"Deutschland und Frankreich sollten in der Nato eine eigene Stimme erheben"
Seite 2: "Die Politik der USA nach 1990 hat Russland auf die Seite Chinas gedrängt"
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In zwei UNO-Resolutionen zur Ukraine haben die Staaten der indischen Region, auch erklärte Feinde Indiens wie Pakistan und Sri Lanka sich enthalten. Kaum war das passiert, starteten heftige diplomatische Initiativen, und parallel dazu gab es plötzlich sowohl in Pakistan wie in Sri Lanka Regierungskrisen, bei denen die nicht gerade Amerika-freundliche Regierungen unter Druck gesetzt wurden, im Fall von Pakistan sogar gestürzt.
Würden Sie mir unterstellen, dass ich paranoid bin, hier einen Zusammenhang zu sehen? Wenn ich vermute, dass die jeweiligen Oppositionen von ihren US-amerikanischen Kontaktleuten zumindest ermuntert wurden, wenn nicht im schlimmsten Fall sogar ferngesteuert?
Klaus von Dohnanyi: Das ist denkbar, solche Sachen machen Weltmächte immer wieder. Aber das Problem ist ja, dass hinter diesem Abstimmungsverhalten der genannten Staaten auch sehr viel langfristigere und legitime Positionen stehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass auf die Dauer Iran, Indien, Pakistan und auch viele asiatische Staaten an einer engen Kooperation mit China interessiert sein werden. Und das werden die USA spüren.
Wenn es gut läuft: wie stellen Sie sich eine künftige Gestaltung der Beziehungen zwischen den USA den asiatischen Mächten vor?
Klaus von Dohnanyi: Da bin ich nun wirklich nicht kenntnisreich und kann das kaum beurteilen. Wie wird die Entwicklung in einem so großen Land wie Indien, zum Beispiel, auf die Dauer verlaufen?
Im Ganzen gesehen würde ich vermuten, dass China in erster Linie seine wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben, und dann der "Magnet" China diese Länder irgendwie auch ökonomisch immer stärker in seinen Bereich ziehen wird. Dann werden die USA in dieser Region nicht mehr das Gewicht haben, das sie im pazifischen Raum noch vor 30 Jahren hatten.
Es läuft dann also doch wieder auf die Aufteilung der Welt in Interessensphären hinaus. Es müssen ja keine Blöcke sein, aber Raumordnungen, die mindestens enge innere Handelsbeziehungen miteinander haben.
Dann ist aber wieder die Frage: Gibt es zwei solche Blöcke? Oder gibt es einen dritten Block, der dann Europa wäre mit einer relativen Eigenständigkeit? Zu dem müsste dann natürlich wieder Russland gehören. Ein Russland ohne Putin.
Klaus von Dohnanyi: Ja natürlich. Das ist ja die Tragödie. Die Politik der USA nach 1990 hat Russland auf die Seite Chinas gedrängt. Russland gehört aber nicht nach Asien, Russlands Schwerpunkt war historisch eindeutig im europäisch-christlichen Kulturraum. Bei vielen wichtigen Ereignissen bekreuzigen sich prominente Russen noch immer; das konnte man sogar gelegentlich bei hohen Funktionären des Sowjetsystem beobachten.
Es schadet dem Westen, schadet Europa, dass Russland nun aus Europa verdrängt wurde. Putin wird ja auch nicht immer da sein. Man kann nur hoffen, dass es dann nicht noch schlimmer kommt: Putin hatte Deutschland gekannt und geschätzt, man konnte mit ihm noch auf Deutsch verhandeln! Aber wenn wir erstmal eine russische Militärregierung haben sollten oder eine extrem nationalistische, könnte es weltpolitisch möglicherweise noch gefährlicher werden.
Ich möchte zum Abschluss noch eine Frage stellen die vielleicht auch etwas ketzerisch ist: Was wird eigentlich genau in der Ukraine verteidigt? Was sind die Ziele die wir haben?
Ist es möglicherweise eine verführerische, unzulässige Vereinfachung, wenn wir diesen Krieg als den Krieg zwischen Gut und Böse beschreiben, wie es gerade passiert?
Klaus von Dohnanyi: Na ja, einer, nämlich Putin, hat den Krieg angefangen. Ein anderer hat ihn zwar leichtfertig - wie ich meine - nicht verhindert, nämlich Biden; aber angefangen hat den Krieg immer noch nur der eine, Putin. Jetzt verteidigt die Ukraine ihre Freiheit und das ist ihr berechtigtes Interesse.
Ob es klug wäre und im Interesse der ukrainischen Bevölkerung, jetzt auch energischer und vorrangig über Verhandlungen mit Russland den Krieg zu beenden, das muss die ukrainische Regierung entscheiden, sie wurde schließlich von Ukrainern gewählt. Die USA könnten dabei vermutlich helfen; aber aus Washington hört man nur das Donnern der Kanonen.
Wird in der Ukraine auch die Freiheit Europas verteidigt? Oder die Freiheit des Westens?
Klaus von Dohnanyi: Nein, die Freiheit Europas wird dort nicht verteidigt. Ich würde Ihre Frage etwas anders formulieren: Das Recht eines Landes auf Selbstbestimmung und auf unverletzbare Grenzen wird von den Ukrainern verteidigt und diese Rechte sind natürlich auch für Europa lebenswichtige Rechte. Insofern wird dort etwas verteidigt, das für uns einen großen Wert hat.
Klaus von Dohnanyi: Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche; Siedler Verlag, München 2022. 240 Seiten