Dialogoffen und unabhängig oder Abnick-Gremium?

Der neue Deutsche Ethikrat

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Bundeskanzler Gerhard Schröder hat mit der Einberufung des Deutschen Ethikrats einen dritten Ethikrat etabliert. Das neue Gremium hat beratende Funktion, soll aber auch Einfluss nehmen auf politische Entscheidungen und vor allem die Debatte um die Gentechnik weiter anstoßen.

Die Entscheidung des britischen Parlaments vom vergangenen Dezember, die Forschung mit bis zu 14 Tagen alten Embryonen zu gestatten sowie deren Gewinnung ausschließlich zu Forschungszwecken zuzulassen, hat einiges in Gang gesetzt: Der dänische Ethikrat hat sich Ende Februar für die Stammzellenforschung an überschüssigen Embryonen ausgesprochen. Frankreich ist auf dem Weg, sein Bioethik-Gesetz von 1994 zu novellieren und das therapeutische Klonen zu erlauben. Die Niederländer haben das Zusatzprotokoll zur EU-Bioethikkonvention gegen das reproduktive Klonen sowieso dahingehend interpretiert, dass der Begriff "human being" sich nur auf geborene Menschen bezieht. Und in den USA geht es wenn dann sowieso nur darum, ob die National Institutes of Health (NIH) für Gen-Projekte öffentliche Mittel bewilligen, privat finanzierter Forschung sind so gut wie keine Grenzen gesetzt.

Jetzt hat Bundeskanzler Schröder bei uns die Bio- und Gentechnik zur Chefsache erklärt und einen Nationalen Ethikrat eingesetzt. Schon tags darauf präsentierte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eine einstimmig verabschiedete Empfehlung, in welcher der DFG-Senat sich erstmals für die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen ausspricht.

In Deutschland gilt seit 1990 das Embryonenschutzgesetz. Es gestattet weder das reproduktive noch das therapeutische Klonen oder die Präimplantationsdiagnostik (PID), die drei Schlüsselbegriffe, auf die sich die Diskussion derzeit fokussiert. (Eine hilfreiche Erklärung dieser Begriffe bietet die DFG hier An dem Gesetz wollen derzeit weder der Kanzler noch die DFG allzu heftig rütteln, doch der Trend scheint in Richtung Novellierung zu gehen. Welche Rolle kann hier der neue Ethikrat spielen?

Wer in dem neuen Ethikrat sitzt, entscheidet allein der Bundeskanzler. Das neue Gremium hat beratende Funktion, soll aber auch Einfluss nehmen auf politische Entscheidungen. Es ist gedacht als Diskussionsforum - nicht als exklusiver Expertenzirkel -, das dem Wunsch nach Transparenz und Information entsprechen soll, um auch der Bevölkerung "Teilhabe" und "Mitbestimmung" am Fortschritt der Lebenswissenschaften zu ermöglichen. Die Unabhängigkeit des neuen Organs wird durch seine Ansiedelung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unterstrichen.

Doch warum ein neuer Ethikrat, wo es doch bereits zwei andere gibt? Da ist zum einen der Ethikbeirat des Bundesgesundheitsministeriums, den Horst Seehofer im Dezember 1995 installierte und der zuletzt 1999 von Ex-Gesundheitsministerin Andrea Fischer einberufen wurde. Er gilt als konservativ und modernisierungsträge. Dann gibt es noch die Enquetekommission "Recht und Ethik in der modernen Medizin" des Bundestags. Sie wurde im März 2000 gegründet, um die Parlamentarier in Sachen Gendiagnostik und Reproduktionsmedizin zu beraten und Empfehlungen zur rechtlichen Steuerung des biomedizinischen Fortschritts abzugeben. Dieser Pflicht ist die Enquetekommission zwischenzeitlich insofern nachgekommen, als sie die Präimplantationsdiagnostik für unvereinbar mit dem Embryonenschutzgesetz erklärte.

Mit beiden Gremien sind entscheidende Neuerungen im Bereich der Gen-Forschung also nicht zu machen, daher muss sich der Kanzler nun vorwerfen lassen, dass er mit seinem neuen Ethikrat ein "Abnick-Gremium" eingerichtet habe, das Forschung und Wirtschaftsinteressen freie Bahn schaffen solle. Der Rat stehe für einen Kurswechsel in der regierungsamtlichen Biopolitik, der möglich werde, da die in Fragen der Gentechnik und Reproduktionsmedizin restriktiv agierende grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer durch die Sozialdemokratin Ulla Schmidt abgelöst worden ist. Das seitdem ein neuer Wind im Gesundheitsministerium weht, zeigte sich bereits darin, dass mit dem Ministerinnenwechsel die Entwürfe zu einem neuen Fortpflanzungsmedizin-Gesetz, das ein Verbot der PID festschreiben sollte, erst einmal vom Tisch waren.

In dem jetzt einberufenen 23-köpfigen Ethikrat sind die Gen-Skeptiker in der Minderzahl. Doch wer hier von Parteilichkeit spricht, muss sich auch die Rückfrage gefallen lassen, ob es nicht überfällig war, zu den beiden bestehenden konservativen Kommissionen ein Gegengewicht zu schaffen. Kanzler Schröder hat im Vorfeld der Schaffung des Ethikrats in mehreren Interviews und Reden klargestellt, dass er für Deutschland einen Spitzenplatz in der Bio-, Gen- und Medizintechnik anstrebt. Und wie aus einer Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums vom 7. Mai hervorgeht hat Deutschland seinen Spitzenplatz unter den europäischen Biotech-Unternehmen im Jahr 2000 vor Großbritannien weiter ausgebaut und eine Umsatzverdopplung auf 786 Millionen Euro erzielt. Noch interessanter liest sich allerdings der Hinweis, dass deutsche Unternehmen sehr stark interessiert sind am Erwerb amerikanischer und britischer Biotech-Firmen, Unternehmen in Ländern also, deren Gesetzeslage der Gen-Forschung weit mehr Möglichkeiten einräumt.

Doch die Standortfrage ist nur ein Argument. Viel wichtiger ist zu bedenken, dass sich ethische Standards auf Dauer nicht durch starre Verbote sichern lassen. Wer sich den neuen Möglichkeiten kategorisch verschließt, gibt auch Kontrolle und Gestaltungsmöglichkeiten ab. Wenn für die Forschung an embryonalen Stammzellen und therapeutisches Klonen keine Staatsmittel fließen, werden die Ergebnisse obendrein der deutschen Allgemeinheit versperrt bleiben - die, die es sich leisten können, gehen eben ins Ausland.

Wer den Embryonenschutz bei der Gen-Forschung über alles stellt, muss sich auch vergegenwärtigen dass Abtreibung bei uns bis zur 22. Schwangerschaftswoche möglich ist und dies in einem demokratischen Entscheidungsfindungsprozess so festgelegt wurde. Auch in der Verwendung der Spirale als Verhütungsmittel sieht niemand mehr ein Problem, obwohl sie ja nicht die Befruchtung, sondern lediglich das Einnisten einer bereits befruchteten Eizelle vorsieht. Außerdem muss man den Embryonenschutz auch abwägen gegen die Heilungschancen die auf dem Spiel stehen. Mittels embryonaler Stammzellen wollen Forscher künftig menschliche Gewebe und Organe züchten, um damit Menschen zu helfen, die z. B. an multipler Sklerose, Parkinsonscher Krankheit und Alzheimer-Demenz leiden.

Die Bioethik-Diskussion ist ein heikles Terrain, und es ist schwierig die Diskussion voranzutreiben, ohne dabei in die Sackgassen der Abtreibungsdiskussion zu geraten. Solche Bedenken hat wohl auch der Kanzler Schröder und so soll seine Ethikkommission vermutlich retardierende Funktion haben. Doch der gesellschaftliche Wandel, der im Hinblick auf die gentechnische Forschung im Ausland längst fortgeschritten ist, hat auch in Deutschland begonnen. Darum wäre es nur konsequent, die Forschung unter streng kontrollierten Bedingungen freizugeben. Einen ersten Anstoß könnte jetzt die Deutsche Forschungsgemeinschaft gegeben haben.

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