Die Apologie eines Experten
Da der französische Richter für sein Urteil im Yahoo-Prozess sich auf den Expertenbericht stützte, sieht sich der britische Mitautor unter Rechtfertigungszwang
Letzte Woche hatte der französische Richter Jean-Jacques Gomez sein für das Internet möglicherweise bedeutsames Urteil bestätigt: Yahoo muss innerhalb von drei Monaten dafür sorgen, dass französische Internetbenutzer nicht mehr auf die Auktionsseiten zugreifen können, die in Frankreich verbotene Nazi-Andenken zeigen.
Vor der endgültigen Urteilsverkündigung ließ sich der Richter noch einen Bericht über die technischen Möglichkeiten einer solchen Beschränkung von drei Experten vorlegen. Einer der drei Experten, der neben dem skeptischen Vinton Cerf und dem Franzosen eher im Hintergrund geblieben ist, der Brite Ben Laurie, hat eine Entschuldigung verfasst, nachdem sie im Bericht zum Schluss gekommen waren, dass eine solche Sperrung technisch prinzipiell möglich sei. Cerf warf dem Richter vor, er habe nicht berücksichtigt, "dass dann, wenn jede Rechtssprechung der Welt auf irgendeiner Form der Filterung für ihr bestimmtes geografisches Territorium insistiert, das World Wide Web nicht mehr funktionieren würde."
Die Experten, so Laurie, hatten lediglich den Auftrag zu überprüfen, ob technisch eine solche Sperre möglich sei, also ob Yahoo dem Urteil überhaupt Folge leisten könne. Eine vollständige Umsetzung einer Zugangssperre für französische Bürger sei nicht möglich, so das Ergebnis, aufgrund der IP-Adressen könnten nur etwa 80 Prozent der Franzosen identifiziert werden. Der Vorschlag war dann, dass man die Internetbenutzer dann fragen könne, ob sie Franzosen seien, und wenn sie darauf wahrheitsgemäß anworten sollten, ihnen den Zugang beispielsweise mit einem Cookie zur Identifizierung zu sperren.
Laurie meint, ebenso wie Vinton Cerf, dass man natürlich diese Zugangsbeschränkung aufgrund der geografischen IP-Adressen-Identifizierung umgehen könne, in dem man beispielsweise seine Identität anonymisiert oder sich bei AOL anmeldet, während man auf die Frage keine ehrliche Antwort geben müsse.
Mit dem Urteil des Richters, trotz dieser vielen Löcher Yahoo zur Einrichtung einer technischen Sperre zu verpflichten, hadert Laurie, obgleich er sagt, dass Frankreich selbstverständlich das Recht habe, seine Rechtssprechung über die eigenen Bürger sicherzustellen. Yahoo könne sich aber einfach aus dem Land zurück ziehen, was das Unternehmen aber anscheinend nicht wolle, weil es dadurch wirtschaftliche Einbußen befürchte. Frankreich könne dann nur noch die Provider im eigenen Land belangen und sie dazu zwingen, den Zugang zu den Yahoo-Seiten zu sperren, was natürlich aufwendiger wäre. Die vom französischen Gericht erreichte Lösung, das Gesetz so gut wie möglich durchzusetzen, sei nur eine halbe Sache und leicht zu umgehen, aber das sei ganz normal bei der Umsetzung des Rechts.
Für Laurie wird eher der ökonomische Gesichtspunkt in Zukunft eine Rolle spielen, also die Frage, wie sinnvoll es ist, jeder Website in der Welt Auflagen für spezifische nationale Zugangssperren zu machen, die wenig genau, kaum wirksam und leicht zu umgehen sind. Und schließlich findet es Laurie bedenklich, dass mit dem Urteil nicht nur der Besitz oder der Handel mit Nazi-Andenken, sondern schon das Sehen von Bildern verboten wird. Das ist für ihn Gedankenkontrolle, und dann sagt er noch: "Das Internet ist reine Information." Aber das ist vieles. Letztlich glaubt er, dass das Internet kaum für eine Kontrolle oder Zensur geeignet sei: "Die Menschen haben seit dem Beginn des Internet versucht, das zu machen, und sie hatten dabei keinen Erfolg. Dieser Fall ist keine Ausnahme." Aber auch sonst konnte Zensur fast niemals wirklich jede unliebsame Information aussperren, selbst wenn sie für die meisten Menschen in einem Land nicht zugänglich war. Und das ist auch für eine Internetzensur möglich.
Wie zu erwarten war, dient der französische Prozess als Eröffnung für weitere Versuche, im Internet nationales Recht durchzusetzen. So hat Michael Friedmann, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland "Focus" gesagt, man werde prüfe, ob man auch in Deutschland gegen solche Angebote klage. Überdies hat auch die Staatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volkverhetzung gegen die Geschäftsführer von Yahoo Deutschland eingeleitet. Bei zwei Vorfällen war Hitlers "Mein Kampf" angeboten worden. Dem Verfahren voran gingen zwei Strafanzeigen von Privatpersonen.