übersetzt mit: "Dein Herr reicht als Führer und Unterstützer". Nun kann dies ein ungläubiger Laie nicht in seinen Bezüglichkeiten und Feinheiten erfassen, schon an der Oberfläche ist jedoch offensichtlich, dass sich Baghdadi bemüht, seinem IS-Volk mit großem verbalen Aufwand der Rechtgläubigkeit der Bewegung zu versichern - gegen alle Kritik, die auch in den eigenen Reihen angesichts der Konflikte über die brutalen Gewaltanwendung auch gegen Muslime zunehmend stärker wurde. Auch hatten die Medien in den letzten Monaten häufiger über enttäuschte IS-Fans berichtet.
Agonie in Syrien und im Irak, aber globale Ausdehnung
Bagdadi geht es auch darum, der wachsenden Isolation der IS-Anhänger zu kontern. Sie haben zuletzt viele Niederlagen eingesteckt und Motivation nötig, um bei der verlorenen Sache zu bleiben. An der Reihe der Niederlagen, die in Kobani begonnen und mit Mosul ein symbolisches (Ausrufung des Kalifats, 2014) und verwaltungspolitisches Zentrum des IS getroffen haben, ist nicht zu rütteln. Demnächst wird der IS aus Deir-ez-Zor in aus Raqqa abziehen müssen. Karten, die dem Kalifen nicht verborgen sein werden, zeigen überdeutlich die "langsame Agonie des Islamischen Staates".
Angeblich geht man in US-Behörden davon aus, dass man an der Authentizität der Botschaft nicht zweifle. Manches wird den USA-Hörern in Regierungsstellen nicht besonders gefallen, zum Beispiel, dass Bagdadi einen geopolitischen Sieg Russlands über die USA - in Syrien - und die EU (in der Krim-Affäre) heraushebt. Manche Experten erkennen darin den Ausdruck einer Hoffung, die darauf baut, dass die Feinde des IS sich untereinander überwerfen und die "wahren Gläubigen", die auf das Wirken Gottes vertrauen, nur geduldig genug sein müssten, um diesen Ausgang abzuwarten.
Manches, wie der Verweis auf den Konflikt der USA und Japan mit Nordkorea, lässt keine genauen Datierungen zu, da der Konflikt bekanntlich schon seit längerer Zeit schwärt. So sind sich die Experten noch nicht darüber uneinig, wie alt das Dokument, das gestern von der mit dem IS verbundenen Medienagentur al-Furqan ins Netz gebracht wurde, tatsächlich ist. Für seine Anhänger dürfte es als aktuelles Lebenszeichen verstanden werden.
Wie die moralische Mobilisierung sich dann im Krieg der IS-Milizen bemerkbar macht, kann niemand vorhersagen. Trotz der Niederlagen der IS-Milizen im Irak und in Syrien ist zu sehen, dass sich al-Bagdadi auf eine globale Anhängerschaft stützen kann. Der IS hat sich weit verbreitet, wie Anschläge und Kämpfe in Asien zeigen. Auch in Libyen, wo er als besiegt galt, ist dieser Tage eine IS-Armee in der Wüste entdeckt worden.