Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sind nur der Anfang

Grafik: Karl-Heinz Peil

Viel wird über das "Sondervermögen" diskutiert. Dabei fallen die meisten Kosten bei Betrieb und Entsorgung an von Gerät an. Bundeswehr und Regierung bleiben Antworten schuldig.

Politische Debatten um Aufrüstungsprojekte konzentrieren sich in der Regel um die Beschaffungskosten für einzelne Projekte, so auch bei dem 100 Milliarden Euro schweren "Sondervermögen" für die Bundeswehr. Tatsächlich müssen diese Kosten aber stets als Spitze eines Eisberges angesehen werden. Dies gilt nicht nur für militärische, sondern auch für zivile Investitionen.

Tatsächliche Rüstungskosten als Langzeithypothek

Die meisten Kosten von Gebäuden, Infrastruktur und mobil einsetzbarer Ausrüstung nämlich entstehen in der Nutzungsphase. Hinzu kommen die nicht unerheblichen Kosten für Entsorgung und möglichst Recycling am "Lebensende".

Hierzu gibt es wissenschaftlich fundierte Betrachtungen unter dem Begriff Lebenszykluskosten, meistens unter dem englischen Begriff Life Cycle Costs (LCC).

In zivilen Bereichen sind solche Betrachtungen bereits seit Jahrzehnten ein mittlerweile etablierter Standard. Im Wesentlichen geht es dabei um die Erkenntnis, dass bei komplexen Großgeräten und damit verbundener Infrastruktur die meisten Kosten erst in der Nutzungsphase durch folgende Faktoren anfallen:

  • Betriebskosten, vor allem durch Brennstoffe und elektrischen Strom;
  • externe Dienstleistungen zur Betriebsführung technischer Anlagen;
  • Instandhaltung: Inspektionen und Wartungen sowie Reparaturen;
  • Nutzungsänderungen und dadurch verursachte Umbauten;
  • Modernisierungen durch Austausch von wesentlichen technischen Komponenten.

Auch bei den Rüstungsausgaben hat man bereits vor Jahrzehnten – zunächst sogar in den USA erkannt –, dass Aufwendungen in der Nutzungsphase mit bis zu 75 Prozent der Gesamtkosten zu Buche schlagen.

Phase Infrastruktur Schiffsbau Landfahrzeug Starrflügler
Forschung & Entwicklung 5 % 5 % 5 % 20 %
Investition & Anlage 20 % 30 % 40 % 40 %
Wartung, Betrieb, Entsorgung 75 % 65 % 55 % 40 %
Tabelle: Prozentuale Verteilung von Kosten über die Produktlebenszeit .Quelle: GAO Cost Estimating and Assessment Guide (USA), 2009 entnommen aus: Arbeitspapier Nr. 23 der Universität der Bundeswehr München – Arbeitsgebiet Beschaffung

Materielle Einsatzbereitschaft und "Unterfinanzierung"

Zweimal jährlich wird vom Bundesverteidigungsministerium ein "Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr" vorgelegt. Auch im letzten Bericht (II/2021) beklagt darin der Generalinspekteur der Bundeswehr einen zu geringen verfügbaren Bestand bei rund einem Drittel der im Bericht behandelten 71 Hauptwaffensysteme.

Hervorgehoben wird dabei, dass bei Hubschraubern der aktuell verfügbare Anteil nur bei 40 Prozent liegen würde. Bei Unterstützungsfahrzeugen für Logistik und Sanitätswesen liegt der Anzahl jedoch bei 82 Prozent.

Die Gründe für solche Auffälligkeiten liegen jedoch weniger in einer propagandistisch hervorgehobenen Unterfinanzierung der Bundeswehr, als vielmehr in der mangelhaften Planung bzw. internen Abstimmung zwischen Beschaffung und dem Instandhaltungsmanagement.

Managementmethoden zur Reduzierung von Lebenszykluskosten zielen aber genau darauf ab, bereits bei der Beschaffung die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass eine optimale Verfügbarkeit in der Nutzungsphase gegeben ist.

Doch gerade das ist bei dem intransparenten Beschaffungswesen und mangelhafter Abstimmung zwischen Behörden-Ressorts und Bundeswehrabteilungen kaum gegeben. So heißt es in dem genannten Bericht:

Ursächlich für niedrige Einsatzbereitschaft bleiben, insbesondere bei den "komplexen" Hubschraubern wie dem NH 90 TTH, NH 90 SEA LION oder dem Kampfhubschrauber TIGER, die sehr zeitaufwändigen Wartungs- und Inspektionssysteme sowie die laufenden Umrüstungsmaßnahmen zur Vereinheitlichung der Konstruktionsstände.

Dass es mit dem Lebenszyklusmanagement bei der Bundeswehr nicht zum besten bestellt ist, wurde bereits 2009 vom Bundesrechnungshof moniert. Dieser beanstandete, dass die Bundeswehr zwar ein Software-gestütztes Verfahren "Logistic Support Analysis (LSA)" einsetzt, um "insbesondere die Lebenswegkosten eines Rüstungsproduktes zu minimieren", jedoch keinen monetären Nutzen nachweisen konnte.

Dieses wurde auch 2019 auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zu "Lebenszykluskosten von Rüstungsgütern" (Bundestags-Drucksache 19/15104) bestätigt. Man erfasse zwar für 90 Projekte diese Kosten, jedoch könne der "monetäre Nutzen (...) nicht unmittelbar beziffert werden".

Lebenszyklus: "Interne" und "externe" Kosten

Die LCC-Methodik ist jedoch zumeist nur auf "interne" Kosten begrenzt, die dem jeweiligen Nutzer entstehen. Hinzu kommen aber in der Regel weitere "externe" Kosten, die der Allgemeinheit, d.h. den staatlichen Strukturen und sonstigen Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge entstehen. Diese sind prinzipiell nur schwer abschätzbar.

Umfassend untersucht und anschaulich darstellbar ist dieses bei dem motorisierten Individualverkehr, bei dem erhebliche gesellschaftliche Kosten durch Ressourcenverbrauch sowie Belastungen für Umwelt und menschliche Gesundheit entstehen.

In einer Ende 2021 veröffentlichten Studie "The lifetime cost of driving a car" mit der bereits genannten LCC-Methodik wurde anhand von exemplarischen drei Pkw-Modellen mit insgesamt 33 Einzelfaktoren vorgerechnet:

  • Die privaten Kosten des laufenden Betriebes sind um den Faktor zwei bis drei höher sind als die Anschaffungskosten
  • Die gesellschaftlichen Kosten durch Umwelt- und Gesundheitsbelastungen sowie beanspruchte Ressourcen der Infrastruktur sind um den Faktor 1,5 bis zwei zu den privaten Kosten zu veranschlagen.