Türkei: Wie nahe stehen sich Staat und Mafia?
- Türkei: Wie nahe stehen sich Staat und Mafia?
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Da sich der Pate Sedat Peker auch immer wieder selbst belastet, dürften seine Enthüllungen über kriminelle Verstrickungen der türkischen Regierungsparteien weitgehend glaubwürdig sein (Teil 1)
Seit Wochen bestimmen die Enthüllungen des Mafia-Paten Sedat Peker über die Verstrickungen des AKP-Regimes mit der Mafia die türkische Öffentlichkeit. Über Videobotschaften veröffentlicht er seither pikante Interna über die engen Verbindungen zwischen der türkischen Regierung und dem organisierten Verbrechen. Bei der Bevölkerung kommen die Videos gut an. Da Peker sich mit seinen Enthüllungen immer wieder selbst belastet, gilt der Mafiaboss als weitgehend glaubwürdig. Obwohl die Youtube-Botschaften bislang mehr als 57 Millionen Mal angeklickt wurden, schweigen die meisten regierungstreuen Medien. Als Musab Turan, Journalist der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, auf einer Pressekonferenz doch einmal unangenehme Fragen stellte, wurde er sofort entlassen und als Staatsfeind diffamiert, wie der Spiegel am 22. Mai berichtete.
Zur Person Sedat Peker
Peker ist ein besonderer Krimineller. Vorbestraft wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, stand er wegen Mordes, Mordversuchs, Entführung und anderen Vorwürfen mehrmals vor Gericht. 2007 wurde er wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und Freiheitsberaubung in zwei Fällen zu rund 14 Jahren Haftstrafe verurteilt. Doch schon nach sieben Jahren Gefängnis wurde er entlassen.
Peker ist ein nationalistischer Mafiaboss und galt bisher als Anhänger des türkischen Präsidentn Recep Tayyip Erdoğan. Gerüchten zufolge hielt Erdogan seine schützende Hand über Pekers Mafia-Netzwerke, weil dieser mit groß angelegten Kampagnen in den Social Media für die AKP eintrat. Der Tagesspiegel berichtete bereits von Drohungen Pekers, Gegner der Regierung Erdoğans am nächsten Baum aufzuhängen und in ihrem Blut zu baden.
Was im Falle von Mitgliedern der linken Demokratischen Partei der Völker (HDP) sofort zu Verhaftungen wegen Terrorismusverdachts führen würde, fiel bei Peker unter "Meinungsfreiheit". Im internen Machtkampf zwischen verschiedenen Fraktionen der AKP und ihres Juniorpartners, der Partei der nationalistischen Bewegung (MHP), geriet Peker nun offenbar zwischen die Mühlen und wurde von Erdoğan fallen gelassen. Im April diesen Jahres wurden 121 Wohnungen aus Pekers Umfeld durchsucht und 54 Personen festgenommen.
Bei der Durchsuchung seiner Villa im Istanbuler Stadtteil Beykoz soll seine Ehefrau und Anwältin Özge Yilmaz misshandelt und eine seiner Töchter mit der Waffe bedroht worden sein. Nach seinem Ehrenkodex ist dies unverzeihlich und in mehreren Medien wird dies als Anlass für seine Enthüllungen genannt. Um einer Verhaftung zu entgehen, floh Peker im Januar 2020 ins Ausland und lebt anscheinend mittlerweile in Dubai.
Seinen Platz übernahm ein rivalisierender Mafiaboss: Alaattin Cakici, der ebenfalls ein Mann des "tiefen Staates" ist, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt. Er ist Anhänger der ultrantionalistischen Grauen Wölfe und Ex-Agent des türkischen Geheimdiensts MIT. Cakici gab in der Verangenheit unter anderem die Ermordung der eigenen Ex-Ehefrau in Auftrag und wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt.
Im Sommer 2020 kam Cakici frei, weil die Regierung die Zellen tausender Schwerkrimineller öffnete - angeblich, um in den Gefängnissen die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, allerdings profitierten davon nicht die zahlreichen inhaftierten Oppositionellen. Hinter Cakicis Freilassung stand Devlet Bahçeli, Chef der rechtsextremen MHP. Er nennt Cakici seinen Freund und besuchte ihn mehrfach im Gefängnis.
Innenminister Soylu schützte den Mafiapaten
Eine zentrale Rolle bei den Enthüllungen Pekers spielt der türkische Innenminister Süleyman Soylu (AKP). Er gehört dem rechten Flügel der AKP an, der eine ideologische Nähe zur MHP hat. Soylu hatte lange seine schützende Hand über Peker gehalten, indem er ihn beispielsweise vor drohenden Razzien warnte. In einer seiner Videobotschaften berichtet Peker, dass er auf Initiative von Soylu Polizeischutz erhalten habe. Wenn ein hochrangiger Mafioso auf Betreiben des Innenministers Polizeischutz erhält, legt dies die Vermutung nahe, dass der Mafioso im Dienste der Regierung agiert hat.
Der Oppositionspolitiker Özgür Özel (CHP) hält Soylu für eine Schlüsselfigur des Beziehungsgeflechts zwischen AKP, MHP und Mafia. Peker berichtet weiter, er habe eine Twitter-Kampagne organisiert, um Soylu zu unterstützen, nachdem der Innenminister wegen einer schlecht organisierten Corona-Ausgangssperre seinen Rücktritt erklärt hatte. In den sozialen Netzwerken wurden damals innerhalb kurzer Zeit mehr als eine Million Nachrichten verschickt, die Soylu zum Bleiben aufforderten. Erdoğan hatte ihn daraufhin im Amt belassen.
Innenminister Soylu spricht von übler Verleumdung, konnte aber die Vorwürfe nicht entkräften. Nach Informationen der Neuen Züricher Zeitung dementierte auch der regierungsnahe Journalist Hadi Özisik, der laut Peker als Mittelsmann zwischen ihm und Soylu fungierte, im Fernsehen alle Vorwürfe gegen Soylu. Nur wenige Minuten darauf veröffentlichte der Mafiaboss die Aufzeichnung eines Videogesprächs, das er dazu mit Özisik geführt hatte.
Nicht nur Soylu scheint rege Kontakte mit Peker unterhalten zu haben. Peker berichtet auch über Aufträge aus Erdogans AKP-Kreisen: Beispielsweise sollte er einen Abgeordneten verprügeln lassen. Für den Auftrag soll er 2015 vom AKP-Abgeordneten Metin Külünk 10.000 Dollar erhalten haben, um einen Mob auf das Verlagshaus der Zeitung Hürriyet loszulassen. Deren Verleger musste seine Zeitung kurz darauf an einen Erdogan-treuen Unternehmer verkaufen. Peker berichtet auch von einem Machtkampf zwischen Innenminister Soylu und Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak um die Nachfolge Erdoğans. Zu diesem Zweck ließ Soylu anscheinend Erdoğans Sprecher und Büroleiter abhören.
Ex-Innenminister Mehmet Agar und die Mafia
Über den ehemaligen Justiz- und Innenminister Mehmet Agar (AKP), dem schon lange Verbindungen zur Mafia nachgesagt werden, berichtet Peker, dass der türkische Staat in dessen Amtszeit in den 1990er-Jahren rechtsgerichtete Mafiosi als Handlanger einsetzte, um kurdische Politiker, Geschäftsleute und unbequeme Personen wie zum Beispiel Behçet Cantürk und Savaş Buldan zu töten. Buldan war der Ehemann der heutigen HDP-Ko-Vorsitzenden Pervin Buldan. Am 3. Juni 1994 wurde er zusammen mit seinen Freunden Adnan Yıldırım und Hacı Karay beim Verlassen eines Hotels in Istanbul von Personen in Polizeiuniform verschleppt. Einen Tag später tauchten die Leichen der drei Männer in der 270 Kilometer entfernten Stadt Bolu auf.
"Buldan und seine Freunde waren gefoltert und anschließend durch Kopf- und Brustschüsse getötet worden. Zahlreiche Brandwunden bedeckten ihre Körper, an manchen Stellen hatte sich die Haut abgelöst", heißt es in einem Bericht der kurdischen Nachrichtenagentur ANF anlässlich der Enthüllung von Peker.
Auch der aufsehenerregende Mord am türkischen Starjournalisten Ugur Mumcu im Jahr 1993 und die späteren Morde an dem türkisch-zypriotischen Journalisten Kutlu Adali und an Theofilos Georgiadis, dem damaligen Vorsitzenden des zypriotischen Kurdistan-Solidaritätskomitees, scheinen auf das Konto von Agar zu gehen. Beide wurden ebenfalls in den 1990er Jahren getötet. Mumcu hatte damals über die Verstrickung von Behördenvertretern in Drogen- und Waffenverkäufe recherchiert.
Adali war zypriotischer Journalist, der über den türkischen Terror in Zypern schrieb. In den 1990er Jahren seien in Zypern Zeitungsredaktionen bombardiert, Autos von Politikern und Journalisten in die Luft gejagt und Parteigebäude beschossen worden, erinnert ANF. Kurz nach der Veröffentlichung des Videos von Peker hob das Berufungsgericht in Ankara die Freisprüche von 19 Angeklagten im Jahr 2019 auf, darunter den von Mehmet Agar, und ordnete die Wiederaufnahme des sogenannten Jitem-Prozesses an. Der Name des Militärgeheimdienstes Jitem ist in der Türkei zum Synonym für den "tiefen Staat" geworden, also für die Zusammenarbeit von Staat, Geheimdienst und organisiertem Verbrechen. 1996 musste Agar wegen des "Susurluk-Skandals" als Innenminister zurücktreten.
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