Deutsche Rüstungsexporte: Rekordstand oder restriktiv?
Mit der "Maritimen Agenda" wird die Tür zur weltweiten Aufrüstung auf See geöffnet
Inhaltlich hat sich Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister längst festgelegt: Wie kaum einer seiner Vorgänger hat sich der SPD-Politiker kritisch gegenüber Rüstungsexporten gezeigt. Eine "Schande" sei es, "dass Deutschland zu den größten Waffenexporteuren gehört", polterte er 2104 im Interview mit dem "Stern". Als Faustregel für den Export von Rüstungsgütern gab er damals vor: "Keine Waffen an Länder, in denen Bürgerkrieg herrscht. Auch Unrechtsregimen sollte man keine Waffen verkaufen."
Im selben Jahr forderte er, die deutschen Rüstungskonzerne sollten ihre Produktion verstärkt auf zivile Produkte umstellen. Und vor Betriebsräten deutscher Rüstungsunternehmen erklärte er, Arbeitsplätze dürften bei Rüstungsexporten niemals ausschlaggebend sein.
Exporte auf hohem Niveau
Markige Worte, klare Kante also. So weit die Theorie - nun zur Praxis: 2015 fiel laut Rüstungsexportbericht der Bundesregierung das Volumen der Ausfuhrgenehmigungen mit 7,86 Milliarden Euro doppelt so hoch wie im Vorjahr mit 3,97 Milliarden Euro aus.
Im ersten Halbjahr 2016 genehmigte die Regierung laut eigenem Bericht insgesamt wieder Rüstungsexporte im Wert von 4,03 Milliarden Euro. Diese Tendenz setzte sich im zweiten Halbjahr fort. Zum Jahresende gab der Bundessicherheitsrat laut SZ grünes Licht für eine weitere Rüstungsexporte. Nach vorläufigen Zahlen wurde in 2016 der Export von Rüstungsgütern im Wert von 6,88 Milliarden Euro genehmigt.
Weniger Kleinwaffen-Exporte
Außer Ankündigungen also nichts gewesen? Nicht ganz, der Export von Kleinwaffen ging im ersten Halbjahr 2016 auf 11,6 Millionen Euro leicht zurück, im Vergleichshalbjahr 2015 lag das genehmigte Volumen bei 12,4 Millionen Euro. "Der weitere Rückgang des Genehmigungswertes ist Folge der restriktiven und verantwortungsvollen Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung", erklärte das Bundeswirtschaftsministerium dazu. Schon 2015 waren nur Kleinwaffen-Ausfuhren im Wert von 32,43 Millionen Euro genehmigt worden, was ca. 15 Millionen Euro weniger waren als im Vorjahr, als Kleinwaffen im Wert von 47,4 Millionen Euro ausgeführt werden durften.
Doch das Gesamtvolumen der deutschen Rüstungsexporte bleibt unverändert hoch. Gabriel argumentiert an dieser Stelle in der Regel, dass Exportrekorde wie in 2015 durch Altgenehmigungen früherer Regierungen zustande kommen, die er nicht ändern könne. So sei etwa die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern und Panzerhaubitzen an Katar im Wert von 1,66 Milliarden von der schwarz-gelben Vorgängerregierung beschlossen worden.
Das Problem ist nur: An irgendwas liegt es immer. Ob CDU-Kanzlerin oder SPD-Kanzler: Im Ergebnis ist aus allen Versprechen, Rüstungsexporte restriktiver zu handhaben, bislang wenig geworden. Der Umsatz floriert wie eh und je. Bände spricht die Grafik, die das Bundeswirtschaftsministerium zur Verfügung stellt: Die Exporte steigen im Schnitt. Seit 2014 ist das Volumen der ins Ausland verkauften Rüstungsgüter sogar noch mal steil angestiegen.
Maritime Aufrüstung
Und dass das so weitergeht, dafür könnte der deutsche Schiffsbau sorgen. Mit der neuen "Maritimen Agenda 2025", die das Bundeskabinett vor kurzem gebilligt hat, öffnet Wirtschaftsminister Gabriel selbst die Tür zur weltweiten Aufrüstung auf See.
Die Maritime Strategie propagiert als Ziel "Exporterfolge auf Auslandsmärkten und nationale Referenzprojekte", die "von zentraler Bedeutung für die Grundauslastung der deutschen Marineschiffbauindustrie und den Erhalt einer leistungsfähigen nationalen wehrtechnischen Industrie in diesem Bereich" seien.
Der Schiffbau für Marine und Küstenschutz trage heute zu einem Viertel zum Gesamtumsatz der deutschen Schiffbauindustrie bei, heißt es zur Begründung in der Maritimen Agenda. Und weiter:
Angesichts der zunehmenden Bedeutung sicherer Seewege für die Weltwirtschaft, des sich wandelnden sicherheitspolitischen Umfeldes sowie der wachsenden Bedrohungen für die maritime Sicherheit wird die Bedeutung des Schiffbaus künftig weiter steigen. Die globalen sicherheitspolitischen Entwicklungen und der Wandel an erforderlichen militärischen Fähigkeiten führen derzeit sowohl in Teilen der westlichen Industriestaaten als auch weltweit zu einem erneuten Anstieg der Verteidigungsbudgets und zu veränderten Beschaffungsbedarfen; das gilt auch für die Deutsche Marine.
Maritime Strategie
Genscher-Revival
Die deutsche Schiffsindustrie sieht also rosigen Zeiten entgegen und soll "Exporterfolge auf Auslandsmärkten" realisieren, wenn sich etwa in Ostasien China, Japan und die Anrainer des Südchinesischen Meers einen Rüstungswettlauf liefern. Es bleibt also bei der alten Strategie, die Kosten für Rüstungsgüter durch Exporte gering zu halten. Gabriel verfährt offensichtlich nach dem Motto des früheren Außenministers Hans-Dietrich Genscher: "Alles, was schwimmt, geht." Damit hatte Genscher auf undemokratische Länder wie Saudi-Arabien abgezielt, die mit Panzern Volksaufstände niederschlagen könnten, nicht aber mit Schiffen, wie er 2013 in einem Spiegel-Gespräch bestätigte.
In dem Interview wenige Jahre vor seinem Tod warnte Genscher aber auch vor einer "Überflutung aller Erdteile mit Waffen": Die Verhältnisse seien heute andere als im Kalten Krieg: "Wir müssen globale Sicherheit heute auch dadurch fördern, dass wir den Waffenexport einhegen und schrittweise reduzieren." Doch da war der FDP-Politiker eben schon lange nicht mehr im Amt. Genscher reihte sich damit ein in die Reihe von Altpolitikern, die im Ruhestand die Abschaffung aller Atomwaffen oder eine Reduzierung der Rüstungsexporte fordern, die sie in ihrer aktiven Regierungszeit weder hinbekommen haben noch überhaupt angehen wollten.
Auch sein Koalitionspartner aus sozial-liberalen Zeiten, Helmut Schmidt, hatte 2013 deklamiert, es sei "Zeit, Einspruch zu erheben" dagegen, dass Deutschland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt geworden sei. Seine Zeit als aktiver Politiker war da lange vorbei, er war 95 Jahre alt.
Fregatten und Munition
Wie in Vorwegnahme der neuen Strategie hat die Bundesregierung Ende vergangenen Jahres noch mal neue Rüstungslieferungen genehmigt, so eine weitere Fregatte im Wert von einer Milliarde Euro an Algerien. Aber nicht nur Fregatten, auch Waffen werden geliefert: Algerien bekommt 234 Waffenstationen für Radpanzer des Typs Fuchs. Vollautomatische Gewehre gehen nach Oman, Indonesien und Malysia, wobei letztere auch noch Maschinengewehre und Maschinenpistolen erhalten.
Besonders fragwürdig ist aber die Genehmigung für Saudi-Arabien, das mehr als 41.000 Artilleriemultifunktionszünder bekommt, denn das Königreich führt gerade Krieg im Jemen. Die Zünder werden nach Frankreich geliefert, von dort wird das fertige Produkt dann auf die arabische Halbinsel exportiert.
Zugenommen hat auch der Verkauf von Munition. Offenbar, weil sie knapp geworden ist, zum Beispiel in der Türkei, die im ersten Halbjahr 2016 von Platz 25 auf Platz 8 der Abnehmer stieg. Das Land befindet sich im Krieg mit den Kurden und ist in den Krieg in Syrien verwickelt. Als NATO-Mitglied kann es sich auf deutsche Munition dafür verlassen.
"Von Sigmar Gabriels großspurigen Ankündigungen, den deutschen Waffenhandel und die gesetzlichen Regelungen zu verschärfen, bleibt so gut wie nichts übrig", kommentierte die sicherheitspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger. "Der Versuch von Sigmar Gabriel, das mit Sondereffekten aus einzelnen Großaufträgen zu erklären, ist lächerlich – denn solche Großaufträge gibt es in jedem Jahr, auch in den Jahren der Vorgängerregierung“, kritisierte der Linken-Politiker Jan van Aken. "Sigmar Gabriel hat sich öffentlich immer wieder gegen Rüstungsexporte positioniert. Ganz praktisch hat er aber die höchsten Waffenexporte in der Geschichte der Bundesrepublik zu verantworten.
SPD: Letzter Anlauf
Doch Gabriel beharrt darauf, dass seine Rüstungsexportpolitik restriktiv ist. "Die reinen Genehmigungswerte sind allerdings kein tauglicher Gradmesser für die Ausrichtung unserer Exportkontrollpolitik", sagte er. Zudem sollen neue Regelungen her: Der SPD-Verteidigungsexperte Thomas Hitschler soll laut Spiegel ein Positionspapier entworfen haben, das dem Bundestag eine Mitsprache bei Rüstungsexporten einräumen soll. Demnach soll der Bundestag künftig eine Positivliste beschließen, die festlegt, welche Länder außerhalb von EU und NATO überhaupt mit Rüstungsgütern, Waffen und Munition beliefert werden dürfen. Alle drei Jahre soll die Liste überprüft werden müssen. Rüstungsunternehmen müssen Rücklagen bilden, mit denen sie dann für Auftragsausfälle entschädigt werden, wenn der Bundestag ein Land von der Liste streicht.
Das klingt ambitioniert. Ob die SPD das aber als kleinerer Partner in der großen Koalition durchkriegt, ist fraglich. Für die CDU hat Roderich Kiesewetter im "Spiegel" schon mal abgewunken. Außerdem ist die Legislaturperiode bald vorbei, im Frühherbst ist Bundestagswahl. Für neue Ideen, und seien sie noch so großartig, ist es etwas spät.