Deutschland am Scheideweg: Wie nachhaltig ist der Wohlstand durch Export?

Seite 2: Warum der Stern Deutschlands sinkt

Was hat sich also hierzulande so zum Schlechten verändert, dass nicht nur deutsche Oppositionspolitiker, sondern auch Wirtschaftsverbände, viele Ökonomen und die Medien kaum ein gutes Haar am Standort Deutschland lassen? Hatte es nicht nach dem Corona-Schock geheißen, Deutschland sei besser durch die Krise gekommen als andere?

Als sich 2022 aufgrund des Ukrainekriegs und der EU-Sanktionen gegen Russland die Preise für fossile Brennstoffe und weitere Rohstoffe massiv erhöhten, verschlechterten sich die Terms of Trade (das Verhältnis von Export- zu Importpreisen) für Deutschland stark.

Der Handelsüberschuss sank im vergangenen Jahr trotz zunehmender Exporte um über die Hälfte, und auch der Saldo der Leistungsbilanz halbierte sich nahezu. (In Frankreich verdoppelte sich übrigens das Außenhandelsdefizit auf über 100 Milliarden Euro und stieg das Defizit in der Leistungsbilanz auf zwei Prozent des BIP.) Das versetzte der ökonomischen Entwicklung der Gesamtwirtschaft einen kräftigen Dämpfer von der außenwirtschaftlichen Seite her.

Auch dem privaten Verbrauch setzten die Preisschübe bei Energie und darüber hinaus die bei Lebensmitteln zu. Die private Investitionsnachfrage, ohnehin seit Jahren nicht ausgeprägt und durch Pandemie und Krieg zurückgeworfen, begann zu schwächeln. Zu den hohen Rohstoffpreisen kamen die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) hinzu, die primär die Bauwirtschaft belasten.

Schuldenbremse – die Wohlstandsbremse

Parallel erfolgte die Ansage der Regierung, die Schuldenbremse einhalten zu wollen – ein Vorhaben, das sie sogar nach dem lang vermiedenen Eingeständnis, dass Deutschland in einer Rezession steckt, noch verfolgt: Die Entlastungen der Privatwirtschaft, mit denen die Konjunktur angeregt werden soll, dürften nach jetziger Planung zu Belastungen der Haushalte der Bundesländer und damit auch der finanziellen Spielräume der Kommunen führen. Das würde dringend benötigte Infrastrukturprojekte wieder zurückwerfen und hätte in der Summe kaum anregende Wirkung.

Der deutsche Finanzminister setzt alles daran, die Neuverschuldung des deutschen Staates zu senken. So wie die Lage derzeit ist, sind die deutschen Unternehmen insgesamt betrachtet aber ausweislich der Investitionsgüternachfrage nicht bereit, in die Bresche zu springen und ihre Neuverschuldung so auszudehnen, dass der negative Nachfrageimpuls durch den Staatshaushalt mehr als ausgeglichen wird.

Dann aber kann die Binnenwirtschaft nicht adäquat wachsen. Unter diesen Vorzeichen kommt die Gesamtwirtschaft also nur aus der Rezession, wenn das Ausland mit einer zunehmenden Überschussnachfrage, sprich: Verschuldung aushilft.

Kein Wunder, dass die deutsche Wirtschaft auf Anregung aus dem Ausland hofft und sie durch eine Steigerung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit erzwingen will. In der Hoffnung auf künftig sinkende Strompreise und auf weniger Abhängigkeit von Importen bemüht man sich um den Ausbau regenerativer Energien, was obendrein mit dem Ziel, weniger CO₂ durch den Verbrauch fossiler Rohstoffe auszustoßen, harmoniert. Die Debatte um kurzfristige Subventionen des Strompreises bzw. Senkung der Stromsteuer als Brückenlösung, bis das grüne Stromangebot in ausreichender Menge verfügbar ist, weist in die gleiche Richtung.

Es scheint also, als gingen die Wünsche nach geringerer Importabhängigkeit, besserer Erreichung der Klimaziele, Unterstützung der (Export-)Industrie und dadurch Belebung der Konjunktur in die gleiche Richtung und müssten nur Fragen von Gerechtigkeit (was und wer wird wie lange subventioniert?) und Praktikabilität (Schnelligkeit der Maßnahmen, Zielgenauigkeit ohne überbordende Bürokratie) geklärt werden.

Autarkie lässt Wirtschaft nicht automatisch wachsen

Doch ist das wirklich so? Wären die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands tatsächlich auf Dauer gelöst und dem globalen Klimaschutz gedient, wenn ein stabiles und preiswertes Energieangebot im Inland aus erneuerbaren Energien zur Verfügung stünde, alle lebensnotwendigen Güter weitgehend hier oder zumindest in europäischen Ländern in ausreichender Menge produzierbar wären und aus den verschiedensten Ländern der Welt, die nicht in europäischen Böden steckenden Rohstoffe zu (wie auch immer gemessen) erträglichen Preisen importiert werden könnten?

Nein, das wäre nicht der Fall. Denn dann würde Deutschland dank noch höherer Wettbewerbsfähigkeit fortfahren, mehr zu exportieren als zu importieren. Und das geht langfristig nicht gut, wie jede Überlegung zum internationalen Handel zeigt, die ohne nationale Scheuklappen auskommt. Das deutsche Exportüberschussmodell, das eng mit der Verteidigung des Freihandels nach westlichen Vorstellungen verbunden ist, war schon immer problematisch. Der Unterschied zu früheren Jahren ist nur, dass sich seine langfristige Untragbarkeit in den aktuellen Krisen deutlicher zeigt.

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