Deutsch-Französischer Krieg: Die erste militärische Konfrontation der Moderne

Seite 2: Erster "moderner Krieg"

Es ist Tatsache, dass Frankreich nicht mehr als etwa 550.000 ausgebildete Männer zur Verfügung hat, während allein Norddeutschland über 930.000 Mann verfügt. Dies ist ein Vorteil für Deutschland, welcher umso mehr ins Gewicht fallen wird, je länger die entscheidenden Kämpfe hinausgeschoben werden, und er wird gegen Ende September seinen Höhepunkt erreichen.

Friedrich Engels (29. Juli 1870)

Von Anfang an wies der Deutsch-Französische Krieg Merkmale eines modernen Krieges auf. Schon bei der Mobilmachung spielten Eisenbahn, moderne Logistik und Wehrpflicht eine zentrale Rolle. Die Deutschen nutzten diese besser und brachten innerhalb von zwei Wochen mehr als 400.000 Soldaten an die Front. Die Franzosen boten mit ihren hauptsächlich aus Berufssoldaten bestehenden Herr nur circa die Hälfte auf.

General Blumenthal: Wir haben die Franzosen zerschlagen. Ihre Verbindungen gestört, ihren besten General geschlagen, und wie ich meine ihre beste Armee. Sie haben großartig gekämpft. Das muss man ihnen lassen. Aber – sehen sie – sie hatten keine Chance. Wir waren in deutlicher Überzahl.

William Howard Russell 1870 (Pöking und Sackarnd 2020b 18:50 ff.)

Die Franzosen hatten nicht nur weniger Soldaten zur Verfügung. Auch die Ausrüstung an Proviant und Marschgepäck wies eklatante Mängel auf. Schon aus damaligen Sicht war die französische Armee unterversorgt bis zur Kampfunfähigkeit. Wahrscheinlich rechnete die Führung mit einem schnellen Vorstoß nach Deutschland und der anschließenden Versorgung aus den dortigen Gebieten. Eine völlige Fehlkalkulation.

[…] wir haben das Zeugnis des Hauptmanns Jeannerod, eines ehemaligen französischen Offiziers […] Er stellt ausdrücklich fest, […] dass die Truppen nicht genügend Feldflaschen, Kochgeschirr und andere Lagerutensilien hatten, das Fleisch verdorben und das Brot oft muffig war. Man wird wahrscheinlich sagen, die Armee des Zweiten Kaiserreichs ist bis jetzt von dem Zweiten Kaiserreich selbst geschlagen worden.

Friedrich Engels (06. August 1870)

Auch auf dem Schlachtfeld zeigten sich zentrale Neuerungen.

1. Die neu eingeführten modernen Hinterlader luden die Soldaten mit Patronen und nicht mehr in Stehen mit einem Ladestock. Dies steigerte sowohl Feuergeschwindigkeit als auch Zielgenauigkeit der Infanterie. Ferner war nun das Schießen aus jeder Position möglich – auch aus der Deckung heraus. Die früher dominante Aufstellung in Schützenreihen auf offenem Feld war modernen Taktiken nun unterlegen.

2. Insbesondere die Artillerie der deutschen Seite stellte eine neue Dimension der Feuerkraft dar. Die Reichweite von bis zu 3,5 km und eine Feuergeschwindigkeit von bis zu zehnmal in der Minute ließen bereits die Dimension kommender Maschinenkriege erahnen. Durch die Konzentration der Geschütze (vor Sedan alleine 400) wurde diese Feuerkraft maximiert. So wurden auch systematische Bombardierungen und Zerstörungen von Städten möglich.

3. Neue Gliederungen und Organisationen der Armeen verliehen ihr eine neue Dimension der Schlagkraft. Die Konzentration des Feuers auf geringsten Raum führte zu einer neuen Form des Krieges. So konzentrierten sich bei der Schlacht in Metz 185.000 Franzosen gegen 215.000 Deutsche auf weniger als zwölf Kilometer Ausdehnung. Auch ermöglichten moderne Kommunikationsmittel jetzt die koordinierte Führung mehrerer Armeen bzw. Schlachten. Der Krieg wandelte sich von einem Schlacht- zu einem Bewegungskrieg – von einem Konflikt, der nur wenige Gebiete bzw. Festungen betraft zu einem Flächenkrieg.

4. Erstmals fand die Genfer Konvention aus den 1860er-Jahren in einem Krieg Anwendung. Insbesondere die medizinische Versorgung der Verwundeten besserte sich dadurch deutlich. Es war die Geburt des Roten Kreuzes. Mit ihm gekennzeichnetes Personal und Verwundete – meist Frauen – gelten als Zivilisten und dürfen nicht angegriffen werden. Beide Seiten hielten sich weitgehend an diese Regeln. Zumal vornehmlich in Deutschland die neue "NGO" hohe Popularität genoss. So war die Königin von Preußen Ehrenvorsitzende der deutschen Sektion des roten Kreuzes.

Durch die Kombination dieser Elemente entstand eine neue Form der Kriegsführung. Verschanzte und durch Artillerie gedeckte Infanterie war jetzt nur durch ein Vielfaches der militärischen Stärke überwindbar. Mehrfach wurden im Laufe des Krieges (größtenteils französische) Kavallerie-Attacken zusammengeschossen, bevor sie auch nur in die Nähe der Gegner kamen. Die überlegende Reichweite der deutschen Artillerie gab im Krieg den Ausschlag. Sie hielt die gegnerischen Kanonen auf Distanz und überwand mehrfach die französischen Stellungen.

Die neue Art des Bewegungskrieges mit asymmetrischer Konzentration der Kräfte überraschte die Franzosen völlig. Bis zum Ende des Krieges fanden sie keine adäquate Gegenstrategie. (vgl. Karine Varley; Pöking und Sackarnd 2020c 16:10 ff.) Ihr immer wieder praktizierter Rückzug in befestigte Wehranlagen – in alten Kriegen eine probate Strategie – endete wiederholt in Einkreisungen. Zumal die Deutschen Armeen die höhere Mobilität besaßen.

Einmal eingekesselt, fehlte den Franzosen die Kraft zum Ausbrechen. Durch Artillerie zermürbt und ohne Versorgung, gehen rund 200.000 Franzosen in Gefangenschaft. Damit fehlte den Franzosen ihr kriegserfahrenes Offizierschor zum wirksamen Weiterkämpfen. (Engels, 29. Oktober 1870)

Gleichzeitig zeigten die großen Kesselschlachten – insbesondere bei Paris – das Dilemma zukünftiger Grabenkriege. Keine Seite kann die Befestigungen des Anderen überwinden. Der Nachschub an Soldaten, Kriegsmaterial und Nahrungsmitteln entscheidet über den Sieg.

Ein bayrischer Artillerie-Offizier soll auf den Befehl ein vom Feind besetztes Dorf zu beschießen gefragt haben "Soll ich es noch etwas ansehnlich verwüsten oder ganz vernichten?" Der Kronprinz von Preußen lachte, dass ihm die Tränen herunterliefen und versicherte sich, lange nicht mehr so gut amüsiert zu haben.

Geheimes Kriegstagebuch des preußische Generalstabsoffizier Paul Bronsart von Schellendorf 1870 (Pöking und Sackarnd 2020c 40:25)

Zur Überlegenheit der Deutschen trug aber auch ihre Geringschätzung des menschlichen Lebens bei. In den ersten Schlachten lagen die Verluste der Preußen und ihrer Verbündeten bis zu einem Drittel über denen der Franzosen. Aber bei einem fast doppelt so großen deutschen Armee konnten die Franzosen dem Abnutzungskrieg nicht standhalten. Diese Härte gegenüber sich selbst üben die Deutschen auch gegen den Gegner und – mit Dauer des Krieges – immer mehr gegen die Zivilbevölkerung aus. Die zukünftigen Grausamkeiten der Weltkriege deuten sich an.

Der zweite Teil des Artikels behandelt den Verlauf des Krieges, seine politischen Ergebnisse und bewertet die Pariser Kommune.

Kai Kleinwächter arbeitet als selbstständiger Dozent (Themen: Volkswirtschaftslehre, Marketing, Unternehmensführung). Derzeit studiert er Politikwissenschaft / Geografie auf Lehramt an der Universität Potsdam. Er ist Verlagsleiter (digital) von WeltTrends – Das außenpolitische Journal. Ebenfalls bloggt der Autor auf seiner Homepage zeitgedanken.blog.
ORCID-Number: 0000-0002-3927-6245.