Deutsche Energiewendungen: Vom EEG über Desertec zur Wasserstoffstrategie
Seite 2: Wasserstoff: Keine neue Primärenergie!
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Ging es bei Desertec noch um den Import von Strom als Konkurrenz zur boomenden Stromerzeugung aus dezentralen Windkraft- und Solaranlagen, so steht bei der Wasserstoffstrategie der klimapolitisch notwendige Ausstieg aus der Kohleverstromung und der Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas durch die Industrie und dem Verkehrswesen im Vordergrund. Mit "grünem" Wasserstoff sollen die importierten fossilen Brennstoffe CO2-frei und "klimaneutral" ersetzt werden. Dieser soll durch Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen in sonnen- und windreichen Regionen vor allem in Nordafrika erzeugt werden.
Im Unterschied zu Desertec soll der erzeugte Strom in erster Linie nicht zur Einspeisung in ein großes Stromnetz, sondern vor Ort zur Elektrolyse von Wasser eingesetzt werden, mit dem Wasserstoff als Brennstoff entsteht. Im Unterschied zur direkten Nutzung des elektrischen Stroms bedeutet dieses Prinzip drastische physikalische Wirkungsgradverluste durch Umwandlungsketten. Solche Verluste könnte man prinzipiell aber akzeptieren, wenn es nur darum ginge, zeitweise überflüssigen Strom damit in ein Speichermedium zu überführen.
Dazu hat sich der Fachbegriff "Power to Gas" etabliert, bzw. auf die gesamte Kette weitergehender chemischer Umwandlungen bis hin zu synthetischen Kraftstoffen "Power to X" (PtX). Das heißt, dass der elektrische Strom hierbei die Primärenergie ist und Wasserstoff die umgewandelte Sekundärenergie. Besonders massiv sind die hierbei auftretenden Wirkungsgradverluste, wenn in weiteren Umwandlungsprozessen daraus synthetische Kraftstoffe entstehen sollen, auch als "Power to Liquid" (PtL) bezeichnet.
Um massenhaft "grünen" Wasserstoff zu erzeugen, bedarf es eines Einsatzes von Windkraft- und Solarstromanlagen, die um ein Vielfaches über den Bedarf hinausgehen, der für eine Versorgung des (derzeitigen) Strombedarfes mit erneuerbaren Energien notwendig wäre.
Daraus folgt, dass Wasserstoff im wesentlichen nur in einem Systemverbund mit gleichzeitiger Stromerzeugung und drastischer Reduzierung des Energieverbrauchs ökologisch nachhaltig zum Einsatz kommen kann. Dieses wird mittlerweile durch zahlreiche Expertisen belegt, wie z.B. durch eine Stellungnahme des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung vom 23.6.2021.
Die Unsinnigkeit der Nationalen Wasserstoffstrategie zeigt sich am besten darin, dass im darin enthaltenen Aktionsplan auf den "Einsatz von erneuerbarem Kerosin im Luftverkehr aus Klimaschutzsicht" als wichtige Rolle verwiesen wird. Wörtlich heißt es dann:
Es gilt zu prüfen, welche Kerosinmengen technisch und nachhaltig zu welchem Zeitpunkt realisierbar sind. Im Sinne eines ambitionierten Markthochlaufs wird zunächst eine Quote in Höhe von mindestens zwei Prozent in 2030 erörtert. Bei der Verpflichtung gilt es Wettbewerbsnachteile der deutschen Luftfahrtbranche zu vermeiden.
Besonders fatal ist dabei, dass in den bisherigen Stellungnahmen sowohl von Wirtschaftsminister Peter Altmaier wie auch von Wissenschaftsministerin Anja Karliczek der Eindruck erweckt wurde, man könne mit Wasserstoff als quasi neuer Primärenergie die fossilen Brennstoffe ersetzen und energiepolitisch "weiter so" wie bisher agieren. Der einzige Unterschied wäre dabei nur die Etikettierung als "klimaneutral".
Aussichten auf billige Importe werden auch in einem jüngst von Forschungsministerin Anja Karliczek vorgestellten "H2-Potenzial-Atlas" Westafrika geschürt. Der interaktive Atlas des Forschungszentrums Jülich flaggt dazu vielversprechende "Hotspots" für Solar- und Windstrom aus. Die Region, so schwärmte die Ministerin, könne zum "klimafreundlichen Powerhouse der Welt werden".
Warum Marokko als Präferenz?
Beim Blick auf den PtX-Atlas, der im Mai 2021 vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (Fraunhofer IEE) als zentraler Bestandteil einer im Auftrag der Bundesregierung erstellten Studie mit dem Titel "Weltweite Potenziale für die Erzeugung von grünem Wasserstoff und klimaneutralen synthetischen Kraft- und Brennstoffen" vorgestellt wurde, ergeben sich Marokko und Tunesien als Präferenz für eine solche "Energiepartnerschaft" mit Nordafrika.
Als physikalisch-technisch mit Abstand vorteilhafteste Standorte mit einem mehr als 10-fach größerem Potenzial sind dort jedoch Algerien, Libyen und Ägypten ausgewiesen, allerdings in dem zugehörigen Hintergrundpapier versehen mit dem Hinweis: "In diesen Ländern sind die sozioökonomischen Bedingungen jedoch schlechter".
Welche Kriterien hierbei zugrunde gelegt wurden, ist aber aus den Erläuterungen auf der Website des Projektes nur mit schwammigen Begriffen dargestellt und zudem relativiert mit dem Hinweis auf den vorläufigen Charakter der Kriterien, die in einen Gesamtindex eingeflossen sind. Wenngleich sich damit die erfolgten Abstufungen einer detaillierten Kritik entziehen, so kann zumindest die bereits bei dem früheren Desertec-Projekt vorhandene Präferenz für Marokko bewertet werden. Benötigt wurden und werden dafür "stabile" politische Verhältnisse.
Seit Jahrzehnten hat Marokko die angrenzende Westsahara völkerrechtswidrig besetzt und ist damit neben Israel (mit dem Westjordanland) der einzige Staat weltweit, der offen ein fremdes Territorium kolonial besetzt hält. Marokko dient neben Tunesien auch als Brückenkopf der NATO in Nordafrika.
Anfang 2021 gab es aber eine erhebliche diplomatische Verstimmung zwischen Deutschland und Marokko. In einer Erklärung des marokkanischen Außenministeriums ist von "feindseligen Handlungen und Aktionen" die Rede, indem sich Deutschland "durch eine negative Haltung in der marokkanischen Sahara-Frage hervorgetan" habe.
Auf dem ersten Blick mag dieses der deutschen Präferenz für Marokko als "Energiepartner" widersprechen, denn auch in dem o.g. SRU-Gutachten zur Nationalen Wasserstoffstrategie wird (unter Absatz 196) bezugnehmend auf diesen Vorgang kritisch angemerkt, dass dieses "mit den gleichen geopolitischen Risiken verbunden [ist] wie der heutige Import von Erdgas." Man muss dabei jedoch die Motive des Königreichs Marokko verstehen.
Bereits nach Gründung der Desertec-Initiative 2009 konzentrierte sich nämlich bereits deshalb alles auf Marokko, weil andere nordafrikanische Länder zwar auch bereits sehr stark an den Entwicklungspotenzialen der Solarenergie interessiert waren, jedoch damals bereits erkannten, dass Photovoltaikanlagen viel mehr als solarthermische Kraftwerke für die eigenen Entwicklungsziele geeignet sind.
Für Marokko hingegen ergab sich damals bereits die Chance, die diplomatische Isolierung als Kolonialmacht abzuschütteln, indem man die Wirtschaftsinteressen einer globalen Führungsmacht wie Deutschland bedient. Insofern ist die jüngste diplomatische Verstimmung nichts anderes als ein Erpressungsversuch: Deutschland soll gefälligst die menschenrechts- und völkerrechtswidrigen Interessen Marokkos bedienen, mit der Unterstützung deutscher Wirtschaftsinteressen und der NATO-Partnerschaft als Gegenleistung.
Dass man bei Libyen aktuell von schlechten sozioökonomischen Bedingungen (gemäß PtX-Atlas) sprechen kann, leuchtet ein. Allerdings spielte Libyen bereits bei Vorstellung des Desertec-Projektes 2009 keine große Rolle, zumindest als Standort für solarthermische Kraftwerke. Damals war Libyen hingegen das am weitesten entwickelte Land Afrikas. Deren Machthaber Gaddafi hatte auch Pläne, um in regionaler Zusammenarbeit mit den angrenzenden Ländern deren wirtschaftliche Entwicklung durch regionale Kooperation zu fördern. Mit seinem gewaltsamen Sturz durch die NATO-Intervention 2011 zerschlugen sich jedoch diese Perspektiven und führten zum Absturz des Landes in einen "failed state".