Deutscher Ökostrom wird nicht verscherbelt

Deutschland ist das einzige Land, mit dem Frankreich 2013 ein Stromhandelsdefizit hatte, doch die Situation ist nicht neu. Man muss dazu den Unterschied zwischen "kommerziellem" (das wird oben in der Grafik gezeigt) und "physischem" Handel kennen. Frankreich exportiert weit mehr Strom nach Deutschland als oben steht, aber Deutschland ist nicht der Käufer. Vielmehr nutzt Frankreich das deutsche Netz im Südwesten, um Strom in die Schweiz und sogar nach Italien zu verkaufen. Quelle: RTE.

Es heißt, Deutschland muss überschüssigen, teuer bezahlten Wind- und Solarstrom zunehmend billig ans Ausland verkaufen. Dabei liegen die Daten doch vor

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bereits letztes Jahr habe ich die versteckte Nachricht in der Pressemeldung von DeStatis entdeckt. Als das Statistische Bundesamt im Frühling 2013 das neue Rekordniveau für Netto-Stromexporte vermeldete, haben alle die Meldung so gedeutet wie RP-Online:

Dass Deutschland so viel Strom exportiert, hat seine Gründe auch in der Überproduktion von Wind- und Solarenergie… An windreichen Tagen reichen allerdings die Stromtrassen derzeit nicht aus, um den gesamten produzierten Strom auch weiterleiten zu können… Und so ist Deutschland gezwungen, seinen Strom zu exportieren… Und so kommt es zwischenzeitlich zu dem Paradoxon, dass die Anbieter hierzulande für ihren Strom, den sie exportieren, auch noch draufzahlen müssen….

Ich addierte die Zahlen und dividierte die Summe, um den Preis jeweils für eine importierte und eine exportierte Kilowattstunde zu bekommen. Et voilà: Die durchschnittliche Kilowattstunde, die Deutschland 2012 exportierte, brachte 5.6 Cent ein, 0.35 Cent mehr als Deutschland für eine importierte Kilowattstunde (5.25 Cent) im Schnitt ausgab. Es war genau das Gegenteil dessen, was alle in die Pressemeldung hineingelesen hatten. Die Öffentlichkeit war desinformiert worden.

2014 hat DeStatis keine Pressemeldung dazu herausgegeben und so holte ich mir die Rohdaten selbst. Und siehe da: Der deutsche Strom war immer noch 0.31 Cent wertvoller als der Importstrom.

Die Zahlen zeigen vor allem große Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich. Während der Strom von Deutschland nach Frankreich 5.34 Cent einbrachte, verdienten die Franzosen nur 4.29 Cent pro kWh für den nach Deutschland verkauften Strom. Das heißt, der französische Strom (nicht an alle Länder verkauft, sondern nur nach Deutschland!) war fast 25% weniger wertvoll als der Strom, den die Franzosen von Deutschland abkaufte. Wie kommt das?

Unflexible Grundlast

Betrachten wir einen weiteren Bericht des Spiegel, seit mindestens 2004 die beste Quelle für haarsträubend verzerrende Berichte über den Energiesektor. Im September 2011 las man dort, Deutschland würde beim Ausstieg nach Fukushima lediglich Atomstrom aus Frankreich und Tschechien kaufen.

Es kam anders. 2014 nahm die tschechische Regierung Abstand vom Bau neuer Kernkraftwerke, weil der Strom von der deutschen Börse so billig geworden sei. 2013 war Frankreich der größte Nettokäufer von deutschem Strom, wie der dortige Netzbetreiber RTE in seinem Jahresbericht zeigt.

Mehr Atomstrom geht auch gar nicht - solche Kraftwerke laufen schon so viel wie möglich. Um beim Beispiel Frankreich zu bleiben: Die Teile fahren nicht mal hoch, um den französischen Strombedarf zu decken. Hier eine Grafik dazu vom Öko-Institut:

Die Linien oben zeigen den Stromhandel, die lassen wir kurz außer Acht und betrachten die Atomstromerzeugung unten (den großen braunen Block für "nuclear power"). Knapp drüber sieht man, wie das Land seine Wasserkraft-, Gas-, und Kohlekraftwerke hoch und herunterfuhr, um dem eigenen Strombedarf (die Linie "French load") zu folgen. Die Kernkraft änderte sich dabei kaum, vor allem ging sie nicht hoch, wenn der Bedarf stieg. Man sieht sogar deutlich, dass Frankreich seinen eigenen Strombedarf chronisch verfehlte; das Land ist auf seine Nachbarländer (vor allem Deutschland) angewiesen, um seinen Spitzenbedarf zu decken!

Ist Ihnen außerdem etwas in der Grafik aufgefallen? Richtig: Die Woche, in der Kanzlerin Merkel acht deutsche Kernkraftwerke abschalten ließ, ist dort abgebildet. Der unbedarfte Leser kann kaum erkennen, dass die Erzeugung des französischen Atomstroms auf die Abschaltung von mehr als 10% des deutschen Stroms innerhalb einer Woche überhaupt reagierte. Der "bedarfte" Leser übrigens auch nicht: Die Experten vom Öko-Institut konnten keine nennenswerte Reaktion in den Nachbarländern finden.

Das liegt daran, dass es seit Jahren Überkapazitäten auf dem Strommarkt gibt, also schlicht zu viele Kraftwerke. Und so konnte Deutschland den fehlenden Atomstrom selbst ersetzen. Die französischen Kernkraftwerke hätten sowieso nicht helfen können, denn sie sind unflexible Grundlastkraftwerke und laufen am liebsten ungestört.

Deutschland exportiert, wenn die Preise hoch sind

Apropos Überschuss

Es stimmt auch nicht, dass Deutschland überschüssigen Ökostrom hat. Der Rekord liegt wohl bei 73% des Bedarfs am 11.5.2014. Mehr als 100% hatten wir noch nicht (kommt aber bald). Das Problem ist aber bereits die Kombination Solar & Wind plus Grundlast. Letzteres hat ein Must-run-Mindestniveau. Das liegt in Deutschland bei rund 20 GW. Liegt der Strombedarf nach Abzug des gleichzeitig erzeugten erneuerbaren Stroms darunter, sinken die Großhandelspreise ins Negative. Der konventionelle Kraftwerkspark zahlt Kunden dann, damit sie mehr Strom verbrauchen.

Da Frankreich mehr Grundlast (Kernkraft ist Grundlast) hat, ist das Problem dort akuter, weswegen die französischen Preise oft weit niedriger sind.

Wenn die Großhandelspreise in Deutschland niedrig sind, dann sind sie manchmal noch tiefer in Frankreich, wie man hier an einem Tag Mitte Juni 2013 sieht. Der große Unterschied zwischen Base & Peak spricht auch Bände: Wenn die Nachfrage niedrig ist, kommen französische Kernkraftwerke an ihre (Unter-)Grenzen. In Deutschland dahingegen steigt die Erzeugung des Solarstroms teilweise schneller als die Nachfrage, so dass Peak-Preise niedriger als Base-Preise sind. Normalerweise ist es umgekehrt. Quelle: EEX

Wir beginnen zu verstehen, warum Deutschlands Strom wertvoller ist. Grundlaststrom muss zu Spottpreisen verschleudert werden, wenn die Nachfrage unters Must-run-Niveau sinkt. Überschüssiger Ökostrom müsste auch verschenkt werden, den gibt es aber noch gar nicht.

"Aber", höre ich Sie einwenden, "RP-Online sagt, Deutschlands Stromleitungen können den ganzen Windstrom gar nicht mehr aufnehmen!" Das stimmt. 2012 gingen so 0,33% deutscher Windenergie verloren. 2011 waren es 0,41%. Die mickrige Summe hat sich also gebessert.

Fassen wir also zusammen: Deutschland kann Strom erzeugen, wenn der Bedarf steigt, d.h. Deutschland exportiert, wenn die Preise hoch sind. Zum Beispiel exportiert Deutschland netto mehr im Winter als im Sommer, wie dieser Überblick für 2013 zeigt.

Quelle: Fraunhofer ISE

Frankreich hat aber mehr Must-run-Kapazitäten und verkauft eher, wenn die Preise niedrig sind. Steigt der inländische Bedarf, importieren die Franzosen - und zahlen dabei Höchstpreise.

Während also manch einer über die Energiewende als deutschen Alleingang meckert, ist Frankreich umgeben von Wende-Ländern. Der belgische Strom ist 2014 zu rund 10% schon Solar & Wind, Spanien bereits zu 25% Wind und 5% Solar, Italien zu 15% Solar & Wind zusammen. Der französische Atomstrom wird langsam aus dem Markt verdrängt und die finanzielle Situation für diese Kraftwerke sieht zunehmend düster aus.

Für die absehbare Zukunft dürfte Deutschland einen Gewinn am europäischen Strommarkt erzielen. Allein der Stromhandel brachte Deutschland letztes Jahr rund 1,9 Milliarden Euro ein, die man der Energiewende zugute schreiben kann. Ich berichtete bereits im Mai darüber, allerdings auf Englisch. Keine Resonanz in der deutschen Presse. Im Juni allerdings kam eine Kleine Umfrage im Bundestag zum gleichen Ergebnis, und wieder wurde kaum darüber berichtet, abgesehen von einigen Blogs. Wird Zeit, dass das bekannter wird.

Craig Morris (@PPchef) schreibt über die Energiewende auf Englisch bei Energy Transitio und Renewables International.