Der "zweite Krieg" im Irak

US-Befehlshaber planen angeblich eine massive Offensive gegen die "Aufständischen" in Falludscha und anderen Städten im Irak

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Für altgediente US-Generäle, die das Chaos aus dem Ruhestand verfolgen, ist der Krieg im Irak bereits verloren. Auch "führende Strategen des US-Militärs" würden sich dieser Sicht anschließen, wie ein ehemaliger Präsidentenberater vor ein paar Tagen im amerikanischen Internetmagazin Salon notierte: "Der schlimmste Fall ist eingetreten". Man habe, so der kürzlich in Ruhestand getretene General der Marines, James Conway, "ganz sicher den Grad an Feindseligkeit, der bereits existierte, noch erhöht".

Indes man sich in diesen Kreisen keinen militärischen Erfolg gegen die "Aufständischen" im Irak mehr vorzustellen vermag, übt sich der irakische Premierminister Ijad Allawi am Vorabend seines Besuches in den Vereinigten Staaten in munterem policytainment, ganz nach dem Vorbild des ehemaligen irakischen Informationsministers Said as-Sahhaf:

Sie werden nicht stärker; sie werden verzweifelter. Wir zerquetschen den Aufstand.

Dass sich die Anschläge, Attentate und andere kriminelle Aktionen in der jüngsten Zeit in fulminanter Weise mehrten, deutet für den irakischen Premier darauf hin, dass die insurgents in den letzten Zügen lägen. "Wir gewinnen", lautet die frohe Botschaft, die der irakische Besucher den amerikanischen Freunden mitbringt.

Optimismus, der bitter nötig scheint. Denn gerade eben haben amerikanische Kommandeure eine Art "Plan B" verlauten lassen, um den neuerdings so genannten "zweiten Krieg" im Irak - den gegen die "Aufständischen" - zu gewinnen: bis zum Jahresende will man Falludscha und andere "Rebellenhochburgen" zurückerobern.

Schon Meldungen der vergangenen Woche, wonach ein großer Teil (3,5 Milliarden Dollar) des Wiederaufbaubudgets statt für die Versorgung mit Wasser, Strom und andere Notwendigkeiten in nächster Zukunft für "Verbesserungen der Sicherheit" verwendet werden sollen, zeigten wie dringlich der Kampf gegen den "Widerstand" für die USA jetzt geworden ist. Der symbolisch-exemplarische Ort für den "Widerstand" gegen die amerikanischen Besatzer heißt natürlich Falludscha.

Wir müssen eine Entscheidung darüber fällen, wann wir den Krebs aus Falludscha herausschneiden. Wir würden gerne bis Ende Dezember die Kontrolle über Orte im ganzen Jahr haben.

ungenannter amerikanischer Militärbefehlshaber

Ein genaues Datum für die große Offensive, welche neben Falludscha auch Ramadi und Samarra rechtzeitig zu den Wahlen wieder unter Kontrolle der amerikanisch-irakischen Allianz bringen soll, steht noch nicht fest.

Amerikanische Kommentatoren begegnen diesem Plan, der vorsieht, dass nach Gelingen der militärischen Offensive irakische Sicherheitskräfte die Kontrolle über die Orte übernehmen sollen, allerdings mit einiger Skepsis: "Wie soll das gelingen?", fragt Spencer Ackerman im (konservativen) Magazin The New Republic:

Die Ausbildung und Ausstattung der irakischen Sicherheitskräfte ist noch immer eine lasche Angelegenheit...Im Kern läuft dieser Plan darauf hinaus, Iraker in Uniformen zu stecken und zu erwarten, dass sie die grimmigste Bastion des Aufstands halten, nachdem man den Aufständischen Monate gibt, um sich zu verschanzen. Angesichts dessen, dass sich Falludscha als symbolischer Ort des Widerstands versteht, wird ein Angriff auf die Stadt wahrscheinlich jeden Bewohner Falludschas radikalisieren – d.h., dass – außer man wischt den Ort von der Landkarte wie Hama – eine bittere Reaktion die Folge wäre: Rache an meist unterlegenen irakischen Rekruten, die eigentlich nur versuchen, ihren Lebensunterhalt in einem Klima aus Unstabilität und großer Arbeitslosigkeit zu verdienen.

Zwar seien in den Städten der Anbar-Provinz zweifellos miese Charaktere am Werk, "old-time Baath fascists" und sunnitische Fundamentalisten mit einem "mindset", der sich von dem der al-Qaida kaum unterscheiden würde, dennoch würde eine Invasion dieser Städte, wenn sie sich an der bislang üblichen amerikanischen Vorgehensweise orientiere, fatale Konsequenzen haben, fürchtet auch der amerikanische Irakexperte Juan Cole: unvermeidlich viele Opfer unter der Zivilbevölkerung und die große Wahrscheinlichkeit, dass sich noch immer mehr Bewohner dem Guerilla-Krieg anschließen würden, was nicht ohne "politische Kosten" bliebe - genau so wie in den Tagen, als man vom Ende der Hauptkriegshandlungen sprach und der "zweite Irak-Krieg" offiziell noch gar nicht stattfand.