Der ukrainische Sumpf holt Washington ein - oder umgekehrt
Trump hat die Mitschrift des Gesprächs mit dem ukrainischen Präsidenten freigegeben. Es gab keinen direkten Handel, aber es offenbart seltsame Wünsche Trumps und das Verhalten von Vassallen
Mit der Veröffentlichung der Abschrift des Telefongesprächs, das Donald Trump mit Wolodymyr Selenskyi (Zelenskyi) am 25. Juli nach der Parlamentswahl in der Ukraine führte, ist das Weiße Haus vorgeprescht. Die Frage ist nun, ob damit ein Impeachment über die vermeintliche Verletzung der Verfassung vom Tisch ist.
Denn in dem Gespräch drang Trump zwar darauf, die Vorgänge um seinen Hauptkonkurrenten Joe Biden und seinen Sohn zu untersuchen, und er wünschte auch ziemlich diffus eine Untersuchung darüber, ob Ukrainer eine Rolle bei den 2016 vom Democratic National Committee gestohlenen Emails gespielt haben. Dabei sollte eine direkte Zusammenarbeit zwischen dem Justizministerium und der ukrainischen Staatsanwaltschaft sowie Trumps persönlichem Anwalt John Giuliani stattfinden. Trump verband dies aber nicht mit irgendwelchen Angeboten oder Drohungen, die kurz zuvor vorübergehende von Trump gesperrten Hilfsgelder in Höhe von 391 US-Dollar, darunter 250 Millionen für Militärhilfe, wurden gar nicht erwähnt.
Das dürfte vermutlich in der Beschwerde des Whistleblowers aus den Geheimdiensten auch stehen, der beim Generalinspekteur der Geheimdienste deswegen eine noch weiterhin geheim gehaltene Eingabe machte. Der Generalinspekteur verlangte die Freigabe an den Kongress, weil im Gespräch möglicherweise das Parteienfinanzierungsgesetz verletzt worden war. Die Anzeige wurde auch an das Justizministerium weitergegeben, das aber befand, dass nach der diesem vorliegenden Mitschrift des Gesprächs hier kein Vergehen des Präsidenten vorliege, weswegen sie auch nicht wie sonst üblich an die Geheimdienstausschüsse weitergegeben wurde. Das müssen Anzeigen, die direkt etwas mit den Geheimdiensten zu tun haben.
Kerri Kupec, die Sprecherin des Justizministeriums, erklärte überdies, Trump habe mit Justizminister Barr nie über eine Ermittlung gegen Biden in der Ukraine gesprochen, Barr habe mit Giuliani auch nie über etwas mit der Ukraine Zusammenhängendes gesprochen.
Nancy Pelosi, die Sprecherin des mehrheitlich von Demokraten besetzten Repräsentantenhauses, hatte wohl etwas überstürzt kurz vor der Freigabe der Mitschrift die Einleitung eines Impeachment-Prüfverfahrens angekündigt. Nach der Freigabe, die die vermutete Verknüpfung der Forderung nach Ermittlungen mit den amerikanischen Hilfsgeldern nicht bestätigte, hielt Pelosi dennoch an den Vorwürfen fest: "Tatsache ist, das der Präsident der Vereinigten Staaten im Bruch mit seinen verfassungsmäßigen Verantwortlichkeiten eine ausländische Regierung gebeten hat, ihm bei seiner politischen Wahlkampagne zu Lasten unserer nationalen Sicherheit und mit der Untergrabung der Integrität unserer Wahlen zu helfen".
Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren, die darauf hoffen kann, Biden zu überholen, meinte, die Mitschrift sei ein "rauchender Colt". Auch der demokratische Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders gab einen Kommentar ab: "Donald Trump ist der korrupteste Präsident in der neueren Geschichte dieses Landes." Hillary Clinton unterstützt weiter ein Impeachment, weil "der Präsident der Vereinigten Staaten unser Land verraten hat".
Der demokratische Senator Chuck Schumer verlangt weiter Einsicht in die Whistleblower-Anzeige. Die soll sich auf Verschiedenes beziehen, der Generalinspekteur sagte aber nicht, ob es dabei auch um Trump geht. Am Dienstag hatte der Senat, in dem die Republikaner eine Mehrheit haben, einstimmig einer Resolution zugestimmt, in der die Trump-Regierung aufgefordert wird, die vollständige Whistleblower-Anzeige dem Kongress zu übergeben. Die soll nun auch an den Geheimdienstausschuss des Senats gehen.
Trump und Biden: Eingriffe in die Innenpolitik der Ukraine
Im Grunde liegt nun ein ähnlicher Fall vor wie bei Joe Biden, in dessen Amtszeit als Vizepräsident und Ukrainebeauftragter sein Sohn Hunter nach dem Regierungssturz zu einem gut bezahlten Verwaltungsrat des ukrainischen Energiekonzerns Burisma wurde. Dessen Eigentümer, der wegen Ermittlungen 2014 aus der Ukraine geflohen und erst 2018 wieder zurückkehrte, war unter Janukowitsch Umweltminister und hat in der Zeit die entsprechenden Öl- und Gaslizenzen erworben. Vor kurzem wurden deswegen wieder Ermittlungen begonnen. Das hat schon ein Geschmäckle.
Dazu kommt, dass Biden in seiner Funktion als Vizepräsident anders als Trump die ukrainische Regierung unter Druck setzte, den amtierenden Generalstaatsanwalt zu feuern, unter dem Ermittlungen gegen Burisma eingeleitet wurden. Er drohte, wie er selbst später öffentlich sagte, damit, dass die Ukraine ansonsten einen Milliardenkredit nicht bekäme. Nach dem Austausch eines korrupten Generalstaatsanwalts durch einen anderen wurden die Ermittlungen gegen Burisma erst einmal eingestellt. Unklar ist, ob Biden auch wegen der Geschäfte seines Sohns die Entlassung des Generalstaatsanwalts forcierte und ob tatsächlich Ermittlungen gegen Hunter Biden und seine Firma geplant waren, was einerseits bestritten und andererseits behauptet wird. Beweise liegen jedenfalls nicht vor, dass Hunter Biden und Joe Biden Kriminelles begangen haben.
Mitschrift ist keine wörtliche Wiedergabe des Gesprächs
Möglicherweise wird nun die Kontroverse auch darum gehen, ob die Mitschrift, die nach Einwilligung des ukrainischen Präsidenten von Trump am 24. September freigegeben wurde, alles korrekt wiedergibt. Eine Fußnote besagt: "Ein Memorandum eines Telefongesprächs ist nicht eine wörtliche Wiedergabe einer Diskussion." Der Text gibt die "Notizen und Erinnerungen der Situation Room Duty Officers und des politischen Personals des Nationalen Sicherheitsrats" wieder.
Betont wird, dass eine "Reihe von Faktoren die Genauigkeit der Aufzeichnungen" beeinträchtigen können. Als Beispiele werden schlechte Telefonverbindungen, Akzente oder Übersetzungen genannt. CNN zitiert einen Mitarbeiter des Weißen Hauses: "Die Mitschrift wurde mit der Hilfe von einem Stimmerkennungsprogramm zusammen mit Menschen, die Notizen machen, und zuhörenden Experten entwickelt." Wurde möglicherweise manches beschönigt oder gar ausgelassen?
Trump: "Die USA waren sehr, sehr gut zur Ukraine"
Im Gespräch beglückwünscht Trump Selenskyi zum Wahlerfolg, der versichert, man werde versuchen, den "Sumpf in unserem Land auszutrocknen". Er habe viele neue Menschen mitgebracht: "Nicht die alten Politiker, nicht die typischen Politiker", um dann gleich Trump um den Bart zu schmieren: "Sie sind darin für uns ein großer Lehrer." Das gefiel Trump, der dann herausstellte, wieviel die USA für die Ukraine tun. Also wie abhängig die Ukraine auch von seiner Regierung ist, was natürlich den späteren Forderungen mehr Gewicht verleihen soll. "Viel mehr als die europäischen Länder" helfen die USA, die Europäer würden nur reden. Hier hebt Trump Merkel und Deutschland hervor: "Deutschland tut fast nichts für euch … Als ich mit Angela Merkel gesprochen habe, redet sie zwar über die Ukraine, aber sie macht nichts." Das solle Selenskyi berücksichtigen: "Die USA waren sehr, sehr gut zur Ukraine."
Selenskyj stimmte unterwürfig und übertreibend zu, das sie nicht nur hundert-, sondern tausendprozentig richtig sei. Er kritisierte, dass Marcon und Merkel bei der Verschärfung der Sanktionen gegen Russland nicht mitspielen. Eigentlich sollte die EU der größte Partner der Ukraine sein, aber der viel größere seien die USA. Und er verspricht, weil er den Waffenhändler Trump kennt, dass man schon fast bereit sei, weitere Javelin-Panzerabwehrwaffen zu kaufen.
Trumps Suche nach einem mysteriösen Server
Das war der Anlass für Trump, das Gespräch auf die Ukraine zu lenken und um eine Gefälligkeit zu bitten, bei der er aber ins Stottern kommt und offenbar keine Ahnung hat, um was es geht, nur dass es mit der Ukraine und CrowdStrike zu tun haben soll. Der Name der Sicherheitsfirma taucht in Fußnoten im Mueller-Bericht auf. Irgendwie geht es um einen Server, reiche Menschen und die "ganze Situation in der Ukraine". Man kann erahnen, dass die Verfertiger der Mitschrift auch nicht wussten, wie sie das in einigermaßen vernünftige Sätze bringen sollte, also ließen sie es beim Gestammel: "I would like you to find about what happened with this whole situation with Ukraine, they say Crowdstrike … I guess you have one of your wealthy people … The server, they say Ukraine has it." Nach Trump habe "dieser ganze Unsinn zu einer sehr schlechten Performance von einem Mann namens Robert Mueller" geführt: "Aber man sagt, viel davon habe mit der Ukraine begonnen."
Bei CrowdStrike, einer US-Firma mit Sitz in Kalifornien, ist man irritiert. Dort hatte man den DNC-Hack 2016 untersucht und das Ergebnis dem FBI übergeben, das DNC hatte die Firma nach dem Hack eingeschaltet. Bekannt ist, dass Trump eine eigenwillige Theorie zu verfolgen scheint, dass die Emails von Clinton auf einem privaten Server in der Ukraine gewesen wären. Es könnte aber auch einen DNC-Server meinen, den das FBI angeblich nicht durchsucht hatte. Letztes Jahr meinte er: "You have groups that are wondering why the FBI never took the server. Why didn’t they take the server? Where is the server, I want to know, and what is the server saying?"
Und auch in einem Interview aus dem Jahr 2017 kommt ein angeblich fehlender Server ins Spiel, den das DNC dem FBI vorenthalten habe. Niemand würde darüber schreiben, beklagt Trump. Das DNC habe den Server dann CrowdStrike übergeben, Trump vermutete, es sei eine ukrainische Firma, die einem reichen Ukrainer gehört. Offenbar ist das für Trump noch immer aktuell. Er versteht zwar selbst nicht ganz, wie das alles vom Hörensagen zusammenhängt und scheint noch immer zu glauben, dass CrowdStrike eine ukrainische Firma ist. Oberpeinlich für einen Präsident der USA, sollte man meinen.
Selenskyi oder wie man sich der Macht beugt
Selenskyi, der wahrscheinlich auch nicht verstand, um was es genauer ging, versuchte sich daraufhin weiter einzuschmeicheln. Er versichert Trump, man sei offen für Kooperationen. Um das zu verbessern, habe er einen neuen Botschafter in die USA geschickt. Ein Assistent, so kommt er Trump entgegen, habe Giuliani getroffen, er hoffe, dass er in die Ukraine käme. Überhaupt seien in der Ukraine um Selenskyi herum alles Freunde von Trump, und er "garantiert" Trump, dass die von ihm verlangten Ermittlungen "offen und aufrichtig" ausgeführt wurden. Trump ist angetan, kam aber darauf zu sprechen, dass ein "guter Staatsanwalt" gefeuert worden sei.
Damit ging er auf das Biden-Thema über, streifte kurz die "schlechte" US-Botschafterin Marie Yovanovitch, die im Mai 2019 zurücktreten musste, weil der damals noch amtierende Generalstaatsanwalt behauptet hatte, dass sie ihm eine Liste mit Personen gegeben habe, gegen die nicht ermittelt werden soll. Lutsenko, inzwischen von Selenskyi gefeuert, erklärte, der habe Ermittlungen über die Wahlhilfe für Clinton durch die ukrainische Botschaft eingeleitet. Lutsenko ist ein Schlitzohr. Unter ihm wurden die Ermittlungen gegen Burisma während der Präsidentschaft von Obama eingestellt, gut möglich, dass er sich nun bei Trump einschmeicheln wollte, um an der Macht zu bleiben. Trump legte eine Ermittlung gegen Biden und seinen Sohn nahe und sagte, Giuliani und Justizminister Barr würden sich mit Selenskyi kurz schließen.
Ob Comedian-Präsident Selenskyi auf dem Laufenden war, lässt sich schlecht sagen. Er verspricht, nun einen fähigen Generalstaatsanwalt einzusetzen, der sich dann genau die von Trump erwähnte Firma ansehen werde. Er bedankte sich auch, dass Trump ihn auf die Botschafterin aufmerksam machte. Sie habe Poroschenko angebetet und sich ihm gegenüber nicht gut verhalten. Am Schluss kommen dann die Floskeln, der ukrainischen Wirtschaft gehe es gut, Trump habe ukrainische Freunde, Selenskyi habe auch ukrainsiche Freunde in den USA, beeilte sich aber zu versichern, dass er die Wünsche Trumps gehört und ernsthaft an den Ermittlungen arbeiten werde. Dann kam er noch auf die Energieunabhägigkeit zu sprechen, die er mit den USA erreichen wolle, offenbar, indem amerikanisches Öl gekauft wird. Letztlich eine peinliche Performance für einen neuen ukrainischen Präsidenten, der alles anders machen will, aber sich als williger Vasall zeigt.