Die Abgehobenen
Bilder der maskenlosen Delegation in Regierungsmaschine zeigen: Eliten haben sich von Bevölkerung abgekoppelt. Solidarischer Verzicht wird eingefordert, für sie gelten eigene Regeln. Doppelmoral unterminiert das Vertrauen in demokratisches System.
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Die Anfang der Woche öffentlich gewordenen Aufnahmen, die Politiker, Wirtschaftsmanager und Journalisten Seite an Seite ohne Masken im Regierungsflugzeug auf dem Weg nach Kanada zeigen, haben bei vielen Menschen für Empörung gesorgt. Und zwar zu Recht.
Es spielt dabei nur bedingt eine Rolle, ob das Maskentragen auf der Staatsreise formaljuristisch vorgeschrieben war oder nicht. Was vielmehr zählt, sind die doppelten Standards, die die Bilder für viele Menschen sichtbar machen: Für "die da oben" (in diesem Fall im buchstäblichen Sinne) gelten andere Regeln als für "uns" Normalsterbliche. Denn im Linienflieger führt kein Weg an der Atemschutzmaske vorbei - PCR-Test hin oder her.
Einen besonders bitteren Beigeschmack erhält der Vorfall dadurch, dass die Vertreter der etablierten Parteien im Chor mit den tonangebenden Medien seit Ausbruch der Corona-Pandemie in ihren moralisierenden Appellen gerade das Maskentragen zum unhintergehbaren Solidaritätstest gemacht haben. Im Zuge dessen wurden und werden Masken(pflicht-)kritiker gerne pauschal als rücksichtslos und unsolidarisch gebrandmarkt.
Vor diesem Hintergrund nun das Privileg für sich in Anspruch zu nehmen, sich im Regierungsflieger des Mund-Nasen-Schutzes zu entledigen, wirkt nicht nur instinktlos und abgehoben. Das Missverhältnis zwischen moralischem Sprechen und faktischem Handeln stellt zudem grundsätzlich die Glaubwürdigkeit der Corona-Politik in Frage.
Das Timing ist dabei alles andere als günstig und nicht frei von Ironie: Denn die am Mittwochnachmittag von der Regierung beschlossenen Corona-Maßnahmen sehen unter anderem eine bundesweite FFP2-Maskenpflicht in Zügen und Flugzeugen vor. Die während des Regierungsflugs zur Schau gestellte Doppelmoral dürfte, zurückhaltend ausgedrückt, der Akzeptanz der Maßnahmen nicht unbedingt förderlich sein.
Was der "Regierungsflug-Affäre" über den konkreten Fall hinaus Relevanz verleiht, ist ihr symptomatischer Charakter. Sie lässt sich sozialwissenschaftlich in ein größeres Bild einordnen. Sie steht dafür, dass die gesellschaftlichen Eliten in Deutschland zunehmend den Kontakt zur Lebenswirklichkeit der Bevölkerung verlieren, wie etwa der Soziologe Michael Hartmann in seinem Buch "Die Abgehobenen" aufzeigt.
Dies geht, wie das jährliche Edelman Trust Barometer verdeutlicht, mit einer fundamentalen Vertrauenskrise einher. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland sprechen darin den Führungspersönlichkeiten aus Politik, Medien und Wirtschaft ihr Misstrauen aus.
Die Bilder des nach der Landung erfolgenden Empfangs der Delegation in prunkvollem Ambiente mit drapierten Champagnerflaschen reihen sich übrigens nahtlos ein in diese Diagnosen. Angesichts der virulenten politischen Spar- und Verzichtsappelle an die Bevölkerung im Zuge der Energiekrise – Stichwort "Waschlappen" – wirkt ein solches Setting instinktlos und deplatziert.
Die Kommentare zu den Aufnahmen, die Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, auf Twitter gepostet hat, lassen dementsprechend an kritischer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Es ist zu hoffen, dass die bisweilen polemische, aber vom Grundsatz her legitime Empörung, die der privilegierten Kanada-Delegation entgegenschlägt, nicht einfach, wie so häufig, bei den im Fokus stehenden Eliten als populistischer Reflex abgetan wird. Sie sollte viel mehr als Anlass zur Selbstkritik dienen. Ansonsten droht das Vertrauen in das demokratische System und seine Repräsentanten weiter zu erodieren. Gerade in Krisenzeiten wie diesen wäre das fatal.