Die Bilderberger und der (Alb-)Traum von einer Weltregierung
Alle Jahre wieder treffen sich internationale Spitzenkräfte aus Politik, Wirtschaft, Medien und Finanzwelt bei der dubiosen Bilderberg-Konferenz. An diesem Wochenende ist es wohl wieder soweit
Vom 4. bis 7. Juni soll, anonymen Quellen zufolge, die diesjährige Bilderberg-Konferenz rund 40 Kilometer südwestlich von Barcelona in einem Hotelressort bei Sitges stattfinden. Wie immer seit 1954 werden die Teilnehmer unter strengster Geheimhaltung zusammenkommen. Nach Abschluss des von der Öffentlichkeit rigoros abgeschirmten Treffens wird es vom Konferenzsekretariat eine banale Pressemitteilung und eine Teilnehmerliste geben. Über die konkreten Inhalte der Gespräche wird Stillschweigen gewahrt. Angesichts der Tatsache, dass bei Bilderberg stets mehr als einhundert der einflussreichsten Spitzenkräfte aus Europa, Kanada, USA und internationalen Organisationen zusammenkommen, ist dieser alljährliche Vorgang höchst ungewöhnlich.
Als der britische Journalist Charlie Skelton im vergangenen Jahr nach Griechenland flog, um für den Guardian über die Bilderberg-Konferenz 2009 zu berichten (Bilderberger Ausflüge, Verschwörungstheorien und Nebenwirkungen), war er sich nicht einmal hundertprozentig sicher, ob es das Treffen eigentlich tatsächlich gibt. Zu abwegig erschienen ihm die wilden Gerüchte, die im Internet um die Konferenz kreisten. Falls sie tatsächlich stattfinden sollte, hatte er eigentlich beabsichtigt, eine Satire über Verschwörungsparanoia zu schreiben.
Vor Ort, im griechischen Städtchen Vouliagmeni, kam dann die Überraschung: Er fand ein Hotel vor, das von Polizei in Uniform und zivil, Soldaten mit Maschinengewehr und Marinekommandos hermetisch abgeschirmt war. In der Luft kreisten Hubschrauber und zwei F-16 Abfangjäger flogen vorbei. Als Skelton aufgrund seiner Neugierde höchstselbst observiert und von Zivilbeamten verfolgt und belästigt wurde, setzte bei ihm der Schock ein: Bilderberg ist real und gar nicht zu Scherzen aufgelegt.
In der abgeriegelten Zone trafen sich im vergangenen Jahr nach der später veröffentlichten Teilnehmerliste rund 130 Personen, darunter die Spitzen der Chase Manhattan Bank, Morgan Stanley International, Goldman Sachs International, Lazard Frères & Co., der Deutschen Bank, der griechischen Nationalbank, der Banca d’Italia, der niederländischen ING-Gruppe, der französischen Société Générale, von Coca-Cola, Microsoft, Airbus, Royal Dutch Shell, BP, AkzoNobel, Siemens sowie Spitzenvertreter der NATO, der Welthandelsorganisation, des Welternährungsprogramms, der Weltbank, der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, diverse Abgeordnete, Minister und andere. Gelegentlich werden vor Ort Personen gesichtet, die nicht auf der Liste stehe, und andere, die auf der Liste stehen, geben an, gar nicht teilgenommen zu haben, wie 2004 Post-Chef Klaus Zumwinkel (Mal wieder in privater Runde plaudern).
Die Konferenz in Vouliagmeni beschäftigte sich laut Pressemitteilung mit rund zehn Themen, darunter mit der Finanzkrise, Cyberterrorismus und Protektionismus. Über solche Stichworte hinaus gibt es keinerlei Informationen darüber, was genau bei den Konferenzen besprochen wird. Die Teilnehmer verpflichten sich zur Verschwiegenheit.
Warum sollten Großkonzerne Interesse an einer Weltregierung haben?
In seinem im Frühjahr erschienenen Buch "Drahtzieher der Macht" behauptet Gerhard Wisnewski, dass die Bilderberg-Konferenzen Teil einer strategischen Verschwörung seien, die eine "Weltdiktatur" zum Ziel habe. In Einzelbereichen würde diese schon errichtet. So seien die Staaten der Welt bereits dem "Diktat" der Weltgesundheitsorganisation unterworfen, die "praktisch die absolute Macht über Wohl und Wehe der Weltbevölkerung" besitze. Wisnewski befindet sich damit auf einer Linie mit US-Amerikanern wie James Tucker, der behauptet, dass "die Bilderberger" die Finanzkrise in Griechenland und anderen EU-Staaten dazu ausnutzen würden, um den Internationalen Währungsfonds zu einem "Weltfinanzministerium" umzubauen.
Eine totalitäre Weltregierung ist zweifellos der schlimmstmögliche politische Albtraum. Aufgrund der paranoiden Geheimniskrämerei der Bilderberg-Organisatoren und wegen des exklusiven Teilnehmerkreises sind die Bilderberg-Konferenzen eine geeignete Projektionsfläche für paranoide Weltstaatsängste. Man muss sich allerdings fragen, warum Großkonzerne wie Goldman Sachs oder BP überhaupt Interesse an einer Weltregierung haben sollten?
Die gegenwärtige Zersplitterung der Welt in mittlerweile 192 völkerrechtlich souveräne Staaten macht internationale Regulierungen extrem schwierig und langwierig. Bis heute zum Beispiel hat sich die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer nicht auf einen gemeinsamen Ansatz zur effektiven Regulierung der internationalen Finanzmärkte einigen können. Den Bankkonzernen kann das doch nur recht sein?
Auch das System der internationalen Organisationen ist unübersichtlich und intransparent. Allein unter dem Dach der Vereinten Nationen gibt es über 14 Programme, 13 Sonderorganisationen und diverse Kommissionen, Sekretariate, Fonds und andere Entitäten. Die Weltbankgruppe, bestehend aus fünf Organisationen, ist ebenso wie der Internationale Währungsfonds oder die Welthandelsorganisation WTO kein Teil der UN und rechtlich selbstständig, was die Koordination verkompliziert. Die Komplexität des internationalen Systems erschwert die demokratische Kontrolle und macht es finanzstarken Lobbyisten einfacher, Einfluss auf die internationalen Regierungsbürokraten zu nehmen. Der ehemalige britische Diplomat Carne Ross spricht in seinem Buch "Independent Diplomat" von einer völlig abgehobenen und unkontrollierten Elite.
Und wenn es innerhalb des bestehenden Systems voraussichtlich nicht so klappt, wie gewünscht, wird eben noch ein neuer internationaler Vertrag mit einem neuen Sekretariat auf den Weg gebracht. Das jüngste Beispiel für so einen Versuch ist das skandalöse Antipiraterie-Abkommen ACTA, das seit etwa 2007 zwischen den USA, der EU-Kommission, Japan und anderen Ländern unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird. Lediglich bestimmte Wirtschafts- und Lobbyvertreter wurden gebeten, das Regelwerk zu kommentieren, darunter die Motion Picture Association of America, die Entertainment Software Association, die Coalition for Intellectual Property Rights, die Recording Industry Association of America und Großunternehmen wie Google und eBay. Erst nach massivem Druck der Zivilgesellschaft und vor allem des Europäischen Parlaments wurde am 20. April ein offizieller Entwurf des Verhandlungstextes veröffentlicht.
Vor allem die Demokratie ist noch nicht globalisiert
In der Tat gibt es unter Bilderberg-Beobachtern mittlerweile auch differenzierende Stimmen. Eines der Gründungsmitglieder von 911truth.org beispielsweise, das sich für eine rückhaltlose und unabhängige Untersuchung der Anschläge vom 11. September 2001 einsetzt, fordert eine Unterscheidung zwischen den Bemühungen für eine demokratische Weltföderation und dem egoistischen "Globalismus" internationaler Eliten. Nach Ansicht von Byron Belitsos haben die Eliten mit dem gegenwärtigen Zustand der Welt bereits ihr Ideal erreicht. Schon seit langem hätten sie sich das politische Vakuum auf internationaler Ebene zunutze gemacht. Belitsos stellt dem gegenwärtigen System die Vision eines föderalen und demokratischen Weltstaats entgegen:
Der gegenwärtige Kurs ist bereits der Weg zur globalen Tyrannei einer reichen und mächtigen Minderheit. Wer soll ihrer Ansicht nach eher Entscheidungen treffen, die die gesamte Menschheit betreffen: die WTO, die Weltbank, Monsanto, das Weiße Haus – oder ein direkt gewähltes Weltparlament, das den Menschen der Welt rechenschaftspflichtig ist?
Byron Belitsos
Schon einer der ersten deutschsprachigen Artikel über die Bilderberg-Konferenzen, im Februar 1976 im Magazin "Quick" veröffentlicht, bezeichnete die Treffen als "heimliche Weltregierung". Das Magazin behauptete auch, dass es zu den Plänen der Konferenz gehöre, ein "internationales Parlament" einzurichten.
Was auch immer bei Bilderberg besprochen wird, der Aufbau eines demokratischen Weltparlaments gehört wohl sicher nicht dazu. Der britische Journalist George Monbiot brachte es in seinem Buch "United People" auf den Punkt:
Da nun alles globalisiert wurde außer der Demokratie, können die Herrschenden dieser Welt ihren Geschäften nachgehen, ohne auch nur die geringste Rücksicht auf uns nehmen zu müssen.
George Monbiot
Die Bemühungen, die Vereinten Nationen zu reformieren und das internationale System transparenter, demokratischer und effizienter zu gestalten, schleppen sich seit langem nahezu ergebnislos dahin. Der einzige wesentliche Durchbruch im Völkerrecht seit dem Ende des Kalten Krieges dagegen dürfte bestimmten führenden Bilderberg-Teilnehmern ein Dorn im Auge sein. Der 2002 trotz des massiven Widerstands der US-Administration in Kraft getretene Internationale Strafgerichtshof nämlich kann Einzelpersonen unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbar zur Rechenschaft ziehen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord. Gerade wird bei einer Überprüfungskonferenz in Uganda über die Definition des Verbrechens der Aggression verhandelt.
Wenn es nach dem US-amerikanischen Publizisten Christopher Hitchens ginge, müsste sich Henry Kissinger, früherer US-Außenminister und führender Kopf hinter den Bilderberg-Konferenzen, längst vor einem internationalen Gericht verantworten. In seinem Buch "Die Akte Kissinger" legt er Kissingers Mitverantwortung für "Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Verschwörung zu Mord, Entführung und Folter" in Vietnam, Kambodscha und Chile dar.
Networking der Eliten
In dem Buch "Die Super-Klasse. Die Welt der internationalen Machtelite" hat sich David Rothkopf mit den weltweit rund 6.000 global agierenden Spitzenkräften aus Regierungen, internationalen Konzernen, Finanzkonglomeraten und Medien beschäftigt, die aufgrund ihrer hochkonzentrierten Macht "im Grunde den Schlüssel zum Planeten in der Hand halten". Seine Recherche zeichnet sich dadurch aus, dass er als ehemaliger stellvertretender Staatssekretär für internationale Handelsbeziehungen in der Clinton-Regierung selbst Einblick in diese Kreise hatte. In seiner Darstellung kommt klar zum Ausdruck, dass die Bilderberg-Konferenzen nur eines von vielen Foren sind, bei denen diese zusammenkommen und Bilderberg scheint von anderen inzwischen überholt worden zu sein.
Rothkopfs Gesprächspartner, die bei Bilderberg teilgenommen hatten, bezeichnen die Konferenz überwiegend als "Witz", "Seniorenclub", "enttäuschend" und "nutzlos". Der Teilnehmerkreis würde "die globale Machtelite nicht mehr im gleichen Maße wie früher" vertreten. Bedeutung habe bei Bilderberg allenfalls noch das Networking. "Solche Konferenzen bieten die seltene Gelegenheit, direkten Kontakt mit vielen Führungskräften aus aller Welt aufzunehmen, die sonst von der Öffentlichkeit vollkommen abgeschirmt sind", so Rothkopf. Trotzdem ist selbst Rothkopf alarmiert:
Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, dass die Menschen, die Zugang zu diesen Institutionen haben ... geheime Pläne zur Eroberung der Weltherrschaft schmieden; aber es ist höchst wahrscheinlich, dass die gemeinsame Interessen haben. Sowohl ihre Zielsetzungen als auch in vielen Fällen ihre Ansichten über die Welt und wie sie sich entwickeln sollte, ähneln sich. Wenn sie miteinander Kontakt aufnehmen, dann nicht, um sich als Gruppe zu verschwören, sondern um ihre eigene Macht durch vorteilhafte Verbindungen zu erweitern.
David Rothkopf
Dort wo es schwache und schlecht funktionierende internationale Organisationen und einen Mangel an entsprechenden Gesetzen gebe, sei besonders viel Raum für "informelle Herrschaftsmechanismen". Eine Weltregierung mit klaren Strukturen, Kompetenzen, Regeln und Entscheidungswegen wäre da nur nachteilhaft. "Wer braucht da noch eine Verschwörungstheorie?", fragt Rothkopf zu Recht.
Dass gewählte Abgeordnete, Minister und Spitzenbeamte internationaler öffentlicher Einrichtungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit regelmäßig zweieinhalb Tage bei den Bilderberg-Konferenzen mit Vertretern der atlantischen Finanzoligarchie und Industriekapitänen vertraulich zusammensitzen, ist jedenfalls eine Zumutung. Ob am Wochenende der Präsident der Europäischen Zentralbank wieder mit dem Chef von Goldman Sachs plauschen wird?
In diesem Jahr organisiert Charlie Skelton ein Protestcamp gegen Bilderberg (hier die Facebook-Gruppe). Es ist höchste Zeit, dass dieses Forum stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit kommt. Ohne lautstarke Proteste wird das nicht passieren. In aller Regel wird in den großen Medien nicht berichtet. Die Chefs von den führenden Nachrichtenagenturen gehören selbst regelmäßig zu den Teilnehmern.
Andreas Bummel ist Vorsitzender des Komitees für eine demokratische UNO und setzt sich für die Etablierung eines Weltparlaments ein (Die UNO braucht eine parlamentarische Kammer). Von 1998 bis 2007 war er Vorstandsmitglied des World Federalist Movement, das an der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes mitgewirkt hat.