Deutsche Schützenhilfe für Krieg gegen Kurden?
Seite 2: Die Mär der Türkei vom Kampf gegen den IS
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Bundeskanzlerin Merkel, Verteidigungsministerin van der Leyen und nun auch der Sozialdemokrat Gabriel - alle wollen der Türkei im vermeintlichen Kampf gegen den IS unter die Arme greifen. Dass dies ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver und Rechtfertigungsargument der Bundesregierung ist, zeigen kürzlich bekannt gewordene Aussagen gefangen genommener oder übergelaufener IS-Kämpfer. Videoaufnahmen und Interviews bestärken Vorwürfe, die nicht erst seit kurzem eine Zusammenarbeit zwischen Türkei und IS nahelegen.
In einem auf YouTube veröffentlichtem Interview berichtet nun der französische Dschihadist Thomas Barnouin ausführlich, wie leicht es war, über die Türkei zum IS zu gelangen, obwohl er ein polizeibekannter IS-Anhänger war und schon drei Jahre in Frankreich im Gefängnis saß. Es wird vermutet, dass er hinter den Anschlägen in Toulouse 2012 und in Paris 2015 steckt. Bei dem Attentat in Paris verloren 130 Menschen ihr Leben.
Abdullah Osman Ismet, IS-Mitglied aus der Region Turkestan, stellte sich den SDF und berichtet, dass uighurische Türken aus seiner Heimatregion mit Hilfe des MIT in die Türkei gebracht werden. Dort werden sie in Gruppen auf den Kampf im IS oder in der al-Nusra vorbereitet. Ismet durchlief in Ankara eine fünfmonatige Ausbildung, an der vor allem Menschen aus Turkestan und Usbekistan teilnahmen. Der turkmenische IS-Emir Ebû Elî Tirkistanî warb Ismet und seine Freunde 2015 in Ankara für den IS an:
Geht in den Islamischen Staat. Dort ist Wohnen, Bildung und Nahrung kostenlos. Im Islamischen Staat ist alles viel besser als hier. Alle Frauen sind verschleiert. Wenn ihr den islamischen Glauben leben wollt, dann geht dorthin, denn dort ist der wahrhaftigste Islam.
Ebû Elî Tirkistanî
Über den Grenzübergang Çobanbey nahe Gaziantep konnten sie problemlos die Grenze passieren. Nach Aussagen von Ismet verfügte der IS-Emir über ausgezeichnete Kontakte zur türkischen Grenzpolizei. "Die türkische Grenze war offen, wir hatten keinerlei Probleme. Wir haben nicht einen Soldaten gesehen. Auf der syrischen Seite erwartete uns jemand mit dem Namen Mihemed Tirkistanî." Abdullah Osman Ismet konnte später gegen eine Zahlung von 1.000 US-Dollar mit Hilfe eines Schmugglers aus Rakka fliehen und ergab sich den SDF.
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur ANHA berichtet ein IS-Kämpfer aus Bahrain, der sich ebenfalls den SDF ergeben hatte, über die Zusammenarbeit zwischen dem IS und der Türkei. Auch er traf in der Türkei auf den Emir Ebû Elî Tirkistanî. Der junge Bahrainer Eyub Mihemed Mirbati wird am Flughafen in Istanbul in Empfang genommen und in das Heran Hotel gebracht. Dort traf er auf eine ganze Gruppe Gleichgesinnter.
Auch er berichtet über den problemlosen Grenzübertritt: "Nachdem wir das Hotel verlassen hatten, brachte ein Koordinator uns vor aller Augen in ein Haus in der Nähe der syrischen Grenze. Der Hausbesitzer arbeitete mit dem IS zusammen. Es gibt in der Türkei ein großes IS-Netzwerk und sie alle arbeiten, um den IS zu unterstützen. Es gab hier keine türkischen Soldaten oder Sicherheitskräfte. Frauen waren auch unter uns. Wir fuhren mit einem Auto nach Syrien und wurden in Syrien in der zu Gire Spi gehörigen Gemeinde Siluk in einem Gästehaus untergebracht. Unser Grenzübertritt war so, als wenn man von einem Zimmer ins andere geht."
Mirbati berichtet auch, dass die Türkei dem IS Sprengstoff zur Verfügung stellte: "Alle Materialien kamen aus der Türkei. Wir bauten Raketen, Mörser und Patronenvorrichtungen, Spezialläufe erhielten wir aus der Türkei. Materialen wie Pulver und TNT wurde uns aufgrund einer Vereinbarung mit der Türkei zur Verfügung gestellt. Es gab auch ein Abkommen zum Ölverkauf zwischen dem IS und der Türkei."
Der von den SDF verhaftete tunesische IS-Kämpfer Yasin Boxatim Osman berichtet, dass die Reisewege zum IS von Afrika über die Türkei nach Syrien führen. Unter der Kontrolle des MIT (türkischer Geheimdienst) würden Anwerbung, logistische und militärische Unterstützung des IS über die Türkei stattfinden, so Osman. Nach seiner IS-Ausbildung in Libyen sei er mit dem Flugzeug in die Türkei nach Istanbul gebracht worden.
Aufgrund einer Verletzung musste er in einem Krankenhaus behandelt werden. Aber alles sei gut organisiert gewesen, er sei direkt vom Flughafen mit dem Krankenwagen in das Medicana Krankenhaus gebracht worden. Nach seiner Genesung sei er nach Urfa gebracht und von dort über die Grenze gefahren worden - unter den Augen von türkischen Grenzsoldaten.
Osman berichtet, dass ihre Grundversorgung beim IS über den türkischen Grenzübergang Akçakale-Tell Abyad und den Karkamış-Cerablus Grenzübergang erfolgte. "Waffen, Kleidung, Ausrüstung und Nahrung wurden über diese Grenzübergänge transportiert." Auch das in den vom IS kontrollierten Gebieten geförderte Öl wurde nach seinen Angaben mit Tankfahrzeugen von Syrien in die Türkei gebracht.
Musheb Ebdilfetah Mihemed Sudan, ein IS-Kämpfer aus dem Sudan, ergab sich ebenfalls den SDF und berichtet über seine Arbeit als Ingenieur an den Euphrat-Staudämmen und über die Zusammenarbeit mit der Türkei bei Wasser und Elektrizität:
Meine Aufgabe waren Wasser und Strom. Als der IS die Kontrolle über die Euphrat-Staudämme errungen hatte, war der Wasserstand sehr niedrig … Dann unterschrieb der IS ein Abkommen mit der Türkei und der Wasserstand im Euphrat wurde erhöht. Das war für den IS sehr nützlich, denn Aufgrund dieses Abkommens konnte der IS die Wasser- und Stromprobleme in der Region lösen.
Musheb Ebdilfetah Mihemed Sudan
Er kam über den türkischen Grenzort Kilis nach Azaz, das zu diesem Zeitpunkt unter der Kontrolle des IS stand. Über seinen Grenzübertritt sagte er: "Eigentlich wusste ich gar nicht, dass ich in Syrien war, denn nach Azaz über die Grenze zu gehen, war ganz normal und einfach, wir wurden weder von türkischen Soldaten noch von türkischen Sicherheitskräften behindert und konnten vor ihren Augen völlig entspannt die Grenze passieren."
Die Gründung eines "Nationalen Heeres"
ANF berichtet von einem Abkommen zwischen verschiedenen islamistischen Gruppen und der Türkei zur Gründung eines "Nationalen Heeres". Oberstes Gründungsziel: die Bekämpfung der SDF. In dieses Heer sollen mit einer Zahlung von 5.000 Dollar "Aufwandsentschädigung", IS-Mitglieder in den Reihen der Gruppen Ehrar El Şerqiye und Şaidat aufgenommen werden.
Mittlerweile sollen sich 100 ehemalige IS-Kämpfer dem Euphrat-Schild angeschlossen haben. Das "Nationale Heer" wurde von der Türkei gegründet, um die in der Provinz Idlib und in der türkisch kontrollierten Region im Dreieck Azaz - Jarablus - Minbic befindlichen Gruppen der Freien Syrischen Armee (FSA) zusammenzubringen. Die Finanzierung übernehmen die Türkei und Katar.
Am 24. Oktober 2017 trafen sich die Führer der verschiedenen beteiligten Milizen, der Kommandeur der türkischen Spezialkräfte, MIT-Vertreter und die Gouverneure von Gaziantep und Kilis aus der Türkei. Auf dem Treffen wurde besprochen, die Grenzübergänge (Bab el-Havva und Karkamiş) für die Übergabe der Gelder für die Ausgaben des Nationalen Heers zu nutzen und das Heer in der Form von drei Kolonnen zu organisieren.
Zudem wurde die Einrichtung weiterer militärischer Ausbildungscamps in der Türkei in Ankara, Urfa, Antakya, Kilis und Mersin beschlossen. Erste Waffenlieferungen der Türkei gab es nach ANF-Angaben bereits: Artilleriegranaten, Panzer, Panzerfahrzeuge, BKC-Maschinengewehre, Flugabwehrraketen, Raketen, Wärmebildgeräte, Granatwerfer, wärmegelenkte Raketen - weitere Lieferungen werden in den nächsten Tagen erwartet.
Die Liste könnte noch beliebig weiter fortgeführt werden. Mittlerweile gibt es so viele Indizien, die auf eine Zusammenarbeit zwischen der Türkei und dem IS sowie zur al-Nusra hinweisen, dass man auch nicht mehr von Unwissenheit oder Gutgläubigkeit unserer Politiker sprechen kann, wenn sie behaupten, die Türkei kämpfe gegen den IS.
Eine Studie der amerikanischen Militärakademie besagt, dass 93 Prozent der IS-Kämpfer über die Türkei nach Syrien einreisten. Auch das ARD-Fernsehen berichtete über die Beziehungen des IS zur Türkei.
Die kurdische Zeitung Yeni Özgür Politika veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom Sonntag eine Liste von IS-Stützpunkten in der Türkei, eine Liste von türkischen Organisationen, die den IS direkt unterstützen, sowie von Krankenhäusern in der Türkei im Dienste des IS, darunter auch die Erdogans Ehefrau Emine gehörenden Krankenhäuser "Medical Park" und "Medical Park International".