Die Abscheu vor der Grauzone
Die Darpa hat eine neue Ausschreibung für eine Technik gestartet, um die Grauzone zu lichten und die Absichten von Gegnern zu erkennen, ein Programm, das den Zeitgeist wiedergibt
Nicht erst seit 9/11, aber seitdem mit großem Engagement wird in den USA versucht, neben dem Konzept von Präventivschlägen vorzeitig zu erkennen, wer ein getarnter Gegner ist und was dieser vorhat. Schon 2002 setzte das Bestreben mit der Schaffung des Heimatschutzministeriums ein, nach Techniken Ausschau zu halten und deren Entwicklung zu finanzieren, mit denen sich die Absichten von Menschen mit "nicht-invasiven neuro-elektrischen Sensoren aus der Ferne" erkennen lassen, beispielsweise wenn sie in ein Flugzeug einsteigen (Technischer Zauber zur Abwehr des Bösen, An den Absichten, nicht an den biometrischen Daten sollt ihr sie erkenne).
Mit markigen Sprüchen ist man bei der Pentagon-Forschungsbehörde Darpa immer noch auf der Spur, den Menschen nicht nur ins Gehirn schauen zu können, sondern deren Absichten zu entdecken, und hat so eine neue Ausschreibung gestartet. Die Darpa nennt das, die Aktivitäten der Grauzone stärker Schwarz-Weiß zu machen. So soll der "Nebel" gelüftet werden, der die Absichten eines Feindes in "langsamen, schwelenden nicht-konventionellen Kriegen" verdeckt.
Es gebe nämlich ein zunehmendes Problem in der letzten Zeit, nämlich Konflikte, die einer "Grauzone" zwischen Frieden und konventionellem Krieg ausgefochten werden. Subtil werden da "soziale, psychologische, religiöse, informationelle oder Cyber-Mittel gebraucht, um materielle oder kognitive Ziele mit oder ohne Gewalt" zu erreichen. Und weil die Absicht nicht klar sei, sondern im Graubereich liege, sei es schwierig, solche Feinde zu entdecken und zu bekämpfen. Dabei fällt natürlich die vor allem seit 2014 ins Feld geführte Bedrohung des "hybriden Kriegs" ein, dazu kommen Cyberangriffe, Beeinflussungsoperationen, Fake News oder Propaganda, wie sie seit 2016 in den USA überall gesehen werden.
Alles kann zur Waffe gemacht werden, was zunächst harmlos aussieht. Leicht geht da von den Lippen, weil die Bösen sowieso immer die jeweils Anderen sind, dass auch Informationen zur Waffe werden: "weaponized information". Dabei geht es nicht in erster Linie um tödliche kinetische Waffen, auch nicht um chemische, biologische oder nukleare Waffen, sondern eben um so subtile Ziele wie das Schüren von Zwietracht in einer Gesellschaft, die demgemäß von außen kommt, um das Schaffen von Chaos oder das Untergraben des Vertrauens in die demokratischen Institutionen oder die Regierung. Man könnte auch sagen, es werden Techniken zur Bekämpfung einer Paranoia gesucht, die aus einer Abwehr von Selbstreflexion auf eigene Mängel oder auf die eigene Aggressivität zurückgeht. Aber Selbsterkenntnis ist wahrscheinlich keine Eigenschaft des militärischen Denkens, gleich ob in den USA oder anderswo, das auf Stärke setzt.
Kompass, um die Grauzone in Gut und Böse, Freund und Feind aufzuteilen
Daher ist auch interessant, was gewünschte Techniken über die Befindlichkeit des Träumenden offenbaren. Die Darpa nennt ihr Programm, das hinter den Nebel in die Gehirne der Gegner schauen will, COMPASS (Collection and Monitoring via Planning for Active Situational Scenarios). Die Kurzformel ist natürlich einprägsam, suggeriert aber, dass man einen Kompass wünscht, um die Grauzone da draußen in Gut und Böse, Freund und Feind aufteilen zu können. Das Dazwischen scheint zu irritieren, schließlich ist die militärische Logik auch dichotomisch. Wenn nicht abgeschreckt werden kann, muss der Feind, der oft nicht durch eine Uniform oder sonstige Zeichen kenntlich ist, vernichtet, aber friendly fire vermieden werden, wobei nach internationalem Recht "Zivilisten" geschont werden sollen. Es geht also darum, zwischen den Beteiligten sauber zu unterscheiden, um Ja-Nein-Entscheidungen zu ermöglichen.
Kein Wunder, dass man bei der Darpa auf neueste Techniken setzt, die versprechen, besser und schneller als Menschen Daten interpretieren zu können. Also sollen Künstliche Intelligenz, aber auch die schon etwas angestaubte Spieltheorie irgendwie mit Modellen zur Identifizierung von Stimuli dazu führen, die Absichten eines Gegners herauszufinden, um so Entscheidern, letztlich dem Soldaten, der eine Patrone oder eine Rakete abschießt oder dies befiehlt, "hoch zuverlässiges Wissen zur Reaktion bereitstellt". Erwünscht werden von der KI auch gleichzeitig die Einschätzung der positiven oder negativen Folgen jeder Handlung.
Eigentlich geht es um Komplexitätsreduktion und um die Zuspitzung der Dichotomie von Feind und Freund. Man hat den Eindruck, dass die von der Darpa erwünschte Technik genau den Vorstellungen entspricht, die derzeit die Konflikte in die militärische Richtung ziehen und das Freund-Feind-Denken wie einst im Kalten Krieg und selbstverständlich vor den Weltkriegen vertiefen. Die Klärung der Grauzone ließe sich auch als Suche nach einem endlich klar erkennbaren Feind sehen, den man ohne wenn oder aber bekämpfen kann, "neutralisieren" oder "säubern", wie das die türkische Regierung nennt, um jeden Zweifel beiseite zu wischen, dass es um die Bekämpfung von Ungeziefer oder dem Bösen geht.
Darpa-Programmmanager Fotis Barlos lässt das auch in seiner scheinbar technisch-militärischen Sprache von Stereotypen durchscheinen. Es sei das Ziel des Programms, den Kommandeuren "robuste Analytik und Entscheidungshilfen bereitzustellen, die die Ambiguität gegnerischer Akteure und ihrer Ziele reduzieren". Es könnte ja auch normaldenkenden Menschen Probleme bereiten, gleich zuzuschlagen, wenn die Situation oder die Absichten von Menschen nicht eindeutig feindlich erscheinen. Man könnte auch über Konfliktlösung, Diplomatie oder Unterstützung nachdenken, erwünscht ist aber eine Reduzierung des Uneindeutigen. Begründet wird dies damit, dass man "in der Welt eine zunehmend klügere Grauzonenaktivität" beobachte. Die ist eben gefährlich, weil sie nur inszeniert wird, um den Gegner in Sicherheit zu wiegen oder zu täuschen. Deswegen ist Uneindeutigkeit oder die Zwischenzone eine Gefahr, weswegen man nach Barlos "die neueste KI und andere Techniken" benötige, um Kommandeuren nicht bessere, sondern "effektivere" Entscheidungen zu ermöglichen, um "die komplexe, vielschichtige und disruptive Aktivität eines Feindes abzuwehren". Disruptiv muss man natürlich erwähnen, um im Jargon der Zeit zu bleiben.
Ansonsten sucht man halt nach einer Technik, um aus der Gegenwart die Zukunft vorherzusagen. Nach Barlos gehe es darum, besser zu verstehen, was der Feind macht und beabsichtigt (dahinter steht: den Feind aus der Grauzone überhaupt erst herauszuheben), aber dann auch, wie er seine Pläne umsetzen will. Das würde jeder gerne wissen. Allerdings werden Feinde in ihre Planungen auch einbeziehen, wie ihr Gegner reagiert und reagieren könnte. Das macht die Angelegenheit schwierig, weswegen man dem mit Spieltheorie-Simulationen beikommen will, wozu aber auch die eigenen Absichten eingearbeitet werden müssen. Nach dem Gesagten bestehen die offenbar darin, nicht in der Grauzone unmilitärisch handeln zu wollen, sondern einen Gegner herauszufiltern und vor Überraschungen gefeit zu sein.
"But in order to decide which of those actions is important you need to analyze the data, and you need to understand what different implications are and build a model of what you think the adversary will do," he said. "That’s where game theory comes in. If I do this, what will the adversary do? If I do that, what might he do? So it is using artificial intelligence in a repeated game theory process to try to decide what the most effective action is based on what the adversary cares about."