Die Angst vor der nächsten Staatspleite

Seite 2: Zweierlei Maß für Veranstaltungen und Ausnahmen während der Quarantänezeit

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Kritik an Mitsotakis übte in den vergangenen Tagen auch die Amtskirche. Sie sah sich wegen eines Straßenkonzerts vom Wochenende brüskiert, nachdem eine Woche vorher Priester verhaftet wurden, welche das orthodoxe Osterfest feiern wollten. Die Kirche verlangte daher die zügige Wiedereröffnung der Gotteshäuser und bekam wegen des Konzertes schneller als vorher erhofft die Zusage.

Kyriakos Mitsotakis und sein Neffe, der Bürgermeister von Athen, Kostas Bakoyiannis. Bild: Handout Prime Minister Office /Dimitris Papamitsos

Das Straßenkonzert versetzte am Wochenende Griechenland in Aufregung. Mitten in der Corona-Virus-Zeit fuhr die Sängerin und frühere Kulturministerin Alkistis Protopsalti samt Musikern mit einem LKW durch Athen und bot ihre Gesangskünste den in den Wohnungen eingeschlossenen Bewohnern an. Dabei kam es zu Szenen, die eindeutig mit den geltenden Bestimmungen zum Infektionsschutz kollidieren. Zentral mitten im Geschehen waren ausgerechnet Premierminister Kyriakos Mitsotakis und sein Neffe, der Bürgermeister von Athen, Kostas Bakoyiannis. Diese hatten nach Angaben der Künstlerin mit einem Telefonat dafür gesorgt, dass der LKW samt Band in der Herodes Attikus Straße vor dem Amtssitz Mitsotakis, dem Megaron Maximou, auftauchte. Regierungssprecher Petsas hingegen behauptete, dass die Künstlerin den Premier überraschen wollte.

Fakt ist, dass Mitsotakis und Bakoyiannis, die beide nicht in einem Haushalt wohnen, Arm in Arm auf der Straße vor dem Megaron Maximou fotografiert wurden. Schlimmer noch, rund um Bürgermeister und Premier hatte sich eine Menschentraube gebildet, bei der keine Abstandsregel eingehalten wurde.

Kein Mindestabstand. Bild: Handout Prime Minister Office /Dimitris Papamitsos

Am gleichen Wochenende erhielt ein Rentner in Chalkida einen Strafzettel über 150 Euro wegen "Übertretung der Ausgangsbeschränkungen", weil er auf seinem ansonsten korrekt ausgefüllten Formular für den Broteinkauf als Datum 26. April 2019 und nicht 2020 eingetragen hatte.

Am orthodoxen Karfreitag bezahlten ein Priester und ein Kfz-Eigentümer noch mehr für ihr "Vergehen". Sie hatten den traditionellen Karfreitagsumzug, den "Epitaphio", wegen der Quarantäneregeln nicht durchführen können. Daher packten sie den geschmückten liturgischen Epitaph samt dem darin liegenden vom Kreuz abgenommen Korpus der Jesus-Christus-Statue auf einen Pick-Up-Transporter. Sie wollten durch die Straßen ihrer Gemeinde fahren und über Lautsprecher den in ihren Wohnungen verbliebenen Gläubigen die Psalmen des Feiertags "ins Haus bringen". Die Polizei hatte eine andere Meinung. Sie wertete das Ganze als verbotswidrigen Aufenthalt in der Öffentlichkeit und bestrafte den Kfz-Besitzer zusätzlich mit einem zweimonatigen Führerschein- und Zulassungsentzug für die Zweckentfremdung des "nur für den Betrieb als Lieferwagen von Agrarprodukten" zugelassenen Wagens. Sondergenehmigungen, wie für die Künstlerin, hatte es für die Kirche nicht gegeben.

Fraglich ist zudem, wieso der Oppositionspolitiker und Generalsekretär von DiEm25 (MeRa25), Yanis Varoufakis, auf Anordnung des Regierungssprechers juristisch dafür verfolgt werden sollte, dass er von seinem aktuellen Wohnort auf der Insel Ägina nach Athen in das Parlament fährt, während Bakoyiannis Auftreten vor dem Megaron Maximou folgenlos blieb. Minister und Parlamentarier dürfen sich eigentlich "aus Gründen der Amtsausübung" frei bewegen. Varoufakis, der auch am Donnerstag erneut beharrlich forderte, das Parlament solle in Vollbesetzung über eine Videokonferenz tagen, fährt nur dann ins Parlament, wenn er dort redet. Bakoyiannis hingegen kann kaum das Zuhören beim Konzert als amtlichen Grund für sein Erscheinen angeben.

Problematisch erweisen sich die Ausgangsbeschränkungen für die Ausübung journalistischer Tätigkeiten. Innerhalb des heute in Regionen aufgegangenen jeweiligen Regierungsbezirks (Nomos), in dem sich ein Journalist bei Ausrufung der Ausgangssperren befand, kann sich jeder über einen amtlich anerkannten Presseausweis verfügende Journalist frei bewegen. Bei Fahrten über die Grenzen des Regierungsbezirks hinaus muss jedoch angegeben werden, wer der Kunde eines journalistischen Auftrags ist und wer genau interviewt oder fotografiert werden soll. Dies kollidiert mit der journalistischen Ethik des Quellenschutzes.

Dabei fällt auf, dass es auch hier Ausnahmegenehmigungen gibt. So reist aktuell ein Reporter samt Team für den der Regierung gegenüber alles andere als kritisch eingestellten Sender Alpha von Insel zu Insel, obwohl die Fahrt auf Inseln laut Quarantänebestimmungen nur für ständige Bewohner von den Inseln gestattet ist und die Insel nach der Ankunft nicht mehr verlassen werden darf.

Plakat der KKE mit Aufruf zum 1. Mai. Bild: W. Aswestopoulos

Für den 1. Mai geplante "Demonstrationen unter Einhaltung der Abstandsregeln" wurden jedenfalls von der Regierung verboten. Hier gab es selbst für Gruppen von zehn Personen keinerlei Ausnahmegenehmigung. Diese und ähnliche willkürlich erscheinende Maßnahmen brachten der Regierung von Seiten SYRIZA die Kritik ein, dass Mitsotakis' Kabinett autokratisch regieren würde. Ein Vorwurf, den der Premier bestimmt von sich wies.