Die Alternative zur Börse

Gewinne der Online-Kasinos steigen

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Im Februar hat die Kalifornierin Cheryl G. im Netz etwas Neues entdeckt: Virtuelle Spielkasinos. Als sie nach einigen Wochen wieder zu sich kam, hatte sie 12.000 Dollar, knapp die Hälfte ihres Jahreseinkommens als Möbelverkäuferin, verspielt. Cheryl hätte gerne noch weiter gezockt - ihre Kreditkarten verweigerten jedoch weitere Belastungen: "Du drückst einfach immer wieder, du drückst und drückst auf den Button. Es war ein euphorischer Zustand. Als würde die Realität nicht mehr existieren."

Die Internet-Spieler können sich mittlerweile bei etwa 1.300 entsprechenden Angeboten einloggen. Die dahinterstehenden Firmen sind meist irgendwo in der Karibik beheimatet und geben sich alle Mühe, ihr Angebot so weit wie möglich mit Optik und Akustik von reellen Kasinos und Wettstuben auszustatten. Im Angebot finden sich einarmige Banditen, Blackjack-Tische oder virtuelle Buchmacher, bei denen sich Sportwetten platzieren lassen.

Das Prinzip ist für Spielsüchtige denkbar praktisch. Sie müssen nicht nach Las Vegas oder in das nächste Indianerreservat pilgern, um ihrer Leidenschaft zu frönen (die meisten Staaten der USA verbieten Glücksspiel strikt). Man benötigt keine Abendgarderobe und man kann seine Sucht ausleben, ohne dass Familie und Freunde etwas davon bemerken - zunächst einmal. Außerdem verspricht die virtuelle Slot-Machine dasselbe wie ihr reeller Kollege: Gewinn großer Summen. Schnell. Unkompliziert.

Eine Studie des American Life Project hat ergeben, dass "Internet Gamblers" im Schnitt weniger gebildet, dafür aber deutlich älter als der typische amerikanische Internet-Nutzer sind. Und weniger wohlhabend. Marc Falcone, der das Phänomen für Bear Sterns ebenfalls untersucht hat, betont, dass die Gefahren für die Teilnehmer nicht nur in den Spielen oder der daraus eventuell erwachsenden Abhängigkeit liegen würde - 35 Prozent der Online-Kasinos würden etwaige Gewinne nur höchst zögernd oder überhaupt nicht auszahlen. Davon offensichtlich nicht abgeschreckt, hätten die Spieler im letzten Jahr 1,4 Milliarden Dollar bei Kasino-Spielen, Lotterien und Pferde- und anderen Sportwetten gelassen. Die Einnahmen der Veranstalter, so glaubt das Institut, werden sich bis 2003 auf 5 Milliarden pro Jahr steigern.

Ähnlich den "richtigen", also gemauerten Kasinos ist es oft eine Hassliebe, die den Spieler zum Weitermachen zwingt. "Da gibt es eine Menge undurchsichtiger Vorgänge. Sie sind hinterlistig", ergeht sich die regelmäßige Spielerin Elizabeth M. in dunklen Andeutungen. Aber auch sie wurde von den eigenen Erkenntnissen keines Besseren belehrt: Ihre Wahl wäre "Spielen oder Langeweile", führt sie aus. Ihre eigene Beziehung zum Glücksspiel begann vor anderthalb Jahren, als sie von einem Freund auf ein Riverboat-Casino auf dem Mississippi eingeladen wurde. Dort "entdeckte" sie die einarmigen Banditen. Wieder zuhause begann ihre Suche nach Kasinos im Netz. Sie wurde fündig und begann zu spielen. Interessanterweise hatte sie zu Beginn ihrer Leidenschaft Gewinne zu verzeichnen, am Ende des Jahres aber doch 1000 Dollar verloren.

Denn: Wenn man gewinnt, wird die Gewinnsumme von 24 Stunden bis zu fünf Tagen nicht ausgezahlt. Die Kasinos geben dazu an, dass man es dem Spieler ermöglichen will, bequem weiterzuspielen. Elizabeth M. glaubt, den Hintergrund durchschaut zu haben: Innerhalb von 24 Stunden wird fast jeder Spielsüchtige wieder von seiner Leidenschaft gepackt, er wird also seine Gewinne verwenden, um neue Wetten zu platzieren oder Slot-Machines anzuwerfen. Sie vergleicht die Vorgehensweise mit einem reellen Casino, in dem die Ausgänge getarnt werden.

Ihre Theorie wird von Michael Jeung gestützt, der seit 25 Jahren aktiver Spieler ist: "Wenn Du zwanghafter Spieler bist, ist völlig klar, dass Du versuchen wirst, dir das verlorene Geld zurückzuholen." Sein eigenes Problem heißt Blackjack. 1998 verlor er dabei immerhin 41 000 Dollar. Der Schreck darüber war so groß, dass er im Jahr 1999 den virtuellen und echten Kasinos fernblieb. Im letzten Jahr hat es ihn dann allerdings wieder gepackt, und er verlor beim Online-Blackjack weitere 28 000 Dollar. Jeung hält die virtuelle Variante für noch gefährlicher als die reelle. Das Geschehen laufe online wesentlich schneller ab, das Mischen der Karten entfällt und es sind weder Banknoten noch Chips im Spiel, die ja immerhin eine Möglichkeit bieten, Übersicht über Verluste und Gewinne zu wahren. "Du drückst nur auf den Betting-Button" - die Rechnung kommt später.

Glücksspiel kann Existenzen ruinieren, dass ist seit biblischen Tagen bekannt. Problematisch findet mancher die im Netz ständig präsente Möglichkeit für jeden, der im Besitz einer Kreditkarte ist, rund um die Uhr sein gesamtes Hab und Gut zu verzocken. Andererseits sitzt auch eine private Pokerrunde schnell beisammen, und auch Börsenspekulationen über Online-Broker unterscheiden sich nur marginal vom Angebot der Online-Casinos. Warum man nun in Selbsthilfegruppen herumsitzt oder gar den Freitod sucht, ist letzten Endes doch ziemlich egal.