Deutsche Friedensmission im Nordirak unerwünscht
Düsseldorf: Bundespolizei verweigert Ausreise - laut Delegation auf Betreiben der Bundesregierung
Am Samstagvormittag wollte eine deutsche Delegation von Düsseldorf nach Erbil fliegen, um die Auswirkungen der Angriffe der türkischen Armee auf die Grenzregion im Nordirak zur Türkei zu dokumentieren. Zur Delegation gehörten auch deutsche Parlamentarier. Am Flughafen Düsseldorf verweigerte ihnen die Bundespolizei die Ausreise in den Irak.
Die ca. 17 Delegationsteilnehmer wollten mit kurdischen Zivilisten reden, deren Dörfer bei den türkischen Angriffen zerstört wurden. Es sollte auch Gespräche mit verschiedenen Bürgermeistern geben. Sie wollten Gespräche mit verschiedenen Organisationen führen, um einen innerkurdischen Krieg zwischen der konservativen Barzani-Regierung und der kurdischen Arbeiterpartei PKK zu verhindern und um einen Dialog für einen Frieden zwischen den beteiligten Akteuren zu ermöglichen.
Die Ausreiseverweigerung erfolgte nach Aussagen der Delegationsteilnehmer auf Betreiben der Bundesregierung. Nach Verhören am Flughafen wurde einigen Teilnehmenden eine einmonatige Ausreisesperre in den Irak auferlegt. Die Delegationsteilnehmer bezeichnen das Vorgehen deutscher Behörden als aktive Unterstützung für den Krieg der Türkei im Nordirak.
"Belastung der Beziehungen mit der Türkei"
In einer Erklärung wiesen die Delegationsmitglieder darauf hin, dass im Nordirak ein offensichtlich völkerrechtswidriger Angriffskrieg der Türkei auf nordirakisches Territorium stattfinde. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hatte nämlich bereits im vergangenen Jahr die grenzüberschreitenden Militäroperationen der Türkei gegen die PKK im Nordirak als völkerrechtswidrig bewertet.
Die Bundespolizei unterstellte nun den Teilnehmern, sie wollten an Aktionen der PKK gegen die türkische Armee teilnehmen. Eine Teilnahme deutscher oder europäischer Staatsbürger würde die Beziehungen mit dem Nato-Partner Türkei belasten. Weiter unterstellte ihnen die Bundespolizei, gemeinsam mit der PKK junge Menschen für die PKK gewinnen zu wollen. Das Ganze liest sich, als ob Erdogan der Bundesregierung, bzw. der Bundespolizei das Ausreiseverbot diktiert hat.
Die Delegation war unterwegs, um im Konflikt zwischen der die Türkei unterstützenden kurdischen Autonomieregierung und der PKK für einen friedlichen Lösungsweg zu werben. Wie man weiß, unterhält die Bundesregierung freundschaftliche Beziehungen zur konservativen kurdischen Autonomieregierung. Sie bildet u.a. die kurdischen Peschmerga aus. Eigentlich müsste sie das Engagement von Parlamentariern und engagierten Menschen aus der Zivilbevölkerung begrüßen.
Nach jahrzehntelangem Blutvergießen müsste inzwischen klar sein, dass die Auseinandersetzungen im Nordirak, in Nordsyrien und in der Türkei nur durch Friedensgespräche und nicht mit Waffengewalt gelöst werden können. Ob man es gut oder schlecht findet - es ist auch klar, dass große Teile der kurdischen Bevölkerung mit der PKK sympathisieren, und zwar vor allem, weil die Türkei seit fast 100 Jahren eine brutale Assimilierungspolitik gegen die Kurden betreibt. Andererseits ist auch bekannt, dass die Türkei den IS und die al-Nusra-Miliz mit Waffen ausgestattet hat. Das haben nun auch die Enthüllungen des Mafia-Paten Peker bestätigt.
Einige Delegationsteilnehmer sind Mitglieder in deutschen Parlamenten, wie z.B. die Fraktionschefin der Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft, Cansu Özdemir.
Wir sind seit mehreren Stunden in einem Raum ohne Fenster eingesperrt. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Delegation werden derzeit auf der Flughafenwache einzeln verhört. Als "Begründung" wurden uns lediglich "politische Aktivitäten einzelner Delegationsmitglieder in der Vergangenheit" genannt. Der Anschlussflug nach Erbil ist mittlerweile ohne unsere Delegation gestartet. Das Gepäck wurde bereits ausgecheckt, was nahelegt, dass geplant war, die Delegationsreise zu verhindern.
Cansu Özedemir, Focus
Absprache zwischen türkischer Regierung und deutschen Sicherheitsbehörden?
Das hört sich nach einer Absprache zwischen der türkischen Regierung und deutschen Sicherheitsbehörden an. "Offenbar hat die Bundesregierung kurz vor der Wahl besonders wenig Interesse daran, dass es zu Spannungen mit der türkischen Regierung kommt. Der Dreck, den die türkische Regierung dort mit der KDP abzieht, soll nicht an die Öffentlichkeit," wird Özdemir weiter zitiert.
Die Hamburger Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) nannte die Berichte über das Vorgehen der Bundespolizei "äußerst befremdlich". Dieses Vorgehen sei möglicherweise rechtswidrig, sofern der Status Özdemirs bekannt gewesen sei. Als Parlamentspräsidentin wolle sie sich selbstverständlich um die Klärung des Vorgangs kümmern.
Normalerweise haben Abgeordnete die Freiheit, sich auch in anderen Ländern ein Bild von Geschehnissen zu machen. Auch die Teilnahme an Kongressen und Tagungen darf ihnen nicht verwehrt werden. Deshalb ist zu vermuten, dass dies noch ein parlamentarisches Nachspiel haben wird.
Erbil
Der Berliner Abgeordnete Hakan Tas, der ebenfalls der Friedensdelegation angehörte, wurde in Erbil 13 Stunden lang im Flughafen festgehalten. Er wurde zweimal von Sicherheitsbehörden verhört, durfte sich nicht waschen und wurde nicht mit Lebensmitteln versorgt. Schließlich durfte er dann doch noch einreisen.
Am Sonntag traf er sich zu Gesprächen mit dem Gouverneur der Provinz Dohuk, Ali Tatar (KDP). Einer Schweizer Delegation wurde ebenfalls die Einreise verweigert. Sie sollen am Dienstag ausgewiesen werden. Aus Protest sind sie in einen Hungerstreik getreten. "Wir wollten uns hier dafür einsetzen, einen innerkurdischen Krieg zu verhindern", erklärte Demir Çelik, Ko-Vorsitzender der Föderation demokratischer Aleviten (FEDA), gegenüber dem kurdischen Medium ANF. (Anm.: Çelik ist der ehemalige Bürgermeister der türkischen Stadt Varto und lebt mittlerweile im Exil in der Schweiz.)
Auch die niederländische Journalistin Friederike Geerding wurde in Erbil am Flughafen abgewiesen. Geerding schrieb auf Twitter, die Einreiseverweigerung sei auf Anweisung von Ankara erfolgt. Insgesamt sollen 40 Personen aus 11 Ländern an der Einreise gehindert worden sein.
Angriffe und Vertreibungen: Das Vorgehen der Türkei im Nordirak
Seit Anfang des Jahres hat die Türkei ihre Angriffe auf den Grenzbereich im Nordirak intensiviert und zahlreiche Militärbasen errichtet. Wie in Nordsyrien ist ihr Ziel die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus der Grenzregion und die Ausbeutung der dort vorhandenen natürlichen Ressourcen. Die Türkei begründet dies mit der Schaffung eines "Sicherheitsgürtels", um türkisches Territorium vor Angriffen der PKK zu schützen.
Mit dem gleichen Argument besetzte die Türkei Afrin, Ra's al-Ain (kurdisch: Serekaniye) und Tal Abjad (kurdisch: Gire Spi) in Nordsyrien, obwohl es zu keinem Zeitpunkt zu Angriffen auf türkischem Territorium aus der Region kam. Das Gleiche gilt auch für das Grenzgebiet im Nordirak. In der fruchtbaren bergigen Region gibt es viele kurdische Dörfer, die Felder und Wälder bewirtschaften. Auch dort gab es keine Angriffe von der PKK auf türkisches Territorium.
Nach Angaben der Christian Peacemaker Teams wurden mehr als 1.500 Menschen aus 22 Dörfern im Gouvernement Dohuk vertrieben und Tausende Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche durch das türkische Militär verbrannt.
Auch der Barzani-nahe Sender Rudaw berichtete von Plünderungen in den Dörfern und Vertreibungen. Al-Monitor berichtet ausführlich über die Abholzungen der Wälder. Nach Informationen der deutsch-kurdischen HDP-Politikerin Feleknas Uca verkauft die Barzani-Familie die Wälder an ein "türkisches Unternehmen" namens Cengiz. Das gerodete Holz wird dann in die Türkei transportiert.
Das schadet der Wirtschaft des Nordirak und treibt die autonome Region immer weiter in die Abhängigkeit von der Türkei. Ohnehin werden schon ca. 90 Prozent der Waren aus der Türkei bezogen. Eigentlich müsste es ja das Ziel sein, eine eigene Ökonomie zur Versorgung der Bevölkerung aufzubauen, anstatt dies in die Hände anderer Staaten zu geben und damit erpressbar zu werden.
Barzani-Regierung agiert gemeinsam mit der Türkei
Seit Wochen schürt die Partei des Barzani-Clans, die KDP, den aufkeimenden Konflikt zwischen der konservativen kurdischen Bevölkerung und der demokratischen linken Bevölkerung, unter der die PKK auch Sympathisanten hat. Die Wunde sitzt besonders bei den Eziden tief, weil die KDP sie 2014 schutzlos dem IS ausgeliefert hatte. Die PKK hatte damals zusammen mit der syrisch-kurdischen Armee YPG/YPJ einen Korridor nach Nordostsyrien freigekämpft und dadurch Hundertausende Eziden gerettet.
Gemeinsam mit der türkischen Regierung macht die KDP die PKK für die militärischen Auseinandersetzungen verantwortlich. Dabei wurden auch kurdische Zivilisten und Peschmergas getötet oder verletzt. Den lokalen Medien ist allerdings auch die Darstellung zu entnehmen, wonach diese Personen durch die Luftangriffe der Türkei ums Leben gekommen sind.
Autonomieregierung nimmt Politiker aus Nordostsyrien fest
Am vergangenen Donnerstag wurden in Erbil am Flughafen zwei PYD-Politiker und ein Vertreter der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien festgenommen, als sie Gäste in Empfang nehmen wollten. Die nordsyrische Partei PYD hat ganz offiziell eine Vertretung in Suleymania.
Die PYD-Vorsitzende Eyse Hiso forderte die Regierung des Nordirak zur sofortigen Freilassung der Festgenommenen auf. Die KDP unterstütze den türkischen Staat. Die Festnahmen seien ein Anzeichen dafür, dass sich die Krise im Nordirak verschärfe. Es gäbe nicht den geringsten Grund für die Festnahme ihrer Kollegen. Sie seien gegen einen Bürgerkrieg und gegen die Verschärfung der Konflikte unter Kurden.
Diese Entwicklungen sehen nicht nach Frieden aus. Die Türkei dringt immer weiter völkerrechtswidrig in irakisches Territorium ein, Deutschland, Europa und die NATO schweigen und lassen die Türkei gewähren. Bevor die Türkei ihre Militärintervention im Nordirak begann, war es relativ ruhig im innerkurdischen Streit.
Wäre die kurdische Autonomieregierung demokratisch, würde sie die ideologischen Auseinandersetzungen der verschiedenen Fraktionen aushalten und vor allem zulassen. In einer Demokratie darf verbal um die richtige Linie gestritten werden. Dazu müssen aber auch alle Parteien die gleichen Möglichkeiten haben, für ihre Positionen zu werben. Das ist weder in der Türkei noch im Nordirak der Fall. Die Opposition wird mit allen Mitteln bekämpft. Die irakische Regierung ist zu schwach, um wirksam zu intervenieren.
Der irakische Präsident Barham Salih bezichtigt zwar die Türkei des Umweltverbrechens und der Verletzung der Souveränität des Iraks: "Neben der Verletzung des Rechts auf Souveränität, der Gewalt und Vertreibung von Zivilisten wird mit dem Abholzen von Wäldern in Hirure, Batifa und anderen Grenzgebieten in der Region Kurdistan gegen die Menschlichkeit verstoßen und ein nicht zu übersehendes Umweltverbrechen begangen", schrieb Salih auf Twitter. Und: "Unsere Pflicht ist es, diesen Zustand zu stoppen und die Verantwortlichen zu bestrafen."
Das war es dann aber schon an irakischem Engagement.
In dieser Situation ist es unverständlich, warum sich die Bundesregierung auf die Seite der Friedens-Verhinderer schlägt. Alles was zu einer Deeskalation beiträgt, sollte doch wohlwollend unterstützt werden. Es sei denn, die Bundesregierung hat wie die Türkei kein Interesse an einer friedlichen Lösung der sogenannten "Kurdenfrage" in der Region.