Die Befreier werden im Irak immer unerwünschter

Auch wenn die US-Regierung nun teilweise konzilianter im Irak agiert, scheint nach einer bislang aus guten Gründen von der US-Verwaltung nicht veröffentlichten Umfrage ihr Ansehen rapide zu sinken, während die Strategie der Aufständischen Erfolge zeigt

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Während die Angriffe von Aufständischen im Irak zunehmen und nun mit Anschlägen auf Pipelines und Mitarbeiter des Ölministeriums die für das Land wichtige Erdölindustrie ins Ziel nehmen, scheint sich ein erster Konflikt mit der noch gar nicht im Amt befindlichen Übergangsregierung und der US-Regierung über das Schicksal von Saddam Hussein und der anderen Gefangenen anzubahnen. Nach einer Umfrage, die von der US-Verwaltung in Auftrag gegeben, aber bislang nicht veröffentlicht wurde, betrachten 92 Prozent der Iraker die Koalitionstruppen als Besatzer, nur 2 Prozent als Befreier. Die Nachrichtenagentur Associated Press hat die Umfrage erhalten und deren Ergebnisse nun publiziert.

Der 30. Juni, an dem die Übergabe der Macht von der US-Zivilverwaltung an die "souveräne" Übergangsregierung stattfinden soll, nähert sich schnell. Offenbar versuchen manche der aufständischen Gruppen durch vermehrte Anschläge die Angst im Land weiter zu schüren und die Legitimation und Macht der von der US-Regierung und dem Regierungsrat bestellten Übergangsregierung zu untergraben. Die Stimmung im Land scheint dank der Anschläge und der Aufstände von Sunniten in Falludschah oder von den schiitischen Anhängern al-Sadrs stärker gegen die Besatzungstruppen auszuschlagen. Ihr Verhalten, gipfelnd in dem Folterskandal in Abu Ghraib, aber auch ihre Anwesenheit alleine wird als Ursache empfunden, dass das Land nicht zur Ruhe kommt.

Die US-Regierung versucht zumindest in einigen Punkten, eine weichere Linie zu fahren. Zwar wird der Folterskandal nicht wirklich aktiv bis auf die wirklich Verantwortlichen aufgedeckt, was verständlich ist, weil die Verantwortung bis ins Weiße Haus hinein reicht, aber der in die Misshandlungen verwickelte Oberbefehlshaber der US-Truppen im Irak, General Sanchez, wird nun abberufen und vermutlich durch General George Casey ersetzt, der dann ab 1. Juli auch die Einsätze, wie es die Briefe zur UN-Resolution vorsehen, mit der Übergangsregierung koordinieren soll.

Nachgiebig zeigt man sich nun plötzlich auch gegen al-Sadr, den die Amerikaner bis vor kurzem noch als Kriminellen verfolgten und seiner tot oder lebendig habhaft werden wollten. Der aufständische Geistliche, der sich an die Spitze des armen schiitischen Bevölkerungsteils gesetzt und eine starke Miliz aufgebaut hat, lieferte sich mit den Amerikanern wochenlange Kämpfe, scheint aber nun die Möglichkeit zu sehen, über das gewonnene Ansehen auch in der Politik des künftigen Irak tatkräftig mitwirken zu können. Er hat bereits erklärt, dass er die Übergangsregierung anerkennen werde, wenn die Amerikaner abziehen, und will die Miliz aus Nadschaf zurückziehen. Überdies wollen seine Anhänger eine Partei gründen - und US-Präsident Bush hat es nun auf einmal der Übergangsregierung anheim gestellt, ob die Partei al Sadrs zu den Wahlen antreten kann. Der irakische Präsident Yawar hat die Entscheidung al Sadrs bereits begrüßt.

Schwierig aber könnte es werden, was die Gefangenen betrifft. Das Internationale Rote Kreuz hatte die US-Regierung bereits aufgefordert, spätestens bis zum 30. Juni alle Gefangenen, die als Kriegsgefangene gelten, freizulassen oder formell anzuklagen, wobei sie mehr Rechte erhalten würden (Das Internationale Rote Kreuz fordert die Freilassung der Gefangenen). Nach den Genfer Konventionen müssen Kriegsgefangene nach Kriegsende "ohne Verzögerung" frei gelassen werden. Das Internationale Rote Kreuz sieht in der Machtübergabe der Besatzungstruppen an die Übergangsregierung das Ende des Krieges. Da auch Saddam Hussein den Status als Kriegsgefangener erhalten hat, würden diese Regelungen auch für ihn gelten.

Gleich nach der Forderung des Internationalen Roten Kreuzes hat Allawi, Ministerpräsident der Übergangsregierung, erklärt, dass die Besatzungstruppen alle Gefangenen, einschließlich Hussein, an den Irak übergeben werden oder sollen. Das aber will die US-Regierung nicht, die weiterhin, angeblich aus Sicherheitsgründen, Tausende von Gefangenen selbst in Gewahrsam und damit auch in weitgehend rechtsfreiem Raum halten will. Man werde, so Bush, Hussein zu geeigneter Zeit übergeben. Überdies wurde im Weißen Haus betont, dass die Vereinbarungen zur Machtübergabe vorsehen, dass die multinationalen Truppen weiterhin Gefangene halten und neue Festnahmen ausführen können, wenn es die Sicherheitslage erfordere. Soweit also schon einmal zur Souveränität der Rechtsprechung im Irak.

Über die Hälfte der Iraker denkt, alle Amerikaner würden sich so verhalten wie die Wächter von Abu Ghraib

Die von der US-Verwaltung in Auftrag gegebene Umfrage, die im Mai durchgeführt wurde, ist aus gutem Grund der amerikanischen Öffentlichkeit nicht bekannt gemacht worden. Die Zuhause in den USA als Befreier gefeierten Koalitionstruppen gelten praktisch für alle Iraker als Besatzer. 63 Prozent der Befragten meint, der Iraker würde sicherer sein, wenn die US-Truppen abziehen würden, die aber ausgerechnet zum Schutz der Sicherheit im Land bleiben sollen. 62 Prozent gehen mittlerweile davon aus, dass die irakischen Polizisten und Soldaten selbst für Sicherheit sorgen könnten. 55 Prozent sagten, sie würden sich sicherer fühlen, wenn die Besatzungstruppen sofort das Land verließen. Das ist kein gutes Omen und eine Grundlage, auf der die Aufständischen weiter operieren können, da jeder Anschlag der Anwesenheit der Besatzungstruppen angelastet wird.

Das Vertrauen in die Koalitionstruppen ist auf einen Tiefstand gesunken. Das Ansehen der US-Truppen ist allerdings noch viel schlechter. Dazu haben die Bilder aus Abu Ghraib viel beigetragen. Obgleich 71 Prozent der Befragten, sie seien von den Bilder über die Demütigungen der irakischen Gefangenen durch US-Soldaten überrascht gewesen, aber 54 Prozent denken, dass sich alle Amerikaner so verhalten würden, wie die Gefängniswächter. Eine solches Misstrauen lässt sich auch mit einem etwas weicheren Kurs der Amerikaner, die aber weiterhin die Zügel in den Händen halten wollen, nicht schnell abbauen und dürfte sich auch auf die Akzeptanz der Übergangsregierung auswirken, wenn sie sich nicht noch stärker von der US-Regierung distanziert, wie sie dies jetzt schon aus Gründen des Überlebens mit dem Thema der Gefangenen oder dem Verhalten zu al Sadr beginnt zu machen.

Die Popularität von al-Sadr ist bei den Irakern gestiegen, immerhin sagen 64 Prozent, dass die Aktionen seiner Miliz dem Irak zu einer größeren Einheit verholfen hätten. Auch das gerade durch seinen Widerstand gegen den die Amerikaner gewachsene Ansehen des Geistlichen lässt die Bush-Regierung nun vorsichtiger werden, was aber wohl zu spät geschieht, nachdem das zunächst propagierte harte Vorgehen erst die schiitischen und sunnitischen Widerstandsgruppen gestärkt hatte. Gleichzeitig demonstriert das Nachgeben der US-Regierung in Falludschah und gegenüber al Sadr, dass die militärische Überlegenheit in einem besetzten Land nicht ausgespielt werden kann, ohne politisch zu scheitern. Ob die Strategie der Bush-Regierung, jetzt schnell die Übergangsregierung zu installieren und sich gewissermaßen hinter ihr zu verstecken, die erwünschten Erfolge haben wird, muss abgewartet werden. Sollte die Bush-Regierung aber die Übergangsregierung als Marionettenregierung vorführen, wie dies nun im Fall von Hussein und der übrigen Gefangenen der Fall zu sein scheint, dann wäre dies die beste Hilfe für die Aufständischen und die Islamisten, die mit den Amerikanern auch westliche Werte und Institutionen wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Menschenrechte und Demokratie ablehnen.