Dhakas "Minus-Zwei-Politik"

In Bangladesch ist zurzeit nicht nur durch die Monsun-Fluten Land unter; auch die politischen Ereignisse geben Anlass zur Besorgnis

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In den Morgenstunden des 16. Juli 2007 wurde Ex-Premierministerin Sheikh Hasina Wajed verhaftet. Sie ist die Vorsitzende der Bangladesh Awami League (BAL), der größten politischen Partei des südasiatischen Landes. Politische Beobachter deuten diesen Schritt als Mittel der Regierung, Hasina aus der Politik herauszudrängen. In der Awami League herrscht mit den Worten ihres derzeitiger Führers Zillur Rahman die Überzeugung, dass die militärisch-technokratische Regierung ein „Minus-Zwei-Schema“ verfolgt, also zwei Parteien von den Wahlen ausschließen will.

Seit dem Rücktritt des Militärdiktators General Hossain Mohammad Ershad im Dezember 1990, der einem Massenaufstand folgte, hielt sich die Armee aus der Politik heraus. Doch seit Jahresbeginn unterstützt das Militär die zivile Übergangsregierung von Dr. Fakhruddin Ahmed. Der ehemalige Nationalbankchef folgte Präsident Iajuddin Ahmed Mitte Januar in das Amt. Dem Präsidenten war es nach dem Auslaufen der Regierungszeit von Premierministerin Khaleda Zia von der Bangladesh Nationalist Party (BNP) im Oktober 2006 und angesichts der sich daraufhin wöchentlich zuspitzenden politischen Krise nicht gelungen, Neuwahlen anzuberaumen. Anhänger der beiden größten politischen Parteien, die beim Geschacher um Positionen und um den Wahltermin eine politische Krise des Landes bewusst in Kauf nahmen, kämpften in vielen Landesteilen blutige Straßenschlachten untereinander und gegen die Sicherheitsbehörden.

Regierungschef Fakhruddin Ahmed. Bild: cao.gov.bd

Beobachter in Dhaka berichteten übereinstimmend, dass noch keine vom Militär unterstützte Regierung in dem südasiatischen Land soviel Zuspruch erhielt wie die jetzige von Fakhruddin Ahmed. Sie hat die Aufgabe, dass Feld für Wahlen vorzubereiten, um anschließend einer demokratisch gewählten Regierung die Amtsgeschäfte zu übergeben. Zwar veröffentlichte die Wahlkommission einen Tag vor der Verhaftung Sheikh Hasinas eine „Road Map“, in der die Parlamentswahlen für Dezember 2008 anvisiert werden. Doch Fakhruddins Übergangsregierung setzt die sich mit Ausrufung des Ausnahmezustandes hoch gesetzten Ziele unbeirrt fort. Dazu zählt eine Beseitigung von Kriminalität und Korruption, die ein Bestandteil der politischen Kultur Bangladeschs sind.

Die Armee leitete in landesweiten Verhaftungsaktionen von korrupten Politikern, ihrer Geschäftspartnern und bürokratischen Nutznießern die Sicherheitsbehörden. Viele der Millionäre wurden verhaftet, die in den letzten Jahren unter der von Premierministerin Zia geführten Regierungskoalition und ihrer BNP zu Reichtum kamen. Dazu zählt auch Tarique Rahman, der Sohn von Khaleda Zia.

Zias Rivalin Sheikh Hasina Wajed und ihre oppositionelle Awami League waren über die Verschiebung der ursprünglich für Ende Januar anberaumten Parlamentwahlen nur vorübergehend zufrieden. Zwar war Sheikh Hasina anfänglich noch offen für die Initiativen der Übergangsregierung, jedoch lehnte sie die Verschiebung der Wahlen um weitere 18 Monate energisch ab.

Sheik Hasina. Bild: sheikhhasina.ws

Während einer Reise im April in die USA wurde gegen sie ein Korruptionsverfahren eröffnet. Hasina kritisierte vehement die Vorgänge und wollte sich umgehend den Anschuldigungen vor dem Gericht im heimischen Dhaka stellen. Die Regierung versuchte, ihre Rückkehr zu verhindern. Begleitet von einem phänomenalen Empfang ihrer Anhänger und mit einigen Tagen Verzögerung landete Sheikh Hasina Anfang Mai dennoch wieder zuhause. Unterdessen hieß es, dass auch die andere Parteichefin, Khaleda Zia, aufgefordert wurde, ins Exil nach Saudi Arabien zu gehen. Ihr Sohn Tarique wäre aus seiner Untersuchungshaft entlassen und ebenfalls ausgeflogen worden. Der Plan der Regierung, sich den beiden ehemaligen Premierministerinnen durchs Exil zu entledigen, ist aber misslungen.

Repressives Vorgehen

Sheikh Hasina wurde auf Grundlage einer Anzeige gegen sie und ihren Cousin Sheikh Selim am 16. Juli verhaftet. Der Vorwurf lautete auf gemeinschaftliche Erpressung seitens der BAL-Führerin und ihres Cousins in Höhe von knapp 300.000 Taka (knapp 3.000 Euro). Es seien auch einige Verfahren gegen Hasina neu aufgerollt worden, die bereits zur Regierungszeit ihrer Rivalin Zia initiiert wurden waren.

Hasinas Bewegungsfreiheit war vor ihrer Verhaftung am 16. Juli ohnehin bereits auf ihr Haus in Dhaka, den Sudha Sadan, beschränkt. Die Politikerin, die ebenfalls einem Zusammenschluss von 14 säkularen Parteien vorsteht, wurde in den Morgenstunden von einem gewaltigen Aufgebot von Sicherheitsbehören verhaftet. 1.000 Polizeibeamte und Angehörige des paramilitärischen Rapid Action Battalion begleiteten die Politikerin zum Gericht und von dort aus weiter zu einem Untersuchungsgefängnis. Die Aktion lässt nicht nur nach der Verhältnismäßigkeit fragen, sondern auch nach den Motiven der Regierung. Einige Zeitungskommentatoren bezeichneten die pompöse Verhaftung der Awami-Chefin daher umgehend als schädlich für die demokratischen Überbleibsel der Regierung.

Es gibt Anzeichen, dass Khaleda Zia ein ähnliches Schicksal wiederfahren wird. Ein Gerichtstermin wegen eines Einkommenssteuerverfahrens ist bereits angeordnet. Überdies wurden die beiden Ex-Premierministerinnen mittlerweile dazu aufgefordert, ihre Vermögensverhältnisse offen zu legen. Aus Kreisen ihrer Anhänger wird behauptet, dass die Regierung ihren „überzogenen Reformprozess“ auch durch direkte und indirekte Unterstützung einiger willkürlich ausgewählter Politiker voranzutreiben versuche.

Kurz vor der Verhaftung Hasinas warf sie der Regierung vor, dass verhaftete Politiker vom Geheimdienst gefoltert werden. Im Hinblick auf die politischen Entwicklungen gab sie zu bedenken, es dürfe "nicht akzeptiert werden, dass Geheimdienstmitarbeiter in einer zivilisierten Gesellschaft Politiker verhaften und sie dazu zwingen können, gegen ihren Willen auszusagen“.

Ein Großteil der Bevölkerung stimmt den begonnenen Reformen zu, doch durch das zunehmend repressive Vorgehen steigt die Furcht vor einer Diktatur. So wird die Verhaftung Hasinas von vielen als Ausdruck eines Wandels im „Reformkurs“ der Regierung betrachtet.

Unterdessen regt sich neuer Widerstand in den Reihen der beiden politischen Hauptakteure. Erste BNP- und BAL-Stimmen gegen die resoluten Führungsstiele ihrer beiden Parteichefinnen sind zu vernehmen. Doch während sich die Regierung darum bemüht; eine lupenreine Demokratie vorzubereiten, ein Ideal, das nicht zuletzt auf Kosten des Mehrparteiensystems verwirklicht werden soll, wird in Dhaka und anderswo längst debattiert, wer der Nutznießer der Schwächung der bisherigen Hauptparteien werden könnte.

Khaleda Zia und Sheikh Hasina. Bild: drishtipat.org

Dabei ist auffällig, dass die islamistische Jamaat-e-Islami Bangladesh; die regelmäßig in Zusammenhang mit dem Erstarken des politischen Islam in dem südasiatischen Land gestellt wird, kaum vom Reformeifer der militärisch-technokratischen Regierungsmacht betroffen ist. Auch die Gerüchte um die Neugründung einer Regierungspartei, wie sie etwa in Pakistan eigens zum Machterhalt des Militärchefs Musharraf konstituiert wurde, reißen nicht ab. Der Reformen zugeneigte Nobelpreisgewinner Mohammed Yunus sprang auf halbem Weg zur Bildung einer solchen Partei ab.

Freiheitliches Mehrparteiensystem oder gelenkte Demokratie

Armeechef General Moeen U. Ahmed erklärte wiederholt und beschwichtigend; dass die Soldaten der nationalen Armee der zivilen Regierung lediglich zur Seite stünden und nicht an eine Machtübernahme dächten. In seinem ersten öffentlichen Interview seit Verhängung des Ausnahmezustandes vertrat der Armeechef die Ansicht, dass das Land „effektivere und ehrlichere Politiker“ brauche. Die bisherigen Politiker hätten nur ihre eigenen Interessen verfolgt. Daher sei er gegen „die Rückkehr zu einer Wahldemokratie, in der die Korruption die Gesellschaft durchdringt, die Regierung bezüglich Sicherheit und Rechtsbruch versagt und die politische Kriminalität das staatliche Überleben und die Rechtschaffenheit bedroht“. General Moeen tritt nun häufig öffentlich auf, zu zivilen Anlässen wie zu Eröffnungen oder zu Vorträgen.

Es gibt kaum eine Debatte darüber im Land, ob Demokratie oder eine bedingungslose Herrschaft besser sei. Trotz der Rivalität der beiden Ex-Premierministerinnen und der ständigen Konfrontationen ihrer Parteianhänger erlebte das Land seit 1991 bis 2006 eine beschleunigte ökonomische Entwicklung. Statistiken zufolge hat diese demokratische Periode die militärische zwischen 1975 bis 1990 in allen wirtschaftlichen Bereichen übertroffen. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs während der demokratischen Zeit durchschnittlich um 5,1 Prozent, während es unter Militärherrschaft nur um 3,2 Prozent zulegen konnte. In den letzten Jahren wuchsen die Presse und private Fernsehsender und im Telekommunikationsbereich fand eine regelrechte Revolution statt. In den 36 Jahren seit der Unabhängigkeit von Pakistan hatten Militärs über 16 Jahre lang die Regierungsämter besetzt. Viele sind der Auffassung, dass die Regierungsinstitutionen zerstört wurden und die Korruption sich zügellos ausbreitete.

Die Liste löblicher Schritte der Übergangsregierung ist lang: Die hochgradig parteiische Wahlkommission wurde neu besetzt, die begonnenen Wahlreformen dienen der Beseitigung manipulierter Wahllisten und die meisten öffentlichen Ämter hatten Parteigänger Khaleda Zias inne, weswegen sie mittlerweile ebenfalls neu besetzt wurden. Sogar einer der Mörder des Staatsgründers Sheikh Mujibur Rahman wurde nach vielen Jahren aus den USA ausgeliefert und verbüßt jetzt seine Strafe zuhause. Die angekündigte „Road Map” für die Wahlen scheint ebenfalls ausgewogen zu sein. Allerdings wurde der Ausnahmezustand erst Mitte Juli verlängert. So ist eine demokratischen Entwicklung kaum möglich. Die Beständigkeit des Reformplans wird sich daher erst erweisen, wenn die politischen- und Grundrechte wieder hergestellt worden sind. Insofern befindet sich Bangladesch an einem entscheidenden Punkt der Entwicklung, an dem die freiheitliche demokratische Kultur verfestigt oder zerstört werden kann.