Deutschlands Angst und Amerikas Sicherheit
Seite 2: "American Angst"?
Die militärischen Sicherheitsbedenken der Vereinigten Staaten umspannen den gesamten Globus, vor allem seit sie nach dem Zerfall der Sowjetunion die einzige Weltmacht wurden. Die kritische US-NGO World Beyond War listet 912 Militärbasen auf, die entweder auf US-amerikanischem oder extraterritorialem Gebiet im Ausland liegen, von Verbündeten zur Verfügung gestellt oder mit ihnen gemeinsam genutzt werden.
Die Liste detailliert die Größe und Ausstattung der Basen sowie die Anzahl der dort stationierten Truppen. World Beyond War begründet seine kritische Arbeit als einen Versuch, über das Ausmaß der amerikanischen Rüstung aufzuklären, die es als "excessive preparation for war" bezeichnet.
Die Organisation ist damit nicht allein, die interne Kritik an den "eternal wars" ist weit offener, als die deutschen Medien widerspiegeln. Eine ganze Reihe von Universitätsinstituten, Nichtregierungsorganisationen, Komitees und Blogs kritisiert das Ausmaß und die exorbitanten Kosten der Hochrüstung, die nach Regierungsangaben im Jahr 2023 auf 1,2 Billionen US-Dollar gestiegen sind.
Dazu gehören auch hohe Milliardenbeträge für Söldnerfirmen oder "Private Military Contractors" wie den Marktführer Academi und andere, die im Auftrag des Pentagon mitkämpfen und die beispielsweise in Afghanistan über Jahre mehr Kämpfer im Einsatz hatten als die offizielle Armee. Auch wenn Einkaufskosten und Waffenentwicklung dort preiswerter sind, Russlands Militärbudget lag im Kriegsjahr 2022 bei 86 Milliarden, Chinas bei 230 Milliarden US-Dollar.
Die Rolle der US-Militärbasen
In und um Japan allein gibt es 98 amerikanische Stützpunkte, die teilweise seit dem Zweiten Weltkrieg unterhalten werden. In den Schlagzeilen der asiatischen Medien steht oft die starke Garnison auf der Insel Okinawa, die durch eine Serie von Kriegsfilmen über die blutigste Schlacht des Pazifik-Krieges zu einer amerikanischen Legende geworden ist.
In der Ortsbevölkerung und in der gesamten japanischen Bevölkerung ist die amerikanische Präsenz auf Okinawa heftig umstritten, der Status quo wird aber nicht geändert, weil Japan inzwischen immer mehr auf die US-Linie einschwenkt und sich zunehmend durch China bedroht fühlt.
Ein historischer, aber immer noch wichtiger Stützpunkt liegt Im Südpazifik. Auf Samoa unterhält die amerikanische Marine eine völlig unumstrittene Marinebasis, denn die Inselgruppe ist amerikanisch. Samoa wurde 1899 durch einen Vertrag zwischen Deutschland und den USA aufgeteilt. Während die deutsche Kolonie im Ersten Weltkrieg verlorenging, besitzen die USA ihren Teil noch immer als unincorporated territory
Die Entwicklung der US-Streitkräfte über zweihundert Jahre
Im US-amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775 bis 1783) versuchte Großbritannien vergeblich, mit seiner militärischen Überlegenheit und mit Hilfe vieler von den eigenen Landesherren verkauften deutschen Soldaten, die Ausbeutung der dreizehn Kolonien fortzusetzen. Mit Hilfe des Schriftstellers und Geschäftsmanns Beaumarchais unterstützte Frankreich den Befreiungskrieg durch die Lieferung von Waffen und Material.
Der preußische Offizier Friedrich Wilhelm von Steuben reorganisierte General Washingtons zusammengewürfelte Armee und trug damit zum Sieg über die britische Kolonialmacht bei. Nach der Unabhängigkeit hatten die jungen Vereinigten Staaten genug mit ihrer Ausdehnung und Eroberung des Kontinents zu tun, an zukünftige Kriege in anderen Regionen war nicht zu denken.
Die Vorstufe einer US-amerikanischen Armeetradition bildete sich in den Indianerkriegen, die bis 1891 andauerten, und im Bürgerkrieg von 1861 bis 1865. Rasant nach der Staatsgründung entwickelten sich auch die internationalen Handelsinteressen der USA, die durch eine innovative Schiffsindustrie an der Ostküste beflügelt wurden.
Die legendären Clipper segelten doppelt so schnell wie die englischen Konkurrenten und brachten im Teehandel mit China und im Opiumhandel mit Indien die ersten amerikanischen Millionäre hervor. Allerdings waren die Schiffe zur Verteidigung gegen Piraten mit Kanonen bestückt und schon 1832 zerstörte ein US-Marineschiff ein Dorf mit angeblichen Piraten auf der heute indonesischen Insel Sumatra.
Der Zwischenfall führte zu heftigen Debatten im Kongress und in den Medien, schließlich wollte das erste demokratische Land der Neuzeit nicht mit den ausbeuterischen europäischen Kolonialmächten verglichen werden. Aber der Expansionsdrang führte schon 14 Jahre später zum Krieg mit Mexiko, 1846 bis 1848, ausgelöst durch die Annexion von Texas. Die USA übernahmen am Ende gut zwei Millionen Quadratkilometer mexikanisches Territorium.
Im Februar 1898 explodierte und sank im Hafen von Havanna ein US-amerikanisches Kriegsschiff. Daraus entstand der kurze Spanisch-Amerikanische Krieg (April bis August 1898) und machte auch die USA zu einer Kolonialmacht. Aus spanischem Besitz übernommen wurden Puerto Rico und Guam (beide bis heute "unincorporated US-territory") und die Philippinen.
Schon 1893 war Hawaii nach einem Staatsstreich gegen die Königin annektiert worden. Die Philippinen, die sich nach mehr als 300 Jahren spanischer Kolonialherrschaft Freiheit und Selbstbestimmung erhofft hatten, wehrten sich heftig gegen die unerwartete amerikanische Übernahme, was über drei Jahre starke US-Truppen band und auf beiden Seiten zu hohen Verlusten führte.
In Lateinamerika sorgten die USA zwischen 1898 und 1935 mit den Bananenkriegen in Kuba, Nicaragua, Panama und der Dominikanischen Republik für die Durchsetzung ihren wirtschaftlichen Interessen.
Das Ende des Isolationismus
Nichteinmischung und Antikolonialismus gehörten seit Präsident Monroe 1823 zur außenpolitischen Staatsdoktrin der USA. Gegen eine Beteiligung am Ersten Weltkrieg gab es erhebliche Bedenken in der amerikanischen Bevölkerung, aber von der Regierung massive Hilfslieferungen und Darlehen für England und Frankreich. Es dauerte zweieinhalb Jahre bis zum offiziellen Kriegseintritt im April 1917.
Die USA fühlten sich von den deutschen U-Booten bedroht, die den Nachschub nach England mit einigem Erfolg abzuschneiden versuchten und durch deutsche Geheimgesprächen mit Mexiko über die Wiedergewinnung der verlorenen Gebiete. Im Sommer 1918 standen dann eine Million amerikanische Soldaten auf den Schlachtfeldern in Frankreich, täglich trafen weitere 10.000 ein, der Erste Weltkrieg war damit entschieden.
Durch das massive und kostspielige Engagement der USA im Ersten Weltkrieg entstand in den 20er- und 30er-Jahren eine verstärkte isolationistische Grundströmung. Der Kongress stimmte gegen einen Beitritt zum Völkerbund, weil dessen Charta eine Beistandspflicht bei Angriffen auf ein Mitgliedsland vorsah, wie heute bei der Nato.
Als Reaktion auf die beunruhigenden Entwicklungen in Europa wurden 1935, 1936, 1937 und 1939 die "Neutrality Acts" verabschiedet. Im Kongress und in der Bevölkerung dominierte eine Stimmung gegen die Waffenindustrie und die Banken, die im Ersten Weltkrieg die Lieferungen finanziert hatten, die "Merchants of Death". Das Gesetz von 1935 verbot alle Waffenlieferungen an kriegsführende Parteien.
Nach dem deutschen Überfall auf Polen setzte sich Präsident Franklin Delano Roosevelt durch, der gegen das Waffenembargo war, und der Kongress ermöglichte im September 1939 Waffenlieferungen an Kriegsparteien auf einer "Cash and Carry"-Basis. Die Neutralitätspolitik endete 1940 mit einem Abkommen, das für den Zugang zu britischen Militärbasen 50 Zerstörer an die Royal Navy lieferte.
Ein Jahr später, mit dem "Lend-Lease-Act" vom September 1941 konnten die USA Kriegsmaterial an die Länder verkaufen, verleihen oder verschenken, denen Roosevelt helfen wollte, Frankreich, Großbritannien und China (!). Einen Tag nach Pearl Harbor, am 8. Dezember 1941, erklärten die USA Japan den Krieg und am 11. Dezember die USA und Deutschland-Italien sich gegenseitig.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Achsenmächte auf dem Höhepunkt ihrer militärischen Erfolge. Die USA fühlten sich zumindest auf den Weltmeeren durch die deutschen U-Boote bedroht und stellten die Wirtschaft rasch auf massive Rüstungsproduktion ein.
Wie schon im Ersten waren die Wirtschaftskraft und der Siegeswille der USA auch im Zweiten Weltkrieg entscheidend. Nach seinem Ende und der Teilung Europas wurden der sowjetische und nach 1949 auch der chinesische Kommunismus zur Herausforderung und zur Hauptbedrohung der USA.
Der Kalte Krieg in Europa, der Koreakrieg und besonders der Vietnamkrieg mit seinen verheerenden gesellschaftlichen Folgen, wie der Entwicklung des Heroinmarkts, ließen nicht den geringsten Gedanken an eine Rückkehr zum Isolationismus der Zwischenkriegszeit aufkommen.
Und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren die USA die einzige Supermacht, finanziell, industriell, und vor allem militärisch mit einer das britische Imperium des 19. Jahrhunderts weit übertreffenden weltweiten Präsenz.
Eine US-Regierungswebseite zeigt die Geschichte der Militärausgaben in verschiedenen Diagrammen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt mit 22 Prozent im Ersten, 41 Prozent im Zweiten Weltkrieg, 15 Prozent Im Koreakrieg und 10 Prozent im Vietnamkrieg.
Mit der wachsenden Wirtschaftsleistung in den letzten Jahrzehnten fielen selbst für die milliardenteuren Kriege im Irak und Afghanistan die prozentualen Anteile auf fünf bis sechs Prozent, ein Phänomen, das auch für Deutschland die Militärausgaben auf rund 1,5 Prozent drückt.
Die US-intern deutlich kritisierten "ewigen Kriege" und ihre Budgets sehen prozentual geringer aus, als sie tatsächlich in harten US-Dollar sind, nämlich in diesem Jahr rund 1,2 Billionen US-Dollar – als 1.200.000.000.000.
Davon profitiert die heimische Wirtschaft, vor allem die großen Waffenfirmen, allen voran die Flugzeughersteller Lockheed Martin, Boeing, Northrop Grumman, Raytheon und General Dynamics. Die globalen Rüstungsausgaben lagen 2022 laut Statista und Sipri auf der Rekordhöhe von fast 2,2 Billionen Dollar.
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