Die AfD musste nur zugreifen

Die alte Metapher mit dem Bock drängte sich manchen Kommentatoren mal wieder auf. Symbolbild: alsen auf Pixabay (Public Domain)

Die Empörung ist groß, weil ausgerechnet die AfD-Fraktion im Bundestag den Innenausschuss und den Gesundheitsausschuss leiten darf. Dabei hätten andere Parteien das verhindern können

Die Entrüstung ist groß: Ausgerechnet die AfD darf in der gerade beginnenden Legislaturperiode den für Geheimdienstkontrolle zuständigen Innenausschuss und den Gesundheitsausschuss im Bundestag leiten. Eine Partei, die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet und beim offen rechten Flügel der "Querdenker"-Bewegung als Protestpartei gegen jegliche Corona-Schutzmaßnahmen beliebt ist.

Für die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die Rechtsextremismus als größte Gefahr für die Demokratie sieht, die sich aber als aufklärungswillige Obfrau im NSU-Untersuchungsschuss des hessischen Landtags auch in Verfassungsschutzkreisen kaum Freunde gemacht hat, werden die Termine in diesem Innenausschuss sicher nicht angenehm.

"So ist das demokratische Verfahren"

Ihr Parteifreund Carsten Schneider, neuer Staatsminister im Kanzleramt, der noch in seiner Funktion als Parlamentarischer Geschäftsführer die Verteilung der Ausschussvorsitze des Bundestags mit verhandelt hat, weist allerdings darauf hin, dass sowohl die Parteien der Ampel-Koalition als auch die Unionsparteien die Möglichkeit gehabt hätten, zu verhindern, dass unter anderem dieser Ausschuss der AfD in die Hände fällt.

"Es ist üblich, dass wir nach dem Stärkeverhältnis im Bundestag auch die Ausschussvorsitze machen", so Schneider. SPD, Union, Grüne und FDP hätten auf andere Ausschüsse zugegriffen, "und dann war die AfD dran und hat den Innenausschuss gezogen. So ist das demokratische Verfahren im Bundestag", wehrte sich der SPD-Politiker am Mittwoch im Phoenix-Interview gegen Kritik.

Die SPD-Fraktion im Bundestag hatte sich unter anderem den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss sowie in den Ausschüssen Arbeit und Soziales, Verkehr und Petitionen gesichert. Die Unionsparteien als stärkste Oppositionskraft nutzten ihr Zugriffsrecht, um den Vorsitz im mächtigen Haushaltsausschuss zu ergattern. Zudem übernehmen CDU/CSU die Leitung der Ausschüsse Finanzen, Recht, Wirtschaft und Landwirtschaft.

Den Grünen waren neben Europa-Ausschuss Umwelt, Bildung und Digitales wichtiger als Inneres und Gesundheit. Den Ausschuss für Klima und Energie ließen sie interessanterweise auch für die kleineren Oppositionsparteien übrig – dessen Vorsitz übernimmt nun Die Linke.

Zur Leitung des Innenausschusses durch die AfD fiel einem ARD-tagesschau-Kommentator mal wieder die alte Metapher vom Bock als Gärtner ein. Anderen stellt sich die Frage, ob das beim zu kontrollierenden Bundesamt für Verfassungsschutz nicht auch teilweise der Fall ist, nachdem dort bis November 2018 sechs Jahre lang der CDU-Rechtsaußenpolitiker Hans-Georg Maaßen das Zepter geschwungen und vermutlich strategische Personalentscheidungen getroffen hat.

Sinnbildlich für die Corona-Politik der AfD

Dass die AfD für sich im Gesundheitsausschuss Profilierungsmöglichkeiten sieht, war zu erwarten, denn in ihrem Wahlprogramm hat sie unter anderem einen "parlamentarischen Corona-Untersuchungsausschuss" gefordert. Sinnbildlich für ihre eigene Corona-Politik ist eine Episode, die noch vor Beginn der Covid-19-Impfkampagne ihren Anfang nahm.

Wie üblich im grauen Anzug, aber mit einem schrillen Accessoire hatte der AfD-Politiker Thomas Seitz im November 2020 im Bundestag die Maskenpflicht auf die Schippe genommen: Lediglich orangefarbener Synthetik-Netzstoff bedeckte Mund und Nase des damals 53-Jährigen, der sich scheinbar für robust genug hielt, um nicht ernsthaft durch das Coronavirus gefährdet zu sein. Ein Irrtum, wie sich bald darauf herausstellte, denn Seitz überlebte eine Covid-19-Infektion nur knapp.

Nach vier Wochen auf der Intensivstation betonte er in einer Erklärung im Januar dieses Jahres, er habe "nie die Existenz des Sars-CoV-2-Virus noch die Gefährlichkeit der Covid-19-Erkrankung in Abrede gestellt", sei aber weiterhin der Auffassung, "dass bislang keine pandemische Lage vorliegt".

Wegen der Dankbarkeit für seine "zweite Lebenschance" sei er nun "innerlich zerrissen" – er machte aber zugleich deutlich, dass er von Lockdown-Maßnahmen nichts halte und gab die kühne Schätzung ab, dass dadurch im vergangenen Jahr "rund 90 Prozent der Ressourcen für die Zukunft unserer Kinder durchgebracht wurden".

Eine Rechnung, die voraussetzt, dass man erstens die Bedeutung des alljährlichen Erdüberlastungstages nicht begriffen hat, zweitens so tut, als habe rein finanziell buchstäblich niemand in der Corona-Krise Gewinne eingefahren und drittens so etwas wie eine Vermögensabgabe zur gerechteren Krisenbewältigung gar nicht in Betracht zieht.

Allerdings ist durch den Impfstreit die Frage der sozialen Absicherung von Menschen in Kurzarbeit und Soloselbständigen, auf die Linke die besseren Antworten hätten, in den Hintergrund gerückt.

Die AfD-Fraktion gilt als einzige, deren übergroße Mehrheit bei Aufhebung des Fraktionszwangs wohl ziemlich sicher gegen eine allgemeine Impfpflicht stimmen wird – was unter anderem Mitglieder der Partei Die Linke zum Teil bedauern, denn längst nicht alle sind dort glücklich über den Vorstandsbeschluss, eine Impfpflicht zumindest für Volljährige zu fordern.

Die AfD hat allerdings auch minimalinvasive Anti-Corona-Maßnahmen wie die Maskenpflicht systematisch torpediert und damit sicher nicht zur Senkung der Inzidenzen und Hospitalisierungsraten beigetragen, die jetzt als Argument für eine Impfpflicht dienen.

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