Die Baby Boomer in Deutschland
Ein herbes Schicksal bis zur Rente
Deutschland macht eine ungewohnte Erfahrung: Die Politik diskutiert langfristige Probleme. Der Horizont der Debatte ist außergewöhnlich, er reicht bis in das Jahr 2050. Der Inhalt ist empirisch nachprüfbar. Sollte die Politik in Deutschland tatsächlich die Vernunft entdeckt haben?
Alle Beteiligten der Debatte sind sich einig: Das Bild ist düster: Die Geburtenrate ist seit Mitte der 1970er Jahre eingebrochen und die Menschen leben immer länger. Folge ist, dass im Jahre 2050 einem Arbeitnehmer ein Rentner gegenübersteht. Die Gesellschaft vergreist. Die Sozialkosten steigen ins astronomische. Die Renten- und Gesundheitskassen brechen zusammen. Dem muss präventiv entgegengewirkt werden, dazu werden unterschiedlichste Vorschläge und Zumutungen auf dem Meinungsmarkt feilgeboten:
- das umlagefinanzierte Rentensystem soll durch ein privates System ergänzt oder gar ersetzt werden
- eine Bürgerversicherung soll an die Stelle des alten Systems treten
- Rentnern sollen künstliche Hüftgelenke nicht mehr von der Kasse bezahlt bekommen: "Früher seien die Leute schließlich auch auf Krücken gelaufen ... "(Philipp Mißfelder)
- das Renteneintrittsalter soll ab 2011 bis zum Jahre 2035 in jährlichen Schritten von jeweils einem Monat auf 67 Jahre steigen und das Bruttorentenniveau soll bis zum Jahre 2030, abhängig vom Verhältnis der Rentner zu den Beitragszahlern, von 48% auf 40% sinken
- die Wochenarbeitszeit soll verlängert werden
- Eine abschlagsfreie Rente soll es nur noch nach 45 Versicherungsjahren geben
- usw.
Ein Blick auf die demografischen Daten
In den Verlautbarungen von Medien und Politik werden höchst zweifelhafte Annahmen und Prognosen zu sichere Fakten. Der Verdacht drängt sich auf: Man zimmert Scheinbegründungen für aktuelle Kürzungsprojekte oder für andere zweifelhafte Vorhaben. Werfen wir einen Blick auf die demografische Lage.
Die Grafik zeigt die Zahl der Geburten pro Jahrgang von 1930 bis 1980 und weiter bis 2000. Die Kurve gleicht einer wilden Achterbahnfahrt. Man erkennt zwei Minima, das erste von 1930 bis 1933, ein zweites 1942 bis 1948, und zwei Maxima, eines von 1935 bis 1940 und ein größeres Maximum 1960 bis 1970. Seit 1972/73 ist die Zahl der Geburten pro Jahrgang relativ konstant mit steigender Tendenz in den 90er Jahre.
Die Kohortenstatistik ist ein Spiegel der politischen und wirtschaftlichen Geschichte Deutschlands. Die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre zeichnet sich ebenso ab wie die Kriegsjahre, aber auch die nationalsozialistische Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik (Stichwort: Autobahnbau und Mutterschaftsorden) und der Boom der Wirtschaftwunderjahre der 1950er und 1960er Jahre sind deutlich erkennbar.
Die "Kraft durch Freude Generation" der 1930er Jahre war äußerst fruchtbar und gebar die Baby Boomer der 1960er Jahre. Die Baby Boomer haben diesen Weg in die Bevölkerungsexplosion nicht fortgesetzt. Diese Kohorte benutzte erfolgreich die Pille. Die Geburtenrate sank. Das durchschnittliche Alter der Erstgeburt stieg. In den 1990er Jahren zeigt sich kein Buckel mehr, sondern nur noch eine kleine Delle.
Die im Mainstream populären demografischen Prognosen schreiben die niedrige Geburtenrate der Baby Boomer bis ins Jahr 2020 und noch weiter fort. In der demografischen Forschung sind diese Prognosen heftig umstritten, uns erinnern sie zu sehr an die Stromverbrauchsschätzungen der 1970er Jahre. Die Geburtenrate ist kein feststehendes Schicksal, sie hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung ab - und die ist ungewiss. Niemand kann heute ernsthaft behaupten, er wüsste irgend etwas über die wirtschaftlichen Verhältnisse im Deutschland des Jahres 2020 oder 2030.
Vergleichbares gilt für Prognosen über die zukünftige Lebenserwartung. Auch hier wird der Trend der Vergangenheit "optimistisch" in die Zukunft fortgeschrieben. Qualitative Überlegungen stimmen uns skeptisch: In den letzten 40 Jahren ist die Qualität der Ernährung stetig gesunken. Die allgemeine schleichende Umweltvergiftung hatte ihr Maximum in den 1970er und 1980er Jahren, man erinnere sich an die diversen Umweltskandale dieser Zeit: Asbest, Bleivergiftung, Holzschutzmittel, PCB, Lindan usw. Es ist bekannt, dass chemische Verseuchung, Elektrosmog und Fehlernährung noch nach Jahrzehnten ihre unheilvolle Wirkung entfalten können (Die Verblödung schreitet voran).
Medizin und Pflege sind gegen solche Schädigungen nur bedingt wirksam. Wenn man sich vor Augen hält, dass alleine die Einführung des Airbags die Lebenserwartung merklich beeinflusst hat, kann man abschätzen, wie die Umwelteinflüsse die Alterstatistik verändern könnten.
Und was ist mit dem Klimawandel? In Frankreich und auch in Süddeutschland sind in diesem Sommer die Alten wie die Fliegen weggestorben, nicht zuletzt aufgrund schlechter Pflegedienste. Wie stark wird sich das unheilvolle Zusammenspiel zwischen Klimawandel und Kürzungen im Sozialhaushalt auf die Lebenserwartung auswirken?
Zukünftige Geburtenraten und Lebenserwartungen lassen sich kaum verlässlich prognostizieren. Sie sind für kurz- und mittelfristige Zukunftseinschätzungen auch von relativ untergeordneter Bedeutung.
Wir konzentrieren uns deshalb in unseren weiteren Überlegungen auf die beiden Maxima der Geburtskohorten, auf die "Kraft durch Freude Generation" und auf die Baby Boomer.
Die "Kraft durch Freude Generation"
Die geburtenstarke "Kraft durch Freude Generation" oder, in anderer Terminologie: die 68er, gingen ab Mitte der 1990er Jahre in Rente und Frührente. Die Folge scheint trivial: Die Rentenausgaben stiegen und damit auch die Beiträge. Die 1995 neu eingeführte Pflegeversicherung und dann ab 2000 die steuerliche Subvention der Rentenkassen konnte diese Steigerung eindämmen.
Wir werden jedoch weiter unten sehen, dass die demografischen Verhältnisse in Wirklichkeit etwas komplizierter sind.
In den nächsten Jahren wird die Zahl der Neurentner auf Grund der geburtenschwachen Jahrgänge der Kriegs- und Nachkriegsjahre drastisch sinken. Damit dürfte die Belastung der Rentenkassen erheblich abnehmen. Dieser Trend hält die nächsten 10 Jahre an und kehrt sich erst ab 2015 allmählich um, wenn die stärkeren Jahrgänge der 1950er Jahre in Rente gehen. Erst ab 2025 wird Deutschland tatsächlich eine "Rentnerschwemme" erleben, zu diesem Zeitpunkt gehen die Baby Boomer der 1960er Jahre in den Ruhestand.
Die rein demografische Dimension kann bis etwa 2030 relativ exakt bestimmt werden. Die Kohortengröße der dann über 30-Jährigen ist durch die vergangenen und gegenwärtigen Geburtenzahlen determiniert.
Die wirtschaftliche Dimension lässt sich dagegen kaum seriös vorhersagen. Prognosen bis 2050 über abhängig beschäftigte Beitragszahler in einem Rentensystem, das immer noch so existieren soll wie heute, sind mutig.
Die "Baby Boomer" und die "age wave"
Seit 40 Jahren bestimmt der Lebensweg der Baby Boomer durch die Alterstufen nachhaltig das soziale und kulturelle Klima in den Industriestaaten. Über die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er in den USA bemerkt der Baby Boomer Theoretiker Ken Dychtwald:
Boomers don't just populate existing lifestages or consumer trends, they transform them. Some examples:
Boomers didn't just eat food-they transformed the snack, restaurant, and supermarket industries,
Boomers didn't just wear clothes-they transformed the fashion industry,
Boomers didn't just buy cars-they transformed the auto industry,
They didn't just date-they transformed sex roles and practices,
They didn't just go to work-they transformed the workplace,
They didn't just get married-they transformed relationships and the institution of the family,
They didn't just borrow money-they transformed the debt market,
They didn't just go to the doctor-they transformed healthcare,
They didn't just use computers-they transformed technology,
They didn't just invest in stocks-they transformed the investment marketplace.
Für Deutschland fällt die entsprechende Diagnose düsterer aus. In einer skeptischen Studie über die Chancen einer privaten Altersvorsorge bemerkt Andreas Heigl von der Researchabteilung der Hypovereinsbank:
Jeder ist Gefangener seiner Kohorte. Die Baby Boomer kennen dies aus eigener Erfahrung nur zu gut: überfüllte Kindergärten, dann Schulen, dann die Konkurrenzsituation am Arbeitsmarkt. Im Alter werden sie die Erfahrung machen, dass alle gleichzeitig ihr angespartes Kapital versilbern wollen.
Man ahnt also: Auch eine private Altersvorsorge löst das Rentenproblem der Baby Boomer nicht besser als das Umlageverfahren. Die Baby Boomer in Deutschland haben und hatten ein härteres Schicksal als ihre Kohortengenossen in den USA.
In der Fachliteratur wird das demografische Schicksal der Baby Boomer mit dem Modell der "Age-Wave" abgebildet, dem Verhältnis der 30- bis 59jährigen Erwerbstätigen zu den über 60jährigen. "Erwerbstätige" umfasst dabei alle Erwerbstätigen, also auch Beamte, Freiberufler, Selbständige, Scheinselbständige usw.
Arbeitslosenquote: Eigene Grafik
In der Graphik sieht dieser Quotient wie eine Welle aus. Man nennt ihn deshalb "Age Wave". Vergleicht man die Age Wave mit der Entwicklung der Arbeitslosenquote in Deutschland stellt man verblüffende Korrelationen fest.
- Die Arbeitslosenquote folgt von 1970 bis 2002 mit einer leichten Verzögerung der Age Wave. Es gibt zwei Abweichungen: Mitte der 1970er Jahre stieg die Arbeitslosigkeit stärker als die Age Wave und 2002 stieg sie erstmals gegen den Trend der Age Wave.
- Auf dem ersten Blick scheint es so, als würde die Arbeitslosigkeit in Deutschland weit stärker von demografischen Faktoren beherrscht als von wirtschaftlichen Faktoren.
- Erfolge beim Abbau der Massenarbeitslosigkeit waren nur von kurzer Dauer. Die Age Wave spülte sie jedes Mal wieder hinweg.
- In der Zukunft kehrt der demografische Faktor seine Wirkung um. Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dies haben wird.
- Mitte der 1990er Jahre hatte die Age Wave ein Jahrhunderthoch. Die Zahl der Erwerbstätigen war zu diesem Zeitpunkt im Verhältnis zu den über 60jährigen so hoch wie noch nie seit dem 2ten Weltkrieg. Auch in den nächsten 50 Jahren und wahrscheinlich für länger wird sie dieses Maximum nicht wieder erreichen. Trotzdem stiegen zu diesem Zeitpunkt die Rentenbeiträge. Drei demografische Phänomene überlagerten sich: - Die ersten großen Geburtsjahrgänge der "Kraft durch Freude Generation" erreichten das durchschnittliche Renteneintrittsalter von 60 Jahren. - Die zahlenstärksten Kohorten der Baby Boomer stürmten die Arbeitsmärkte. - Gleichzeitig erreichte die Arbeitslosenquote ihr bisheriges Maximum. Die Kassen sind also nicht deshalb leer, weil die "Kraft durch Freunde Generation" in Rente ging, diese Kostensteigerung hätten die Baby Boomer, die neu in die Arbeitsmärkte drängten, mehr als ausgeglichen, sondern weil die Arbeitslosigkeit explodiert ist.
- Die Age Wave bleibt bis etwa 2015 auf dem Niveau der 1980er Jahre und erst ab 2025 unterschreitet sie das Niveau der 1970er Jahre.
Trotzdem erschallt heute der Ruf das Umlageverfahren, das überhaupt erst in den 1960er Jahren eingeführt wurde, durch private Finanzierungsformen zu ersetzen. Demografisch begründet ist dieses Ansinnen nicht.
Ein demografisch begründbarer Handlungsbedarf zur Stabilisierung der Rentenkassen entsteht erst ab 2025 und das auch nur, wenn die unsicheren und umstrittenen Prognosen zur Geburtenrate und zur Lebenserwartung richtig sein sollten.
Es böte sich z.B. ab 2025 eine steuerliche Kofinanzierung der Rente über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren an, bis die geburtenstarken Jahrgänge "durch" sind, ähnlich der gegenwärtigen Kofinanzierung der Rentenkassen durch die Ökosteuer.
Mitte der 1970er Jahre entstand in Deutschland aus offenkundig ökonomischen Gründen (Ölkrise, Beginn des Strukturwandels) das Phänomen der Massenarbeitslosigkeit. Im Aufschwung Ende der 1970er Jahre scheiterte der Abbau der Arbeitslosigkeit. Dies verhinderte, so scheint es, die erste Woge der Age Wave. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Wiedervereinigungsboom Ende der 1980er Jahre. Eine zweite Woge der Age Wave spülte die Erfolge auch dieses Booms hinweg.
Diese Korrelation über 30 Jahre signalisiert das Problem, unter dem die Baby Boomer in Deutschland zu leiden haben. Offenbar konnten die deutschen Arbeitsmärkte die große Kohorte der Baby Boomer nicht absorbieren. Das steigende Angebot junger Arbeitskräfte gab der deutschen Wirtschaft keinen Wachstumsschub, im Gegenteil es wurde genutzt, um ältere Facharbeiter vorzeitig in den Ruhestand zu schicken und durch junge Kräfte zu ersetzen. Die Arbeitslosigkeit begleitet die Baby Boomer so bei ihrem Weg durch die Lebensalter.
Betrachtet man isoliert die deutsche Situation, so drängt sich der Schluss auf, die verfestigte Dauerarbeitslosigkeit der letzten 25 Jahre habe demografische Gründe, keine ökonomischen. Die Dauerarbeitslosigkeit in Deutschland wäre dann die Folge der geburtenstarken Jahrgänge. Malthus ließe grüßen. Aber wie passt ein solcher Befund zu dem allgemeinen Geschrei, die Deutschen würden demnächst aussterben? Müsste ein Sinken der Kohortenzahlen dann nicht eine allgemeine Erleichterung hervorrufen? "Endlich werden wir die Überbevölkerung und damit die Massenarbeitslosigkeit los!"
Vergleicht man dagegen die deutsche Situation z.B. mit den USA, so stellt sich die Lage anders dar: Offenbar war die deutsche Wirtschaft nicht dynamisch genug, um die Baby Boomer gesellschaftlich und ökonomisch zu integrieren. Die Demografie ist kein Schicksal, sie ist eine Herausforderung, die gemeistert werden kann - oder auch nicht. Große demografische Schwankungen haben zwar wirtschaftliche Auswirkungen, aber die wirtschaftlichen Konjunkturen determinieren am Ende die demografischen.
Das Scheitern der ökonomischen Integration der Baby Boomer
Warum hat Deutschland die Herausforderung der geburtenstarken Jahrgänge nicht bewältigt? Warum ist die deutsche Wirtschaft nicht mit den Baby Boomern gewachsen? Oder anders gefragt: Warum haben die Baby Boomer die deutschen Institutionen nicht positiv transformiert, wie in den USA, während dies ab 1968 der "Kraft durch Freude Generation" auch in Deutschland noch nachhaltig gelungen ist?
In den USA wurden die Baby Boomer und ihre Bedürfnisse in den 1990er Jahren als Konsumenten entdeckt. Die Wirtschaft der USA expandierte unter der Regierung Clinton mit den geburtenstarken Jahrgängen, die deutsche Wirtschaft dagegen stagnierte.
Drei Indikatoren beschreiben das Problem: Die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes, des Außenhandels und der realen Bruttolöhne. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt dümpelte, die Arbeitslosenquote stieg, die Bruttolöhne stagnierten, dafür wuchs der Exportüberschuss. In den USA bot sich das entgegengesetzte Bild: Das Bruttoinlandsprodukt wuchs, die Arbeitslosigkeit sank, der Konsum brummte, dafür explodierte das Außenhandelsdefizit.
In unserem Artikel Operettenimperialismus haben wir die Situation so beschrieben:
Die USA exportieren keine Waren, sie exportieren Aktien. Dieser Export stieg von 35 Milliarden US-Dollar im Jahre 1991 auf 502 Milliarden US-Dollar im Jahre 2001. (...) Das Resultat ist eine historisch bisher einzigartige Situation:
Die USA bilden den globalen Endverbraucher im Sinne der Keynesschen Theorie, der die ganze Welt für sich arbeiten läßt und diesen Megakonsum mit dem Profit der Eliten der anderen Länder finanziert. Dieses Geld fehlt dann trivialerweise in den anderen Ländern, mit der Folge, dass dort die Nachfrage zusammenbricht. Diese schwelende Deflation kann jederzeit in eine akute deflationäre Abwärtsspirale umschlagen.
Dieser "Globalisierungseffekt" trug maßgeblich zur mangelnden gesellschaftlichen und ökonomischen Integration der Baby Boomer bei und führte zu hohen ökonomischen Verlusten und sozialen Kosten. Die deutsche Wirtschaftspolitik stützt im Namen einer schicksalhaft akzeptierten "Standortkonkurrenz" den "globalen Endverbraucher" und mobbt die Opfer dieser Politik.
Die Baby Boomer sind ein "Arbeitskräfte-Überangebot", dem eine stetig disparatere Nachfrage gegenüber steht. Der Siegeszug der neuen Technologien hat nicht nur die Betriebsstrukturen durcheinandergewirbelt, sondern auch die Konzernlandschaft weltweit. Fusionitis und feindliche Übernahmen, Aktienmanöver jeglicher Art, die Tendenz, Konzerne in Einzelprojekte mit einer Laufzeit von 5 Jahren zu zerlegen, Standortausgliederungen und Fabriken auf Zeit bestimmten die Schlagzeilen der Wirtschaftsblätter und die Arbeitswelt. Kein Job verspricht mehr Sicherheit. Die globalisierte Wirtschaft fordert die Mobilität der Arbeitskräfte und die Flexibilität des Betriebswechsels und baut Arbeitskräfte ab.
Die gewaltigen Unterschiede in der Kohortengrößen und der "Globalisierungseffekt" stellen die deutsche Wirtschaftspolitik vor enorme Aufgaben. Bisher hat die deutsche Politik vor diesen Herausforderungen versagt, ja sie noch nicht einmal zutreffend zu Kenntnis genommen. Das Problem, vor dem die deutsche Politik steht, ist nicht eine angeblich zu niedrige Geburtenrate oder ein Rentenproblem im Jahr 2025, sondern das wirtschaftliche Schicksal der Baby Boomer in den nächsten 10 Jahren. Werden diese in den Arbeitsmärkten altern oder erleiden sie, wie ihre Väter, das Schicksal der Altersarbeitslosigkeit.
Kurz- und mittelfristig sind zwei höchst unterschiedliche Szenarien denkbar:
1. Szenarium: Die Arbeitslosigkeit folgt auch weiterhin der Age Wave
Die Age Wave sinkt, weil immer weniger Junge nachrücken. Deren Konkurrenzsituation am Arbeitsmarkt verbessert sich. Die Reallöhne erholen sich. Bankanalysten bricht schon der Schweiß aus:
Dieser Mangel (an gelernten Arbeitskräften könnte) kurz- bis mittelfristig zu Lohndruck führen und sich über steigende Löhne unvorteilhaft auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft auswirken.
Suisse
Die Dauerkrise der Binnenkonjunktur könnte dank steigender Löhnen schwinden und an der Front der sozialen Folgekosten der Dauerarbeitslosigkeit träte eine Entspannung ein. Das regionale und lokale Kleingewerbe könnte wieder eine Blüte erleben. Die Gesellschaft hätte die Chance ihre humanen Ressourcen besser zu nutzen und Wohlstandsreserven freizusetzen. Zum Beispiel könnte Deutschland seine Defizite bei der Frauenerwerbstätigkeit abbauen.
Dieses Szenarium bietet günstige Perspektiven zur Lösung des Rentenproblems der Baby Boomer: Eine zwar kleinere, aber gut und stetig besser verdienende Bevölkerung, die befreit wäre von dem Alpdruck der Dauerarbeitslosigkeit und ihrer Folgekosten könnte die Mittel für die ab 2025 steigenden Rentnerzahlen auf relativ einfache Weise aufbringen.
Entscheidend für die Finanzierung des "Rentnerberges 2025" ist kein "Rentensystem", auch keine "Vorsorge". Eine Gesellschaft kann nicht "vorsorgen". Entscheidend ist die tatsächliche Wirtschaftskraft der Gesellschaft in 20 Jahren. Nur eine prosperierende Wirtschaft kann ihren Rentnern ein stabiles Wohlstandsniveau garantieren, egal mit welchem Verfahren die Renten finanziert werden. Die Angebote für Wellness, Beauty, Health & Fitness und andere Gesundheitsdienstleistungen können nur dann boomen, wenn die Wirtschaft boomt.
Das Nachfragepotential der alternden Baby Boomer wird von einigen Theoretikern schon in den Rang eines Kondratieff-Zyklus erhoben.
2. Szenarium: Die Baby Boomer geraten in die Altersarbeitslosigkeit
Sollten auch die Baby Boomer, wie ihre Vätergeneration, das Schicksal der Altersarbeitslosigkeit erleiden, sieht auch die Zukunft düster aus.
Es war in den letzten Jahrzehnten eherne Personalpolitik der Konzerne, den technischen Strukturwandel mit einem Auswechseln der Belegschaft zu begleiten. An die neue Generation der technischen Ausstattung stellte man lieber neue, junge Leute und wickelte die alten ab, statt sie umzuschulen. Das große Arbeitskräfteangebot der Baby Boomer erleichterte diese Politik. Warum sollten die Unternehmen von dieser Maxime abgehen, schließlich hat sich bei den Personalchefs das Urteil verfestigt, dass nur so der permanente Strukturwandel zu bewältigen sei.
Das schrumpfende Arbeitskräfteangebot in der Zukunft muss kein Anreiz zum Umdenken sein. Es könnte auch Anlass für eine vermehrte Substitution von Arbeitskraft durch Technologie sein. Die Anpassung von Produktionskapazitäten an perspektivisch schrumpfende Märkte, also Abbau von Überkapazitäten und Standortverlagerungen könnte für die Baby Boomer die Altersarbeitslosigkeit bedeuten.
In diesem Szenario treibt die Wirtschaftspolitik die Baby Boomer ein zweites Mal in die Massenarbeitslosigkeit. Der ersten Explosion der Arbeitslosigkeit beim Eintritt der Baby Boomer in die Arbeitsmärkte folgt eine zweite Explosion bei ihrem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. Der Staatsbankrott droht dann schon weit vor dem befürchteten "Rentenberg 2025". Dieses Szenario sollte den Sozialpolitikern den Schlaf rauben und nicht angeblich steigende Rentnerzahlen, zumal die Rentenneuzugänge kurz bis mittelfristig sinken werden.
Welches Szenario in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten Wirklichkeit wird, hängt von der Wirtschaftspolitik der Gegenwart und näheren Zukunft ab. Bleibt die deutsche Wirtschaft einseitig exportorientiert und setzt vorrangig auf eine verbesserte globale Konkurrenzfähigkeit der Konzerne, dürfte nichts die Konzerne daran hindern, auch künftig die Belegschaften zu verjüngen und Arbeitsplätze abzubauen.
Entdeckt die Wirtschaftspolitik dagegen binnenwirtschaftliche Wachstumspotentiale, könnte die Altersarbeitslosigkeit der Baby Boomer gemildert oder vermieden werden. Das erneute deutliche Steigen der Arbeitslosenquote 2002 weist leider in die andere Richtung.
Die Alternativen sind einfach: Eine Politik, die die Interessengegensätze verschärft und Ressentiment schürt um Wahlkampferfolge einzufahren, wird in die Katastrophe führen. Einzig eine Politik die auf demagogische Lügen verzichtet und ernsthaft die Tatsachen zur Kenntnis nimmt, hat eine Chance zu funktionierenden Lösungen zu kommen. Die ungewohnte Wahrnehmung, Politiker sorgen sich um langfristige Probleme, ist aber wohl eher ein Trugbild. Man hat den Eindruck, deutsche Politiker nutzen die demografische Rhetorik, um von ihrer Ratlosigkeit und ihrem Versagen gegenüber den gegenwärtigen Problemen abzulenken.
Wenn unser zweites Szenarium Realität werden sollte, werden die Baby Boomer auch in Zukunft die gekniffene Generation bleiben, mit desaströsen Folgen für das ganze Land. Über das demografische Schicksal der heute unter 20-Jährigen können dagegen keine sicheren Prognosen getroffen werden. Ihre Rente wird von den Baby Boomern und der "Kraft durch Freude"-Generation jedenfalls nicht mehr tangiert. Die werden bis dahin weithin ausgestorben sein.