Türkei: Wie nahe stehen sich Staat und Mafia?
Seite 3: Der "tiefe Staat" ist immer noch existent
- Türkei: Wie nahe stehen sich Staat und Mafia?
- Der Susurluk-Skandal
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Peker nennt noch einen weiteren wichtigen Akteur im internationalen Drogenschmuggel: Erkam Yıldırım, Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım. Dieser soll über Venezuela und Panama Drogen im großen Stil in die Türkei geschmuggelt haben. Belege hierfür lieferte Peker vorerst nicht, wie er überhaupt in seinen Youtube-Videos durch Worte, Bilder an den Wänden seines Home-Studios und Gegenstände auf dem Tisch immer wieder Anspielungen macht, die bisher nur Eingeweihte verstehen, von denen aber das türkische Publikum hofft, dass sie in weiteren Sendungen aufgeklärt werden.
Allerdings ist schon jetzt mehr als deutlich, dass der tiefe Staat nach wie vor existiert und dass der einst als Saubermann aufgetretene Chef der AKP heute selbst Teil dieses Netzwerkes ist.
Die Existenz des "tiefen Staates" wurde in den 1990er Jahren bekannt. Dieses Netzwerk organisierte Morde an Kurden und anderen Oppositionellen und verdiente am Drogenhandel. Besonders involviert war die rechtsextreme Partei MHP, die heute Koalitionspartner der AKP ist. Ein offenes Geheimnis ist, dass der türkische Staat im Kampf gegen linke, kurdische und armenische Gruppierungen auch auf nationalistisch gesinnte Mafiabanden zurückgriff. Als Gegenleistung wurde bei deren kriminellen Geschäften so manches Auge zugedrückt.
Der Journalist Celal Başlangıç gilt als Experte für den Tiefen Staat, Spezialkriegsführung und organisierte Kriminalität. Unlängst berichtete er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur ANF über einen Mafiakrieg innerhalb des Regimes. Als deutlichsten Beweis führt er den Führungswechsel in der Mafia in der Türkei an: die Freilassung des rechtsextremen Mafia-Paten Alaattin Çakıcı, - auf Betreiben der MHP. Zwischen der AKP und MHP scheint es zudem eine Arbeitsteilung bei den Mafia-Aktivitäten zu geben. Gewinne aus der illegalen Umwandlung von Gelände in Bauland wurden zum Beispiel über die MHP abgewickelt, während Ausschreibungen oder Gewinne aus obskuren Geschäften, die gesetzlich noch irgendwie zu legitimieren waren, bei der AKP verblieben.
Den Susurluk-Skandal führt Başlangıç auf die kurdische Frage zurück. Er ist der Meinung, dass der türkische Staat damals auf die Mafia setzte, um gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK und andere Organisationen, die sich für die Anerkennung der Kurden als ethnische Minderheit einsetzten, vorzugehen. Heute werde die Mafia in dieser Frage nicht mehr gebraucht. Vielmehr sei sie nunmehr direkt im Staatsapparat verankert und auf anderen Feldern aktiv. Die Mafia ist Teil der Staatsstruktur, meint Başlangıç. Was nichts anderes heißt, als dass der tiefe Staat, die Politik der Türkei mitbestimmt.
Die Pelikan-Gruppe
Die geheime "Pelikan-Gruppe" wurde erstmals im Mai 2016 bekannt. Sie startete eine Website mit dem Titel "Pelikan Files". Dahinter stand nach Informationen des Deutsch-Türkischen Journals eine Gruppe von Erdogan-Anhängern wie zum Beispiel Hilal Kaplan, Melih Altınok, Süheyb Öğüt, Cemil Barlas, die im Namen von Turkuaz Media auftraten, um Serhat Albayrak und seine Machenschaften reinzuwaschen. Finanziert wird die Pelikan-Gruppe durch Berat Albayrak und die private Krankenhauskette Medipol, deren Eigentümer der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca ist.
Der Pelikan-Gruppe wird nachgesagt, die türkische Justiz unterwandert zu haben und einen "Staat im Staate" zu bilden. "Neben der politischen Einflussnahme weiß man wenig über die Finanzströme der Gruppe. Falls dieser Aspekt aufgedeckt werden wird, ist es wahrscheinlich, dass eine große kriminelle Vereinigung zum Vorschein kommt", glaubt der Journalist Alican Uludag von der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet.
Peker bringt die medienwirksamen Hausdurchsuchungen bei seiner Familie und seinem Umfeld mit einer Kooperation von Mehmet Agar und der Pelikan-Gruppe von Serhat und Berat Albayrak in Verbindung.
Reaktionen aus dem Hause Erdoğan
Wochenlang schwieg Erdoğan zu den Enthüllungen. Nun äußerte er sich letzten Mittwoch und nahm Innenminister Soylu in Schutz. Dies ist merkwürdig, wäre es doch eine gute Gelegenheit gewesen, den zu mächtig gewordenen Innenminister los zu werden, der sich für die Ära nach Erdogan in Position bringt. Aber wahrscheinlich würde er den Bruch mit der MHP riskieren, die sich letzten Dienstag hinter Soylu stellte. Angesichts schwindender Mehrheiten ist die AKP auf die MHP angewiesen.
Denis Yücel schreibt in der Welt, Erdogans Strategie zur Lösung der Mafia-Affäre könnte eine weitere Polarisierung der Innenpolitik sein. Dabei sei sein neues Ziel Meral Aksener, Chefin der säkular-nationalistischen "Guten Partei". Diese sei kürzlich in der Schwarzmeerregion von AKP-Anhängern bedrängt worden. Erdogans Botschaft an Aksener: "Das war erst der Anfang. Wart nur ab, das sind noch die guten Tage." Der einstige AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu, der einst in Deutschland in Talkshows für Erdogan Wahlkampf machte, erklärte dazu: "Nach dieser Erklärung des Staatspräsidenten kann in der Türkei kein Politiker, der ihm widerspricht, sich noch seines Lebens sicher fühlen."
Ob die Strategie der Polarisierung aufgeht, ist schwer vorauszusagen. Jedenfalls hat Peker schon mal mögliche Themen für weitere Videos angedeutet, die Erdogan direkt in die Bredouille bringen könnten: die Themen Syrien und Iran. In Syrien organisierte die Türkei bekanntermaßen Waffenlieferungen und logistische Unterstützung für die Freie Syrische Armee, für den Al-Qaida-Ableger Al Nusra-Front und für weitere dschihadistische Gruppen bis hin zum Islamischen Staat, berichtet die ‚Welt‘. Peker könnte dazu weitere Insider-Informationen liefern, denn er selbst ließ vier Lastwagenladungen zur Unterstützung an turkmenische Kämpfer in Nordsyrien liefern, wofür er von der AKP-Presse gefeiert wurde.
Beim Thema Iran geht es um Geschäfte unter Umgehung des US-Embargos. In den USA wird ein unter dem ehemaligen Präsidenten Trump verschlepptes Verfahren gegen eine türkische Staatsbank nun fortgesetzt. Kronzeuge ist Reza Zarrab, der einst von AKP-nahen Medien als "Geschäftsmann des Jahres" gefeiert wurde.
Und was sagt die Bundesregierung?
Hier herrscht Schweigen zu der Affäre. Beim ehemaligen Außenminister Sigmar Gabriel und dem jetzigen Außenminister Heiko Maas (beide SPD) ist das nicht verwunderlich. Schließlich spielte Gabriel bei einem Treffen den Teejungen für den türkischen Außenminister Cavusoglu und erntete international Spott für diese Bücklingsgebärde. Maas und Cavusoglu sind mittlerweile Duzfreunde. Sinngemäß wird uns immer wieder erklärt, so schlimm sei es um die Türkei auch nicht in Sachen Demokratie bestellt. Die Enthüllungen des Mafia-Paten Peker sprechen eine andere Sprache.
Demnach sitzt die Mafia mit in der Regierung. Die Bundesregierung, allen voran Außenminister Maas müssten eigentlich wissen, dass sie auch beim "Flüchtlingsdeal" mit Erdogan indirekt mit der Mafia verhandeln und Geschäfte machen. Schwer zu glauben, dass ihnen das nicht bewusst ist. Nun liefert der Mafia-Pate Peker der Bundesregierung, der EU und den USA die Hintergrundinformationen auf dem silbernen Tablett.
Konsequenzen in der Türkei-Politik wird dies aber wahrscheinlich nicht haben. Während Außenminister Maas dem belorussischen Präsident Lukaschenko mit einer "Sanktionsspirale" droht, weil er eine RyanAir-Maschine zur Landung gezwungen hat, um einen Oppositionellen und seine Freundin zu verhaften, schweigt Heiko Maas zu den massenhaften Verhaftungen von Mitgliedern der türkischen Oppositionspartei HDP und den völkerrechtswidrigen Besetzungen von Gebieten in Nordsyrien und Nordirak. Telepolis verfolgt mit Interesse die weiteren Enthüllungen Pekers und wird weiter berichten. Peker hat weitere Videobotschaften unter anderem auch über seine Beziehung zu Erdogan angekündigt.
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