Die Angst vor wütenden Bauern: Green Deal und Umweltschutz am Ende?
Geplantes Anti-Pestizid-Gesetz gekippt, EU-Regelung zu Brachen ausgesetzt: Was bleibt von Nachhaltigkeit und Artenschutz?
Einen Lichtblick gibt es: Der Rückgang natürlicher Lebensräume in Europa soll gestoppt, mehr Kohlenstoff in Wälder und Moore eingelagert und somit Hitzewellen, Dürren, Starkregen und Überschwemmungen abgemildert werden. Für ein Gesetz zur Wiederherstellung der geschädigten Ökosysteme stimmte diese Woche eine knappe Mehrheit aus Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken im EU-Parlament in Straßburg.
EU-Parlament für Ökosystem-Wiederherstellung: Aber wie?
Demzufolge müssen die EU-Länder bis 2030 mindestens 30 Prozent der geschädigten Lebensräume im Wasser und an Land wiederherstellen. Bis 2040 sollen 60 Prozent und bis 2050 sogar 90 Prozent renaturiert werden. Doch bevor das Gesetz in Kraft treten kann, müssen alle EU-Mitgliedsstaaten zustimmen.
Auch wenn ein Gesetz dieser Art grundsätzlich zu begrüßen ist, so bleibt doch offen, wie die genannten Renaturierungsmaßnahmen umgesetzt werden sollen. Zumindest die EU-Agrarpolitik bewegt sich gerade in eine ganz andere Richtung: In den letzten Wochen wurden wichtige Öko-Regelungen gekippt.
Zugeständnis nach Protesten: Naturflächen als Bauernopfer
Die zum Schutz der Biodiversität erlassene Pflicht zur Stilllegung von mindestens vier Prozent der Ackerflächen pro Betrieb soll in diesem Jahr ausgesetzt werden. Man wolle die "Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe mit einem effektiven und praxistauglichen Schutz der Artenvielfalt" zusammenbringen, so die Begründung. Auch der Anbau von Leguminosen bzw. Zwischenfrüchten soll gelockert werden.
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Bis Ende Februar mussten die EU-Mitgliedstaaten ihre Entscheidung mitteilen, ob sie die Regelung zu übernehmen oder auf den bisherigen Öko-Regelungen mit ungenutzten Brachflächen, Hecken usw. zu bestehen. Deutschland hatte sich bei der Abstimmung Anfang Februar über die EU-Regelung im EU-Ausschuss enthalten.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte die Aussetzung nach massiven Bauernprotesten angekündigt. Die Kommission verteidigte den Schritt als "gangbaren Kompromiss zwischen Ökologie und Landwirtschaft".
Umweltverbände für deutschen Sonderweg
Bundesumweltministerin Steffi Lemke will sich nun dafür einsetzen, dass die Regel in Deutschland nicht angewendet wird. Die Arbeit von Landwirten habe nur dann eine Zukunft, wenn die Artenvielfalt ausreichend geschützt werde, erklärte die Grünen-Politikerin.
Auch appellierten Naturschutzverbände an Cem Özdemir, die Regelung nicht zu übernehmen. Der bündnisgrüne Agrarminister dürfe nicht aus Angst vor neuen Treckerprotesten vor den Landwirten einknicken. Er müsse Wort halten und sich für die Umsetzung der für die Artenvielfalt wichtigen Brachen einsetzen, mahnt NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller.
Bereits im vergangenen Jahr hatte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Brachenpflicht ausgesetzt. Begründung war die angespannte Versorgungslage mit Getreide in der Ukraine. Damals hatte auch Özdemir die Brachen unter Protest von Naturschützern für bestimmte Formen der landwirtschaftlichen Nutzung freigegeben. Es werde eine Ausnahme bleiben, hatte er versprochen.
Brachen und Blühstreifen: Der Nutzen für die Bodenqualität
Neben Blühstreifen sind Brachen am besten geeignet, die Biodiversität in der Agrarlandschaft zu schützen und deren Durchlässigkeit, also den Biotopverbund, zu erhöhen", ist Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung überzeugt.
Der Biodiversitätsforscher widerspricht dem häufig vorgebrachten Argument, man müsse still gelegte Flächen beackern, um die globale Ernährung zu sichern. Denn Brachen werden zumeist auf Grenzertragsstandorten und Feldern, die ohnehin schwer zu bearbeiten sind, eingerichtet.
Das Argument der Nahrungssicherheit werde immer dann ins Feld geführt, wenn es um Fragen des Schutzes der Biodivesität gehe, kritisiert er. Bei Gesetzen für die Fleischerzeugung, für Futtermittelimporte oder den Einsatz von Biokraftstoffen hingegen spiele es für gewöhnlich keine Rolle.
Vier Prozent Brache sind zu wenig, um Artenvielfalt zu schützen
Damit inmitten der intensiv genutzter Äcker Insekten Nutzpflanzen bestäuben und Vögel ungestört brüten können, Wasser und Kohlenstoff im Boden gespeichert wird und die Ackerkrume erhalten bleibt, müssen vier Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für die Natur reserviert werden.
Dabei reicht selbst ein Brache-Anteil von vier Prozent kaum aus, um die biologische Vielfalt in Landschaften außerhalb von Schutzgebieten zu erhalten, erklären Wissenschaftler.
Ökologische Vielfalt in Agrarlandschaften auf dem Tiefpunkt
In der Zeit der Flächenstilllegungen - in den 2000er Jahren - bezahlten die EU Landwirte dafür, Äcker nicht zu bewirtschaften. Infolgedessen erholten sich die Bestände stark dezimierter Vogelarten in Agrarlandschaften relativ schnell. Doch mit dem Ende der sogenannten Stilllegungsprämien brachen die Populationen wieder ein. Nicht zufällig ist die ökologische Vielfalt in der Agrarlandschaft heute an einem historischen Tiefpunkt angelangt.
Wie groß der ökologische Gewinn durch Brach- und Blühflächen schon auf relativ kleiner Fläche inmitten der intensiv genutzter Landschaft sein kann, zeigt aktuell ein von der EU gefördertes Modellprojekt zum Schutz des Rebhuhns, dessen Bestände seit Jahren dramatisch schrumpfen.
Während eines Zeitraums von sechs Jahren erholten sich auf den Projektflächen im südlichen Niedersachsen nicht nur die Bestände von Rebhühnern um 50 bis 95 Prozent, sondern auch Feldvögel wie Dorngrasmücke, Feldsperling, Bluthänfling, Stieglitz und Sumpfrohrsänger sowie Feldhasen.
Konservative, Rechte und Liberale gegen Anti-Pestizid-Gesetz
Wochenlang hatten Landwirte in ganz Europa protestiert, auch weil sie strengere Auflagen befürchteten. Offenbar mit Erfolg. Denn Anfang Februar kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, die lange geplante Richtlinie für weniger Pestizideinsatz streichen zu wollen.
Ziel des gekippten Gesetzes war es, das Artensterben auszubremsen. Der Entwurf sah vor, dass Landwirte den Einsatz von Pestiziden bis 2030 um insgesamt 50 Prozent einschränken sollten.
Die Kommission könne ein neue "ausgereiftere" Richtlinie ausarbeiten und dabei Bauern- und Umweltverbände stärker einbeziehen, hieß es. Damit ist allerdings nicht vor den Europawahlen im Juni zu rechnen.
Warum Bauern auf Artenvielfalt angewiesen sind
Ein ökologischer und klimagerechter Umbau der Landwirtschaft in Europa ist dringender nötig denn je. Denn wo Insekten und Wildkräuter mit der chemischen Keule systematisch vernichtet werden, werden keine Blühpflanzen mehr bestäubt, finden Vögel keine Nahrung mehr und Säugetiere keinen Unterschlupf. Langfristig nimmt die Fruchtbarkeit der Böden ab. Das belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien.
Dabei sind nicht nur Böden, sondern auch Fließgewässer mit Agrochemikalien vergiftet: Ökotoxikologen vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig analysierten kürzlich mehr als hundert Bäche, die durch deutsche Agrarlandschaften fließen. Ergebnis: Die Grenzwerte für Pestizidkonzentrationen wurden in mehr als 80 Prozent aller Gewässer – teilweise um mehr als das Hundertfache – überschritten.