Die Angst der Eliten vor der Demokratie

Seite 4: Die größte Gefahr für die Demokratie?

In einer Vielzahl gesetzlicher Initiativen der vergangenen Jahre, angefangen mit dem NetzDG, dem Demokratiefördergesetz, der inzwischen erfolgten Änderung des Disziplinarrechts zur Entfernung von Verfassungsfeinden aus dem öffentlichen Dienst oder etwa die aktuell von SPD- und FDP-Politkern geforderte und inzwischen mit einem Gesetzentwurf der Justizminister der Bundesländer unterlegte stärkere Abschirmung des Bundesverfassungsgerichts vor politischem Einfluss, lässt sich eine bizarre Umkehrung des Demokratieprinzips erkennen.

Anstatt, wie im Grundgesetz verankert, dem Grundsatz zu folgen, dass die Bürger der Souverän sind und daher "alle Staatsgewalt (…) vom Volke ausgeht" und diese insbesondere durch "Wahlen und Abstimmungen (…) ausgeübt" werden soll, folgt man inzwischen offenbar der Maxime, dass vom Volk die größte Gefahr für die Demokratie ausgeht.

Aufbau hoher Schutzwälle

Die auf Bundesebene ohnehin nur repräsentative Demokratie, die dem Volk die direkte demokratische Kontrolle verwehrt, und deren Machtzentrum immer weiter auf die gegenüber demokratischem Einfluss weitgehend abgeschirmte EU-Ebene übertragen wird, wird weiter gezielt ausgehöhlt, indem man immer höhere Schutzwälle der "wehrhaften Demokratie" rund um die demokratischen Institutionen aufbaut und damit die politische Einflussnahme der Bürger kontinuierlich einschränkt.

Zweifellos steckt hinter dieser Entwicklung auch ein pragmatisches, machtpolitisches Kalkül. Denn es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Stärkung der Institutionen der wehrhaften Demokratie dazu dient, dem zunehmenden politischen Druck durch populistische Strömungen etwas entgegenzusetzen, indem man die Möglichkeiten der politischen Einflussnahme immer weiter einschränkt.

Misstrauen gegenüber den Bürgern

Der große Schaden für die Demokratie entsteht daraus, dass das legitimiert wird, indem man den Bürgern nicht die geistigen und moralischen Kapazitäten attestiert, um die Funktion des demokratischen Souveräns auszufüllen.

In der inzwischen gängigen Abwertung der Bürger als potenzielle Opfer von "Rattenfängern" liegt eine enorme Gefahr für die Demokratie, denn unter dieser Prämisse, droht auch die wohl wichtigste Grundlage einer funktionierenden Demokratie, zu einer unerträglichen Gefahr zu werden.

Denn indem den Bürgern im Allgemeinen oder jedenfalls einem erheblichen Anteil nicht zugetraut wird, sich eine eigene und unabhängige Meinung zu bilden und auf dieser Basis vernünftige und moralische Urteile zu fällen, erscheint es sicherer, diesen Meinungsbildungsprozess, der vermeintlich zu einem entgegengesetzten Ergebnis führt, möglichst zu blockieren.

"Man kann die Demokratie nicht vor dem Volk schützen"

"Man kann die Demokratie nicht vor dem Volk schützen", warnt der frühere Ministerpräsident des Saarlandes und ehemalige Bundesverfassungsrichter Peter Müller (CDU).

Er verweist zurecht darauf, dass das Grundgesetz auch "auf die Kraft des Arguments und auf die geistige Auseinandersetzung [setzt], darauf, dass Demokraten die Demokratie mit offenem Visier verteidigen".

Die Angst vor dem Volk in Gestalt des Populismus hat in den vergangenen Jahren jedoch in Politik, Staat und Medien eine Demokratiepanik ausgelöst, in der man dem Bürger nicht mehr auf Augenhöhe begegnet.

So droht die von Müller betonte Seite der Verfassung, die auf Vernunft und Moralität der Bürger setzt und diese letztlich als Träger der Demokratie begreift, über Bord zu gehen und seine Warnung zur bitteren Realität zu werden: Eine Demokratie gegen das Volk.

Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem Buch "Experimente statt Experten – Plädoyer für eine Wiederbelebung der Demokratie".

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.