Deutsche Künstler und Journalisten als "IM" der USA?
Selbst Heinrich Böll arbeitete jahrelang - möglicherweise unwissentlich - dem CIA zu
Jedes große Unternehmen zahlt heute seine Spin-Doctors und Lobbyisten, um seine Interessen durchzusetzen. Der US-amerikanische Geheimdienst CIA war in den späten 50ern seiner Zeit bereits weit voraus, wie eine ZDF-Dokumentation belegt: ob Literaten, Musiker, Mitarbeiter von Verlagen oder des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – alle wurden aus Washington ferngesteuert.
Dass im Osten keine Freiheit herrschte, ist hinlänglich bekannt: in der DDR war ein immer größerer Teil der Bevölkerung damit beschäftigt, den Rest zu überwachen und der große Bruder in Moskau hatte mit dem KGB seine Finger ohnehin überall drin. Dissidenten erhofften sich im Westen, nun von den Nachstellungen der Geheimdienste sicher zu sein – und waren doch wieder schneller in deren Fängen, als sie sich vorstellen konnten, nur diesmal denen der anderen Seite im Kalten Krieg.
Mehrere hundert Millionen Dollar investierte der US-Auslandsgeheimdienst CIA, um in einer der größten Nachkriegsoperationen ein weltweites Kulturnetz zu knüpfen. Zentrum der CIA-Aktivitäten war der bis vor kurzem noch hochgelobte "Kongress für kulturelle Freiheit" – eine Organisation mit Sitz in Paris unter vollständiger Kontrolle der dort tätigen US-Agenten. Der "Kongress" unterhielt in sämtlichen Staaten Westeuropas nationale Zweigorganisationen und die Pariser Zentrale finanzierte in großem Stil "Kongress"-Zeitschriften für den Einsatz in Afrika, Lateinamerika und den arabischen Ländern. Ziel war der Kampf für amerikanische Werte in Bildender Kunst, Literatur und Musik. Insbesondere sozialkritische Intellektuelle und Künstler aus dem linken Lager waren für den "Kongress" von Interesse. Mit geheimdienstlichen Mitteln sollten sie marxistischen Einflüssen entzogen und für den Einsatz an der US-Kulturfront bereitgemacht werden.
Als Alexander Solschenizyn 1974 aus der Sowjetunion ausgebürgert wurde und bei Heinrich Böll Zuflucht fand, war dies kein Zufall: Böll wurde vom CIA überwacht und alle Treffen des Literaten mit literarischen und politischen Persönlichkeiten des Ostblocks landeten in vertraulichen westlichen Geheimdienstprotokollen. Der "Kongress für kulturelle Freiheit" praktizierte realen Orwellschen Neusprech: Kulturell waren die Literaten wohl frei – sonst aber nicht.
Unter dem Motto „Freie Kultur in einer freie Welt“ tagte der Verein unter anderem drei Tage in Berlin unter dem Funkturm und zum Abschluss sagte der englische Schriftsteller Arthur Köstler in einer Ansprache in sehr militaristischer Sprachwahl schließlich, es sei an der Zeit, der Neutralität Lebewohl zu sagen und verriet damit beinahe mehr über die Veranstaltung, als deren Initiatoren lieb war.
Die Intellektuellen des Westens haben ihre Defensivpositionen verlassen. Freunde, die Freiheit hat die Offensive ergriffen!
Arthur Köstler
Heimlicher Kopf der Kölner Gruppe der CIA-Organisation war Josef Caspar Witsch, ein ehemaliger nationalsozialistischer Kulturfunktionär und SA-Mann, so die ZDF-Dokumentation, der den Literaturverlag Kiepenheuer & Witsch gegründet hatte. Reinhold Neven Du Mont, der 1963 bei Kiepenheuer & Witsch einstieg und 1969 den Verlag übernahm, sagt hierzu aus, dass es neben den seriösen, literarischen Werken im Programm von Kiepenheuer & Witsch auch eine ganze Reihe zwar ebenso seriöser, aus den USA stammende Werke im Kiepenheuer & Witsch-Fundus gab, bei denen man sich aber doch fragte, wie diese anspruchsvollen Übersetzungen wohl finanziert worden seien.
Schon damals vermutete man den CIA als heimlichen Geldgeber, so Du Mont. Wie weit Böll von seinem Verleger Witsch über die Hintergründe des "Kongress für kulturelle Freiheit" aufgeklärt wurde, ist offen. Jedoch lieferte er die Berichte über seine Besuche im Ostblock bei Witsch ab, der sie an den CIA weiter gab und tauchte dort auch namentlich auf den Listen mit Finanztransfers auf.
Mit im Kölner Kreis waren neben Rundfunk- und Fernsehleuten des westdeutschen Rundfunks der ehemalige Agent der NS-Auslandsspionage und SS-Untersturmführer Behrend von Nottbeck und der frühere Gestapo-Lockspitzel und USA-Feind Hans Otto Wesemann, so die ZDF-Dokumentation. Erst Mitte der 60er sickert durch, dass das Geld für die Aktivitäten vom CIA kommt – offiziell war die Ford-Stiftung der Sponsor. Die Beteiligten akzeptieren dies, „na endlich geben sie ihr Geld einmal für etwas richtig Gutes aus“, so Sabine Brandt, Kongress-Geschäftsführerin in Köln von 1959 bis 1961.
Als französische Plattform der Einflussnahme diente die Zeitschrift "Preuves" unter dem Soziologen Raymond Aron. In Deutschland sammelte der "Kongress" seine ahnungslosen Kulturträger im Umkreis des Blattes "Der Monat". In England war es der „Encounter“. Die Finanzierung übernahm ab etwa 1958 die CIA. Wie Tom Braden, Ex-CIA-Agent, berichtet, sprach der CIA reiche US-Bürger an, dass er Stiftungen in ihrem Namen gründen wolle. Ein „o.k.“ des Namensgebers, ein Hotelzimmer als Postadresse, ein Briefkopf – und fertig war die Stiftung, die nun die Literatenvereine finanzieren konnte, ohne dass der CIA direkt namentlich in Erscheinung treten musste.
Ziel der Unterwanderung waren linke Intellektuellenkreise. Diese durften durchaus Kritik an den USA äußern, sollten aber nicht kommunistisch aktiv werden – die Angst vor der roten Gefahr war groß, es war das Zeitalter von McCarthy. Man wollte die gemäßigte Linke, die engagierten Intellektuellen ohne deren Wissen als Verbündete gewinnen, so Erich Schmidt-Eenboom. Carola Stern, die frühere US-Agentin in der DDR, spätere Fernsehjournalistin des westdeutschen Rundfunks und zeitweise Freundin von Heinrich Böll, arbeitete als Lektorin bei Kiepenheuer & Witsch.
Thomas Mann war beim "Kongress für kulturelle Freiheit" beispielsweise unerwünscht. Ebenso Jean-Paul Sarte und Simone de Beauvoir, die nach Äußerungen über die Unterschätzung des Hitlerregimes durch die seinerzeitige französische Regierung von Raymond Aron in der Zeitschrift "Preuves" auch bezüglich ihrer Liebesbeziehung mit Sartre ohne Trauschein attackiert wird. Grund für diese durch CIA-Gelder finanzierten persönlichen Attacken war eine Sympathie Sartres für den „dritten Weg“ von Fidel Castro.
Die Verfilmung von George Orwells „1984“, dessen Beschreibungen monströser Bauten durchaus an die Ost-Monsterbauten beispielsweise in Berlin Mitte erinnern und der mit der Farm der Tiere („Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher!“) ja tatsächlich den Kommunismus kritisierte, was aber in der heute bekannten Form auch auf Eingriffen des CIA beruhte, wurde auf Wirken des CIA gegenüber dem Buch noch deutlich verschärft und zu einem kommunismuskritischen Manifest.
Als die Dirigenten Wilhelm Furtwängler und Herbert von Karajan wegen ihrer NS-Vergangenheit in die Kritik kamen, hielt der "Kongress für kulturelle Freiheit" nach einer Verpflichtung die schützende Hand über sie.
Bei der Malerei war abstrakter Expressionismus gewünscht, das galt als modern. Günter Grass war dagegen, er bevorzugte gegenständliche Malerei. Ebenso wurde der als Nobelpreiskandidat gehandelte chilenische Dichter Pablo Neruda gezielt mit CIA-Mitteln diskreditiert, um dies zu verhindern.
Am 27. April 1966 berichtete die New York Times über die CIA-Finanzierung des "Kongress für kulturelle Freiheit". Damit war es mit all den von ihm getragenen Literaturzeitschriften vorbei. Die US-Kontakte blieben jedoch, ebenso die Finanzierungen. Den „Monat“ kaufte die „Zeit“ auf.
Die auf Arte TV erstmals ausgestrahlte Dokumentation "Benutzt und gesteuert – Künstler im Netz der CIA" entstand nach dreijähriger Recherchearbeit in zahlreichen Dokumenten, die in US-Archiven lagern und über die damaligen Arbeitszentren in der Bundesrepublik Auskunft geben. Sie gibt Anlass zur Neubewertung der Kulturszene im Nachkriegseuropa.
Benutzt und gesteuert, Künstler im Netz der CIA, Dokumentation, Regie: Hans-Rüdiger Minow , Zweites Deutsches Fernsehen, Deutschland 2006, 52 Minuten. Erstausstrahlung Arte TV, Mittwoch, den 29. November 2006, 20.40 Uhr