Herr Gauck sucht das Glück

Der deutsche Präsident setzt den Stahlhelm auf

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Gerade einmal drei Monate hielt es der vormalige Kabarettist Joachim Gauck im höchsten Staatsamt aus, da brach der alte Beruf wieder durch. So entfuhr es am Dienstag dem ersten Bürger des Staates laut SPIEGEL wie folgt:

Und dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen." Aber: "'Ohne uns' als purer Reflex kann keine Haltung sein, wenn wir unsere Geschichte ernst nehmen", mahnte der Präsident.

Anlass für Gaucks kabarettistischen Rückfall war vielleicht der Minentritt von Assistenztrainer Hansi Flick, den Gauck bei der Blamage beistehen wollte. Vielleicht war es auch die derzeit schwarz-rot-gold-Bier-geschwängerte Atmosphäre, die bei Konservativen die Hemmungen senkt. Die Offenbarung, getötete Deutsche seien ein schwaches Argument gegen Krieg und ausgerechnet Kriegsgegner ließen es an Haltung fehlen, erlaubt gewisse Rückschlüsse auf die Weltsicht des Geistlichen.

"Gefallene"

Bemerkenswert ist bereits Gaucks unkritischer Euphemismus "Gefallene" - ein Sprachgebrauch, den selbst die Bundeswehr bis 2008 vermied. Die Renaissance auch der Verklärung von qualvollem Verrecken junger Menschen auf dem Abschlachterfeld zum "Heldentod" darf noch in Gaucks Amtszeit erwartet werden - ein Wiederauferstehen Gefallener jedoch erst deutlich danach. Gefallen wird solche Rhetorik vermutlich Oberst Klein, dessen Schießbefehl auf einen Schlag mehr Menschen fallen ließ als alle Mauerschützen zusammen - ein Mahnmal für Opfer aus Deutsch-Afghanistan wird Gauck vermutlich nicht einweihen.

Joackim Gauck. Foto: J. Patrick Fischer. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Ein solches sind jedoch die über 3000 Bundeswehrsoldaten wert, die im Vertrauen auf die Sicherheit der Truppe durch Unfälle und dergleichen an der Heimatfront den Heldentod fanden. Nicht eines Mahnmals würdig befand man die 3400 Bürger in Uniform, die sich während ihrer Dienstzeit das Leben nahmen. Es gibt ja Nachwuchs, und so ist ein Bundeswehrkindergarten wie am Dienstag ein denkbar würdiges Terrain, um über die Suche nach Glück zu predigen.

"Glückssüchtigen Gesellschaft"

Nunmehr also wissen wir dank des an die Staatsspitze beförderten Klerikers, dass wir einer "glückssüchtigen Gesellschaft" angehören. Süchtig nach Glück? Bereits die Definition von "Glück" bereitet der Gauck-Gemeinde gewisse Hindernisse. Ist eine Sehnsucht nach Glück möglicherweise etwas Negatives? Wäre es gar moralischer, masochistisch dem Unglück zu frönen? Und ist es möglicherweise einfach nur unverschämt, wenn ein junger Mensch, der sich in eine Uniform hat zwängen lassen, nicht unnatürlich ableben möchte?

"Purer Reflex", "Glückssucht"

So richtig in Hochform gerät der Kabarett-Routinier, wenn er vor dem Krieg "ohne uns" warnt, ein "purer Reflex" der glückssüchtigen Deutschen. Was sind das wohl für vaterlandslose Gesellen, die nicht auf jene schwach bewaffnete Afghanen ballern wollen, die es in zehn Jahren noch nicht in die Schusslinie geschafft hatten? "Ohne uns" - vielleicht meint der Pastor die deutsche Schande, als weder die DDR, noch Westdeutschland sich am amerikanischen Krieg für die Freiheit der Vietnamesen vor sich selber beteiligen wollten? Und fehlten wir nicht feige, als es galt, das Öl des Iraks zu befrieden? Aus Hubschraubern auf Menschenjagd zu gehen, wäre doch für unsere Jungs kaum gefährlich. Wenigstens im US-Foltergefängnis Abu Ghuraib hätten wir doch als deutschen Beitrag einen Gefängnispfarrer stellen können!

"Ohne uns"

"Ohne uns" - das sagten Kriegsdienstverweigerer sogar in Nazi-Deutschland, und mussten ihre Haltung mitunter mit dem Leben bezahlen. "Ohne uns" - das sagten Zivildienstleistende in Westdeutschland, die ihre "Glückssucht" feige mit der Pflege von bedürftigen Menschen befriedigten. "Ohne uns" - das sagten auch die Generäle der ostdeutschen NVA, als Honecker das Militär im Inneren einsetzen wollte, wie es ja auch Schäuble vorschwebt. Soldatenpfarrer Gauck fällt dazu gerade mal ein, die NVA habe eine unmenschliche Grenze gegen das eigene Volk militärisch abgesichert - Kampfeinsätze kann er der NVA ja nicht vorwerfen. Erst nach dem Ende des insoweit stabilen Ost-West-Konflikts durften Deutsche wieder im Ausland töten.

"Ohne mich" sagte auch Gauck einst, und drückte sich vor seinem Dienst bei der NVA mit einem halbherzigen Theologiestudium. "Ohne mich" sagte sich Gauck, als im Vorfeld des Mauerfalles seine Landsleute flüchteten und auf die Straße gingen, denunzierte sie gar als "Hoffnungslose". Erst als die Messe schon gelesen war, gerade einen Monat vor dem Mauerfall, hatte Opportunist Gauck unspektakulär zum Neuen Forum gefunden und ziert sich seither mit dem Etikett "Bürgerrechtler". Dass eben dieses Neue Forum aus der Bewegung "Frauen für den Frieden" hervorgegangen war, schert den Kriegsrhetoriker ebenso wenig wie jenen grünen Außenminister die Geschichte seiner aus der Friedensbewegung stammenden Partei. "Freiheit" heißt für Gauck offenbar "Enduring Freedom".

Inzwischen ist es der Truppe nun erlaubt, am Landstreifen in Somalia aus dem Hubschrauber auf Menschen zu schießen - wo sich praktisch alle Dörfer der Gegend befinden. Denn Deutschlands Freiheit muss auch in Somalia verteidigt werden. Zu den christlichen Amerikanern, die den nächsten gerechten Krieg im Iran vorbereiten, pflegt der konservative Pfarrer Gauck bekanntlich ein sehr herzliches Verhältnis. Was mit Präsident Köhler als Kritiker wirtschaftlich motivierter Kampfeinsätze nicht zu machen war, was mit Präsident Wulff als Islamversteher nicht klappte, das wird Rhetoriker Gauck schon gebacken kriegen.

Falls mal wieder ein Geistlicher gebraucht wird, um Bomben zu segnen, könnte der Pfarrer sogar auch selbst einen kriegswichtigen Beitrag leisten. Und wer weiß, wenn wir Deutschen unsere Glückssucht endlich mal zügeln würden, vielleicht kriegen wir dann ja sogar auch Deutsch-Südwestafrika wieder zurück? Dann jedenfalls können wir "unsere Geschichte" mal wieder so richtig "ernst nehmen". Gaucks nächster Kabarett-Auftritt folgt so sicher wie das Amen in der Kirche.