Die Altlasten der Bundeswehr

Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung verleiht 2012 einmal mehr den "Werner-Hahlweg-Preis". Sein Namensgeber trat im Juni 1933 in die SS ein

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Hätte sich Joachim Gauck an sein Script gehalten, wären ihm viele Schlagzeilen (Herr Gauck sucht das Glück) erspart geblieben. Doch auch über der Rede des neuen Bundespräsidenten, die er im Rahmen seines Antrittsbesuchs bei der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg hielt, stand der obligatorische Hinweis: "Es gilt das gesprochene Wort". Und das gesprochene Wort war sehr viel aussagekräftiger als die schriftliche Vorlage.

"Deutsche Gefallene", so Gauck, sind nicht nur an sich, sondern ganz besonders für "unsere glückssüchtige Gesellschaft" schwer zu ertragen. Trotzdem gut, dass es die Bundeswehr gibt, die der gelernte Pfarrer als "Teil des deutschen Demokratiewunders" bestaunte.

Ich bin froh, weil ich zu dieser Armee und zu den Menschen, die hier dienen, aus vollem Herzen sagen kann: Diese Bundeswehr ist keine Begrenzung der Freiheit, sie ist eine Stütze unserer Freiheit.

Joachim Gauck

Werteordnungen

Gaucks Verbeugung vor den Staatsbürgern in Uniform enthielt genug Aufreger, um die Kommentatoren eine Zeitlang zu beschäftigen. Dabei war das, was er nicht sagte, mindestens ebenso interessant. Über rechtsextreme Tendenzen in der "Truppe" oder die treue Pflege eines demokratiefeindlichen Erbes verlor der Bundespräsident weder ein schriftliches noch ein gesprochenes Wort. Dabei muss man nicht der Meinung sein, dass schon neun Monate Bundeswehr der Charakterentwicklung schaden, um hier ein grundlegendes Problem zu erkennen. 2011 zählte der Wehrbeauftragte insgesamt 63 "Besondere Vorkommnisse" mit rechtsextremistischem, antisemitischem und/oder fremdenfeindlichem Hintergrund. Weniger als 2010 und 2009, doch an den Sachverhalten änderte sich nichts.

Wie in den Vorjahren ging es in den meisten Fällen um das Hören und Einbringen von rechtsextremistischer oder fremdenfeindlicher Musik in Liegenschaften der Bundeswehr, um das Zeigen des "Hitlergrußes", "Sieg-Heil-Rufe", einschlägige Schmierereien, die Verbreitung von nationalsozialistischen Parolen sowie ausländerfeindliche und antisemitische Äußerungen.

Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2011

Solche Vorfälle werden geahndet, und auch ein General wie Reinhard Günzel, der sich nach seiner Entlassung darüber echauffierte, wie "all das, was deutsche Soldaten zwischen 1939 und 1945 an Mut, Tapferkeit und Opferbereitschaft vollbracht haben, mit Hingabe in den Schmutz gezogen wird", musste seinen Hut nehmen.

Doch der NATO-Kommandeur und Sterne-General Klaus Reinhardt, Sohn des einstigen SA-Obergruppenführers und Staatssekretärs im Reichsministerium der Finanzen Fritz Reinhardt, blieb unbehelligt, als er vor 12 Jahren erklärt haben soll, die Gebirgstruppe der Bundeswehr sei "von Männern aufgebaut und geistig ausgerichtet worden (…), die (…) uns die zeitlosen militärischen Werte wie Pflicht, Treue, Tapferkeit und Kameradschaft vorgelebt (haben)." "Diese Männer", so die Fortsetzung des Zitats, "waren unsere Vorbilder und sie repräsentieren eine ganze Generation von Wehrmachtssoldaten, (die) der nachfolgenden Generation das Koordinatensystem ihrer Werteordnung' weitergegeben haben."

Verantwortungsträger

In diesem Koordinatensystem verfangen sich seit vielen Jahren offenbar auch Studenten der Bundeswehrhochschulen, Soldaten und erklärte Neonazis in Uniform.

Joachim Gauck wird das einfach nicht aufgefallen sein. Der sensitive Bundespräsident spürte in Hamburg vielmehr die hohe Schule der Persönlichkeitsbildung, politisches Urteilsvermögen und interkulturelle Kompetenz.

An dieser Führungsakademie, das habe ich gespürt, wird kein geistiger Gleichschritt gelehrt. Hier werden Persönlichkeiten gebildet und eine Fülle von Fähigkeiten entwickelt: Entscheidungsvermögen und Übersicht in fordernden Gefechtssituationen, aber auch politisches Urteilsvermögen und diplomatisches Fingerspitzengefühl, die Fähigkeit, Widerspruch in Rede und Gegenrede zu begründen, interkulturelle Kompetenz und der Umgang mit Medien. Alles in allem: die hohe Kunst, Verantwortung zu übernehmen.

Joachim Gauck

Die Berufsberater der rechten Szene erkannten die Vorteile einer entsprechenden Ausbildung allerdings schon vor geraumer Zeit. "Geh zur Bundeswehr", forderte ein Aufruf aus dem Jahr 1995. Junge "Kameraden und Kameradinnen" sollten "eine Ausbildung bei Bundeswehr und Polizei in Erwägung ziehen, mit dem Ziel, sich in besonders qualifizierten Spezialeinheiten das nötige Wissen und Können anzueignen."

Die Clausewitz-Forscher

Dass sich die Reihe der unseligen Querverbindungen endlos fortsetzen ließe, liegt vor allem daran, dass sie permanent aktualisiert wird. So findet in diesen Tagen am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam, das als Dienststelle der Bundeswehr und Teil der Streitkräftebasis fungiert, ein Kolloquium mit dem Titel "Neue Perspektiven organisierter Gewalt" statt.

Dort wird der Weg des Gerhard Graf von Schwerin "vom General der Panzertruppen zum Unternehmens- und Politikberater" nachgezeichnet. Es geht aber auch um einen mentalitätsgeschichtlichen Vergleich zwischen dem Irak-Krieg und "Großbritanniens strategischem Bombenkrieg" in den Jahren 1939 bis 1945 oder um "ethnic cleansing and hidden retribution in the Czechoslovak Army 1944-1952".

Zu den mutmaßlichen Höhepunkten gehört die Verleihung des mit gut 10.000 Euro dotierten Werner-Hahlweg-Preises für Militärgeschichte und Militärtechnikgeschichte durch den Präsidenten des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung. Der Namensgeber wird in einem Aufruf des Bundesamtes - Anzeige auf S. 415) folgendermaßen präsentiert:

Professor Dr. Hahlweg (1912 - 1989) war Inhaber des Lehrstuhls für Militärgeschichte und Wehrwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster/Westfalen, dem seinerzeit einzigen Lehrstuhl dieser Art in Deutschland. Werner Hahlweg hat bedeutende, international anerkannte Lehr- und Forschungsarbeit geleistet. Besondere Anerkennung wurde ihm als Nestor der Clausewitz-Forschung zuteil.

Aufruf: Werner-Hahlweg-Preis 2012

Für den Militärstrategen Carl von Clausewitz (1780-1831) interessierte sich auch Olaf Rose, der im März 2012 als Kandidat der NPD zur Wahl des Bundespräsidenten antrat. Die Rechten stellten den "im nationalen Lager allseits geschätzten Geschichtsforscher" seinerzeit als "Träger des Werner-Hahlweg-Preises für Militärgeschichte und Wehrwissenschaften" vor.

In der Einleitung zu seiner 1995 erschienenen Dissertation "Carl von Clausewitz. Wirkungsgeschichte seines Werkes in Rußland und der Sowjetunion 1836-1991" bedankt sich Rose namentlich bei "dem verstorbenen Nestor der Clausewitz-Forschung, Werner Hahlweg, der mir wertvolle Hinweise und Anregungen zu Beginn meiner Arbeit gab (…)". Auch Institutionen der Bundeswehr gingen dem Autor augenscheinlich hilfreich zur Hand:

Den Mitarbeitern der Universitätsbibliotheken in Bochum und Hamburg (Universität der Bundeswehr) sowie der Lenin-Bibliothek in Moskau danke ich für ihre freundliche Unterstützung. Dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg i.Br. bzw. Potsdam habe ich zu danken, daß es meine Arbeit in die Reihe "Beiträge zur Militärgeschichte" aufgenommen hat. Ihm und dem R. Oldenbourg-Verlag danke ich für die verlegerische Betreuung.

Olaf Rose

Werner Rahn, Kapitän zur See und Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, würdigte die an der Universität der Bundeswehr in Hamburg entstandene Dissertation als Schließung einer "seit langem bestehenden Forschungslücke" und "wichtigen Beitrag zur Clausewitzforschung".

Der eingangs erwähnte General Reinhardt wurde übrigens 2002 Präsident der Clausewitz-Gesellschaft .Er fungierte überdies als Mitglied des "Beirats für Militärgeschichte" beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt.

Der Namensgeber

Zurück zu Werner Hahlweg. Über die Verleihung des nach ihm benannten Preises freuten sich in den vergangenen Jahren deutsche Wissenschaftler und Hochschulen in Marburg, Potsdam, Jena, und auch Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung. 2006 fand die Verleihung im Berliner Bendlerblock statt, und kaum eine Mitteilung ließ den immer wieder neu kopierten Hinweis auf Hahlwegs "bedeutende, international anerkannte Lehr- und Forschungsarbeit" vermissen.

Dass der vielgerühmte Militärhistoriker früh in den Reihen des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes auftauchte, im Juni 1933 Mitglied der SS wurde und drei Jahre später in die NSDAP eintrat, steht nicht in den Pressemeldungen. Dafür aber in einer Magisterarbeit von René Betker, die den Verstrickungen des Historischen Seminars der Berliner Universität nachgeht - "unter besonderer Berücksichtigung der ordentlichen Professoren".

Demnach war Hahlweg 1937 im Auftrag der Danziger Gaupropagandaleitung der NSDAP an der Ausstellung "Das politische Danzig" beteiligt. 1939 wurde er einberufen, habilitierte sich, nahm am Feldzug gegen die Sowjetunion teil und avancierte 1942 zum Dozenten für Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Kriegsgeschichte, Heeres- und Waffenkunde. Ab 1943 war er im Heereswaffenamt und übernahm später ein nicht näher definiertes "Kommando in den besetzten Gebieten".

Nach Betkers Einschätzung bewegte sich Werner Hahlweg all die Jahre "in der Grauzone zwischen politischem Engagement im nationalsozialistischen Sinne und der Einhaltung wissenschaftlicher Standards". In diesem Sinne weist seine Hinterlassenschaft weit über die Stiftung eines Wissenschaftspreises hinaus.

Aber wird sich der amtierende Bundespräsident je zu der Frage äußern, ob wissenschaftliche Akribie eine totalitäre Gesinnung rechtfertigt und wie genau wir das Fundament betrachten sollten, auf dem die "Stütze unserer Freiheit" in die Gegenwart hineinragt?