Die Angst vor der nächsten Staatspleite
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Griechenland beginnt mit der Öffnung
Ab Montag den 4. Mai werden in Griechenland die bislang bestehenden, verschärften Ausgangsbeschränkungen aufgehoben. Erste Geschäfte werden nach knapp 50 Tagen erneut geöffnet. Die "Quarantänezeit" wird jedoch mindestens bis Mitte Juni andauern.
Wirtschaftlich stehen Griechenland schwere Zeiten bevor. Die "Hauptindustrie", der Tourismus, steht zumindest für 2020 vor dem Aus. Zu den mit der Pandemie zusammenhängenden wirtschaftlichen und politischen Problemen gab es am Donnerstag im Parlament, der Vouli, eine mehr als sechseinhalb Stunden dauernde große Aussprache der Parteichefs der im Parlament vertretenen Parteien.
Siebenstufenplan für die Öffnung
Zunächst werden am 4. Mai die bislang notwendigen Bescheinigungen oder SMS für einen Weg außerhalb des eigenen Haushalts abgeschafft. Frisörläden und Kosmetiksalons dürfen wieder betrieben werden. Darüber hinaus wird der Verkauf von Pflanzen, Optik, Sportkleidung und Büchern wieder gestattet. Kirchen werden für das tägliche Gebet von Einzelpersonen geöffnet, Messen sind noch nicht gestattet.
Die übrigen Kleidungsgeschäfte und Einzelhandelsgeschäfte dürfen am 11. Mai öffnen, sofern es sich nicht um Einkaufszentren handelt. Bei allen Geschäften bleiben die bislang für Supermärkte geltenden Abstandsregen gültig. Ab dem 11. Mai müssen die Schüler der Abschlussklasse der Sekundarstufe wieder zum Unterricht erscheinen. Die übrigen Schüler sind später an der Reihe. Fahrten außerhalb des Wohnorts sind erst ab dem 18. Mai erlaubt.
Für die Nachtstunden von 24 h bis zum Morgen besteht eine strikte Empfehlung, das Haus nicht zu verlassen. Je nach Verlauf der Pandemie sollen, wenn möglich im Wochentakt, weitere Freigaben erfolgen - oder aber neue Schließungen verordnet werden. Als Richtplan ist ein Zeitraum von sieben Wochen vorgesehen.
Der bisherige Verlauf der Epidemie
Griechenland hatte am 8. März, drei Tage vor dem ersten Toten im Land mit Beschränkungen des öffentlichen Lebens begonnen. Im Vergleich dazu begannen die Spanier sechs Tage und die Italiener zwölf Tage nach dem ersten Todesfall mit ihren Maßnahmen. Ab dem 10. März schlossen landesweit die Schulen, während einige Stadtgemeinden diesen Schritt bereits vorher in Eigenregie beschlossen hatten. Mit den Schulen schlossen Restaurants und Cafes und gleich darauf auch zahlreiche Geschäfte des Einzelhandels, bis auf Supermärkte, Zeitungskioske und Apotheken.
Seit dem 22. März ist ein Verlassen der eigenen Wohnung nur in Ausnahmefällen, welche schriftlich oder über eine zentrale SMS-Nummer dokumentiert werden müssen, möglich. Der Tenor im Land ist, dass diese Maßnahmen dafür sorgten, dass Griechenland heute mit 140 Todesfällen auch gemessen an der Bevölkerungszahl, einen relativ niedrigen Opferquotienten aufweist.
Demgegenüber stehen, Stand 30. April, relativ wenige Tests, knapp 75.000 insgesamt. Von der Regierung selbst wird die Zahl der Test pro Tag während des gesamten Verlaufs der Pandemie auf ungefähr 800 taxiert. In der Zeit der Wiedereröffnung der Wirtschaftstätigkeit soll diese Zahl auf 5500 steigen.
Kritiker aus der Opposition werfen der Regierung vor, dass sie mit ihrer restriktiven Testpolitik die wahre Zahl der Infizierten nicht erfassen könne. Zu den Anordnungen der Gesundheitsbehörde EODY zählt unter anderen, dass Bürger mit leichten, verdächtigen Symptomen freiwillig für zwei Wochen in häusliche Quarantäne sollen. Getestet werden sie nicht. Nur zögerlich getestet werden, wie sie selbst anprangern, die Angehörigen von erkrankten oder gar verstorbenen Patienten. In mindestens einem Fall, einem knapp 55-Jährigen Griechen, der zu Hause starb, wird das nach der Obduktion bekannt gewordene Testergebnis einer Covid-19-Infektion vom EODY nicht als ursächliche Todesursache anerkannt.
Kritik aus Reihen der Opposition
Dahinter stecken nach Ansicht von Oppositionellen knallharte wirtschaftliche Interessen. Dies wurde am Donnerstag bei einer großen Aussprache im Parlament besonders deutlich. Premierminister Kyriakos Mitsotakis feierte sich und seine Regierung dafür, Griechenland in ein Corona-sicheres Land verwandelt zu haben, die Vorsitzenden der Oppositionsparteien bemängelten, dass dies offenbar auch als moralisch zweifelhafte Werbung für das Anlocken von Touristen aus dem Ausland dienen solle.
Dissonanzen gab es im Parlament auch darüber, inwiefern aktuell die demokratische Kontrolle der Regierung im Parlament und die Pressefreiheit sichergestellt sind. Schließlich hat die Regierung in zwei Raten einmal elf Millionen Euro und vor wenigen Tagen noch einmal neun Millionen Euro an ihr genehme Medien verteilt. Welche Medienunternehmen wie viele Gelder aus dem Füllhorn erhalten haben, darüber schweigt sich die Regierung aus.
Oppositionelle Medien, vor allem diejenigen, welche SYRIZA nahe stehen, blieben dagegen ohne finanzielle Unterstützung. Schlimmer noch, als die Efimerida ton Syntakton (EfSyn) eine skandalöse Verwendung von Hilfsgeldern durch das Arbeitsministerium anprangerte, und hinsichtlich der Verquickung personeller und wirtschaftlicher Interessen von Journalisten, Verwandten und Freunden von Politikern stellte, bekam die Zeitung am Tag der Veröffentlichung Besuch von Prüfern des Arbeitsministeriums.
Die EfSyn hatte veröffentlicht, mit welch fragwürdigem Inhalt und wie vielen fachlichen und textlichen Fehlern die vom Arbeitsministerium ins Leben gerufene Weiterbildung von akademisch gebildeten Freiberuflern erfolgte. Das Arbeitsministerium hatte die Teilnahme an den Onlinekursen zur Voraussetzung für die Auszahlung von Hilfsgeldern an die von verordneter Schließung betroffenen Freiberufler gemacht. Finanziert wurde das Ganze mit Geldern aus dem EU-Fonds für Regionalentwicklung.
Unter anderen war Medizinern in einem dieser Kurse vermittelt worden, dass es keine viral verursachten Lungenentzündungen gibt, und dass zur Seuchenkontrolle die "Zahl der Pathologen in Krankenhäusern beschränkt werden muss". Von den Kursen profitierten natürlich auch die privaten Anbieter der Onlineschulung, die rein zufällig mit hochrangigen Regierungspolitikern befreundet sind. Dass an einem dieser Schulungsinstitute die Anchorwoman des TV-Senders Skai, Sia Kossioni, Ehefrau des Bürgermeisters von Athen und Neffen des Premiers Kostas Bakoyiannis, als Referentin beschäftigt ist, nahm die EfSyn zum Anlass, sich zu fragen, wie unabhängig Kossioni über den Fall und die Regierungspolitik berichten könne.
Oppositionsführer Alexis Tsipras ging in seiner parlamentarischen Rede sogar so weit, der Regierung mit der Politik der intransparent verteilten Gelder und der gleichzeitigen Repressionen eine "Erpressung" der Presse vorzuwerfen.
Das Schulungsprogramm wurde in der vergangenen Woche schließlich "auf Anordnung des Premiers" gestoppt. Für den kompromittierten Arbeitsminister Giannis Vroutsis, der es bis zuletzt verteidigt hatte, gab es keinerlei Konsequenzen. Scharfe Kritik deswegen musste sich Mitsotakis auch am Donnerstag anhören. Er verweist jedoch darauf, dass die Infrastruktur für die berufliche Weiterbildung unter früheren PASOK-Regierungen geschaffen und von SYRIZA ausgebaut wurde. Auf die Kritik am Inhalt der fragwürdigen Weiterbildungsprogramme geht der Premier nicht ein. Er feiert sich lieber dafür, dass er diese gestoppt habe,und damit die Gelegenheit, "einen Fehler zu korrigieren", genutzt habe.
Vetternwirtschaft werfen Oppositionelle Mitsotakis auch im Zusammenhang mit der nun ab 4. Mai geltenden Maskenpflicht vor. Hintergrund ist, dass die Nützlichkeit der Masken bislang vom Leiter der Gesundheitskommission Professor Sotiris Tsiodras vehement bestritten wurde. Vielmehr seien die Masken eine Gefahrenquelle hieß es. Nun sind sie Pflicht und sollen vor einer weiteren Verbreitung der Infektionen schützen.
Zwischenzeitlich feierte Mitsotakis die Eröffnung einer Produktionsanlage für Masken in Larissa. Dem dortigen Unternehmer wird von Oppositionellen eine Nähe zur regierenden Nea Dimokratia nachgesagt. Als "Beweis" wird darauf verwiesen, dass es für die aktuell zum bis zu Zwanzigfachen des vor Corona-Preises angebotenen Masken keine Preisbindung gibt. Viel wahrscheinlicher ist, dass eine vorherige Maskenpflicht wegen des eklatanten Mangels an Masken auf dem griechischen Markt zum Chaos geführt und die Versorgung des medizinischen Personals ernsthaft hätte gefährden können. Ob es bei der Vermarktung der Masken und dem abgeschöpften unternehmerischen Gewinn Mauscheleien gab, steht auf einem anderen Papier als die nun aufgestellte These, die "nutzlosen Masken" würden aus "Gewinnsucht" zur Pflicht erklärt.
Solche Diskussionen lenken leider vom Sinn und Grund sämtlicher Infektionsschutzmaßnahmen ab. Die unbestrittene Disziplin, mit der die Bewohner Griechenlands bislang die Quarantänemaßnahmen ertragen haben, bröckelt auch wegen der Zweifel, welche auch aufgrund der einseitig die Regierung lobenden Presse verstärkt werden. Wenn die Pandemiebekämpfung in Griechenland sich am Ende als erfolgreich erweist, dann ist der Beitrag der Bevölkerung sicherlich höher einzuschätzen, als derjenige von Politik und Medien.