Deutschland am Scheideweg: Wie nachhaltig ist der Wohlstand durch Export?
Seite 3: Warum der Handelsüberschuss abgebaut werden muss
- Deutschland am Scheideweg: Wie nachhaltig ist der Wohlstand durch Export?
- Warum der Stern Deutschlands sinkt
- Warum der Handelsüberschuss abgebaut werden muss
- Auf einer Seite lesen
Es fehlt an der Erkenntnis, dass bereits ein gleichbleibender Handelsüberschuss als Bestandteil der Nachfrage nach deutschen Produkten, mit dem jedes Jahr fest gerechnet wird, die Wirtschaft vulnerabel macht, etwa gegenüber Schocks, die viele Länder parallel treffen, oder gegenüber protektionistischen Bestrebungen. Er müsste also abgebaut werden, will man die Wirtschaft vor weltweiten Konjunkturschwankungen und geopolitischen Spannungen wenigstens etwas mehr schützen.
Werden aber ganz im Gegenteil sogar wieder steigende Überschüsse angestrebt, weil es an binnenwirtschaftlichen Impulsen fehlt, verhält sich das Land wie ein Süchtiger, der immer größere Dosen seines Suchtmittels verlangt. Ein Land, das bei sinkenden, aber immer noch positiven Überschüssen im Bereich von zwei bis vier Prozent des BIP Kopf steht und sich nicht anders aus seiner ökonomischen Misere zu helfen weiß, als noch höhere Überschüsse anzustreben, benötigt Handelspartner, die sich laufend weiter verschulden und niemals ihre Schulden zurückzahlen.
Denn Schulden können nur zurückgezahlt werden, wenn ein Schuldner seinem Gläubiger mehr liefert, als der seinem Schuldner. Dass Deutschland durch diesen merkantilistischen Kurs letzten Endes den Migrationsdruck mit befeuert, den es selbst beklagt, wird zwischen Innen-, Außen-, Finanz- und Wirtschaftsministerium nicht thematisiert.
Vor protektionistischen Tendenzen zu warnen und gleichzeitig nach Mitteln zu suchen, die eigene, ausweislich der Milliardenüberschüsse immer noch zu hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, zeugt von einem auf das Nationale eingeschränkten Horizont und ist bei genauem Hinsehen ein Widerspruch in sich.
Deutschland könnte Schulden im Ausland erlösen
Was soll uns das Ausland denn verkaufen, wenn wir weniger Energie importieren und durch Diversifizierung dem Preisdruck bei Rohstoffen entkommen wollen? Womit soll es unsere – womöglich grünen – Exportschlager bezahlen, die uns nach Bekunden der Regierung den Wohlstand sichern helfen und den Klimaschutz global voranbringen sollen? Wie glaubwürdig kann Deutschland in internationalen Verhandlungen über Klima- wie Migrationsfragen noch auftreten, wenn es geradezu fanatisch an seiner Überschussposition arbeitet?
Eine Möglichkeit bestünde darin, dass Deutschland ausländischen Schuldnern ihre Schulden erlässt, wie das etwa gerade auf dem Klimagipfel afrikanischer Staaten in Nairobi laut Tagesschau angesprochen wurde. Die Verteilungseffekte, die das allerdings für die deutsche Gesellschaft nach sich zöge, machte diese Variante Schule, dürften zu erheblichen Ungerechtigkeiten im Inland führen. Denn dann würden die Gewinne deutscher Exporteure privatisiert, parallel dazu die entsprechenden Arbeitsplätze subventioniert und die Verluste in Form von Schuldenerlass für die ausländischen Abnehmer in Deutschland sozialisiert.
Es führt kein Weg daran vorbei: Jedes Land muss aus sich selbst heraus Entwicklungsimpulse schaffen. Beggar-the-neighbour-Strategien (wozu auch der Standortwettbewerb zwischen Staaten zählt) bringt Entwicklung auf Kosten anderer Länder und meist auch auf Kosten eines Teils der eigenen Bevölkerung, sei es in Form von Niedriglöhnen, Altersarmut oder Mangel an öffentlichen Gütern.
Am Rande sei noch angefügt, dass es schon einer ordentlichen Portion Chuzpe bedarf, wenn Industrievertreter einerseits mit dem Umzug ihrer Branche ins z. B. strompreisgünstigere oder mit Subventionen lockende Ausland und einem damit verbundenen Verlust von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen im Inland drohen und andererseits einen Mangel an Fach- oder gar Arbeitskräften hierzulande beklagen.
Politiker, die sich um das Anwerben und Integrieren ausländischer Arbeitskräfte bemühen, aber nicht wissen, wie sie der Wohnungsnot Herr werden oder eine ausreichende Zahl an Kita- und Schulplätzen schaffen sollen, täten gut daran, einmal in Ruhe über die widersprüchliche Argumentation der sie unter Druck setzenden Lobbyisten nachzudenken. Mein Tipp: Wenn man den Wunsch, Exportgewinne zu erhalten, als Ausgangsmotiv für das Potpourri an Forderungen unterstellt, versteht man die Zusammenhänge recht schnell.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.