Die "Deutschkatholiken" und der Überfall auf Polen

Polnische Kriegsgefangene exekutiert durch Wehrmacht-Soldaten in Ciepielów am 09. September 1939. Bild: Polish Military Bureau/gemeinfrei

Ab September 1939 predigten die Staatsbischöfe Gehorsam gegenüber "Satans Kriegsbefehlen" und ließen aus Dank für das Massenmorden die Kirchenglocken läuten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ungezählte einfache Frauen und Männer aus dem katholischen Milieu, darunter Ordensfrauen und Leutepriester mit niedrigem Rang, erkannten trotz der NS-Lügenpropaganda schon 1939, dass Hitler einen verbrecherischen Angriffskrieg ins Werk setzte. Nicht wenige von ihnen wurden in den nachfolgenden Jahren als "Wehrkraftzersetzer" ins Zuchthaus gebracht, im KZ gefoltert, vom Volksgerichtshof abgeurteilt oder direkt ermordet. Der Kreis dieser Menschen war von einem guten und klaren Geist erleuchtet.

Die deutschen katholischen Bischöfe gehörten - mit Ausnahme des Berliner Oberhirten Konrad von Preysing - nicht dazu. Sie assistierten ab September 1939 dem Hitlerkrieg, zumeist bis hin zum bitteren Ende. - Hitlers Pakt mit dem "gottlosen Stalin" wurde schweigend hingenommen, der deutsche Völkermord in Russland keine zwei Jahre später als heiliger Kreuzzug zur Rettung des Abendlandes gepriesen.

Der Theologe Heinrich Missalla (1926-2018) hat in mehreren Projekten die Kriegsbeihilfe der deutschen Apostelnachfolger erforscht. Vor einer Woche ist ein Brief, den er kurz vor seinem Tod an die heutigen Kirchenleiter im Land geschrieben hat, veröffentlicht worden: "Bischöfe, haben Sie endlich den Mut zur Wahrheit!"

Für den 80. Jahrestag erwartete Heinz Missalla, dass die Kriegsbeihilfe-Schuld deutscher Bischöfe in der NS-Zeit ohne die üblichen Beschönigungen zur Sprache kommt. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt.

In Polen begann der Rasse- und Vernichtungskrieg

Erzbischof Stanisław Gądecki, Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz, und Kardinal Reinhard Marx schreiben in einem gemeinsamenWort: "Am 80. Jahrestag des Kriegsbeginns erinnern wir uns an sechs Millionen Polen, darunter drei Millionen Juden, die Opfer des verbrecherischen Nazisystems wurden." Der deutsche Rasse- und Vernichtungskrieg begann nicht erst im Juni 1941 mit dem Russlandfeldzug, sondern am 1. September 1939 in Polen.

Die brutale Aneignung der Lebensgrundlagen anderer Menschen wurde den Rekruten der Wehrmacht nach Plan zuerst in Polen beigebracht. Die deutschen Angreifer beschränkten sich von Anfang nicht auf das beim Militär übliche Mordhandhandwerk, sondern vernichteten in kurzer Zeit das Leben von Zehntausenden Zivilisten, darunter gezielt die jüdischen Polen, Angehörige der "polnischen Intelligenz" (gemäß vorbereiteter Listen) und auch kranke oder "behinderte" Menschen.

Oft deklarierte man schon 1939 die zivilen Opfer zu "Partisanen", um das systematische Morden zu verschleiern. Tausende wehrlose Soldaten ohne Waffen wurden abseits von eigentlichen Kampfschauplätzen abgemetzelt. Die Massenmörder kamen nicht nur aus den Kommandos von SS, SD, SiPo und "Zivilverwaltung", sondern in großem Umfang aus der Wehrmacht.

Die Menschen in Polen erkannten nach alldem schon 1939 den Plan der deutschen Herrenmenschen: Ihr Volk sollte zum Großteil ausgelöscht, zum verbliebenen Teil aller Menschenrechte beraubt und versklavt werden. Nicht ein Vertreter der deutschen Christenheit, sondern ein einsam dastehender Wehrmachtskommandeur wie Johannes Blaskowitz versuchte, dem genozidalen Terror in Polen auf dem Dienstweg entgegenzutreten.

Hitler befand unter Zustimmung seiner Generäle, mit "Heilsarmee-Methoden" könne man keinen Krieg führen. Damit war für deutsche Militaristen und Patrioten jeglicher Couleur alles hinreichend "erklärt". Der NS-Staat trug - von Anfang an - Sorge für die Straffreiheit all seiner Massenmord-Handlanger.

Glockengeläut nach Massenmorden an Priestern

Ein eigenes geistiges, kulturelles oder religiöses Leben gehörte nicht zum NS-Plan für die Versklavung der Polen. Als im Oktober 1939 auch von den katholischen Kirchentürmen in Deutschland - gemäß Bistumsanweisungen - tagelang Siegesläuten erklang, hatte man schon hunderte polnische Geistliche förmlich abgeschlachtet.

Insgesamt sind ab Kriegsbeginn mehr als 2.100 röm.-kath. Kleriker (ein Fünftel aller Diözesanpriester, darunter vier Bischöfe) sowie darüber hinaus etwa 750 Ordensleute beiderlei Geschlechts aufgrund der Verfolgung umgekommen. (Im KZ Dachau z.B. fanden mehr als 90 deutschsprachige Priester den Tod, aber nahezu zehnmal so viele polnische Geistliche. Die Hälfte von fast 1.800 polnischen Geistlichen im Priesterblock kam um.) In Vernichtungslagern haben rund fünftausend polnische Weltgeistliche und Ordensmitglieder überlebt.

Im Herbst 1939 wurden allein in der Diözese Chelm (Kulm) 214 Priester ermordet, darunter das gesamte "greifbare" Domkapitel. Der Oblatenpater Friedrich Lorenz wurde als Divisionspfarrer der Wehrmacht Zeuge der Mordaktionen und hat nach Ausweis des deutschen Martyrologiums "viele von diesen polnischen Amtsbrüdern auf den Tod vorbereiten müssen".

Eigens reiste er nach Berlin, um leider ausgerechnet zwei ausgewiesenen Faschisten, dem päpstlichen Nuntius Cesare Orsenigo und dem röm.-kath. Feldbischof Franz Justus Rarkowski, Bericht über die Verhältnisse in Polen zu erstatten. Die deutsche und vatikanische Kirchenobrigkeit war also informiert, aber offenbar nicht nachhaltig erschüttert. (Pater Friedrich Lorenz selbst mochte sich hingegen mit dem Hitlerregime nicht mehr arrangieren und kam am 13.11.1944 schließlich wegen "Wehrkraftzersetzung und Feindesbegünstigung" unter das Fallbeil.)

Pius XII. und die polnischen Katholiken

Gemeinhin wird leichtfertig vermerkt, der am 2. März 1939 zum Papst gewählte Eugenio Pacelli (Pius XII.) habe den deutschen Überfall auf Polen scharf verurteilt. Doch am 25.9.1939 schreibt dieser Papst den deutschen Bischöfen einen Brief und teilt ihnen seine Kriterien für die Auswahl der römisch-katholischen Militärgeistlichen in der Wehrmacht mit.

In Frage kommen "hervorragende Priester", von "übernatürlichem Geist erfüllt", die dafür sorgen, dass die "Soldaten im Stand der heiligmachenden Gnade leben und, wenn es so kommt, sterben", und gleichzeitig selbst in ihrer aufopferungsvollen "Hingabe für das Vaterland" allen vorangehen. Die weltkirchliche Order des Eugenio Pacelli lautete also nach dem Überfall auf Polen, man müsse sich dem deutschen Vaterland hingegeben, selbst wenn es vom Teufel geführt wird.

Wie sehr viele Polen an diesem unseligen Papst verzweifelten, erahnt man nach Lektüre des IV. Kapitels von Pierre Blets - recht apologetischem - Werk "Papst Pius XII. und der Zweite Weltkrieg". Der Botschafter Frankreichs bittet am 11. September 1939 um eine Verurteilung des deutschen Überfalls. Pius XII. weicht aus und hält am 30.9.1939 vor der polnischen "Kolonie" in Rom eine letztlich nichtssagende Lobrede auf das kirchentreue und heroische Polen. Sehr viel mehr erfährt man auch nicht in der Antrittsenzyklika, in welcher immerhin das "Blut ungezählter Menschen, auch von Nichtkämpfern" zur Sprache kommt.

Das oberste Dogma dieses Papstes ist "Diplomatie" (also Verklausulierung). Deshalb wird er die Leiden der Opfer des deutschen Terrors nie so benennen, dass die Mordverbrechen und die Täter einen - für jeden verständlichen - Namen bekommen. Schon in der Zeit eines guten vatikanischen Informationsstandes hinsichtlich der Lage in Polen weiß Pius XII. selbst, dass er eigentlich feurige Worte aussenden müsste. Sogleich aber fügt er seine Lieblingserklärung für päpstliches Schweigen hinzu: Klartext würde nur den Opfern schaden.

Hierzu vermerkt der ins Exil getriebene Bischof Carl Radonski von Wlozlawek am 15.2.1943 nach langwierigen und vergeblichen Bitten: "Die Tatsachen beweisen, dass die Verfolgungen jeden Tag grausamer werden, auch wenn der Papst schweigt." Im Juni 1943 beklagt Pius XII. das "tragische Schicksal des polnischen Volkes" und verurteilt bestimmte "Akte" - "wer auch immer die Verantwortlichen sind". Nein, Verantwortliche nennt er nicht gerne beim Namen, wenn sie mächtig sind. Immer schön neutral bleiben …

Schon am 2.8.1941 hatte Kardinal Augustyn Hlond berichtet: "Man hört die Polen darüber klagen, dass der Papst nicht gegen das Verbrechen protestiert, wenn die Deutschen 3.000 Priester in den Konzentrationslagern sterben lassen (…), wenn man Hunderte von Priestern (…) ohne einen Hauch von eigenem Verschulden erschießt."

Zunächst scheut der - erwiesenermaßen deutschenfreundliche - Papst noch davor zurück, die durch Vertreibung verwaisten polnischen Bistümer von deutschpatriotischen Nachbarbischöfen mit verwalten zu lassen. Doch Ende 1939 macht er z.B. den Danziger Oberhirten Carl Maria Splett zum Administrator des durch über 200 Priestermorde niedergemachten Bistums Chelm (Kulm).

Auf Druck der deutschen Besatzer verbietet Splett, der 1939 ein "Volkstum-Bekenntnis" abgelegt hat, die polnische Sprache in Liturgie, Predigt, Kircheninschriften und Beichtsakrament. Allzu verständnisvolle Chronisten sollten zumindest versuchen, dies einmal mit den Augen polnischer Katholiken und im Licht der Massaker an polnischen Geistlichen zu sehen.

Der deutschkatholische Militärbischof verehrt Hitler als "das leuchtende Vorbild"

Hitler goss schon am 19. September 1939 den Sieg über Polen in biblische Sprache: "Mit Mann und Ross und Wagen hat der Herr sie geschlagen." Als Leuchtgestalt war der Führer selbst vom röm.-kath. Militärbischof Justus Rarkowski am 1. September den deutschen Waffenträgern vor Augen gestellt worden:

Kameraden! In ernster Stunde, da unser deutsches Volk die Feuerprobe der Bewährung zu bestehen hat und zum Kampfe um seine natürlichen und gottgewollten Lebensrechte angetreten ist, wende ich mich als Katholischer Feldbischof der Wehrmacht an euch Soldaten, die ihr in diesem Kampf in der vordersten Front steht und die große und ehrenvolle Aufgabe habt, die Sicherheit und das Leben der deutschen Nation mit dem Schwerte zu schützen und zu verteidigen. (...) Jeder von euch (...) sieht bei diesem Einsatz vor sich das leuchtende Vorbild eines wahrhaften Kämpfers, unseres Führers und Obersten Befehlshabers, des ersten und tapfersten Soldaten des Großdeutschen Reiches, der sich nunmehr bei euch an der Kampffront befindet. Unvergesslich wird uns allen jener 1. September bleiben, da das ganze Volk vor ihm zum feierlichen Appell antrat. (...) So steht vor euch in hellem Glanze das Beispiel des Führers. (...) Der tapfere Aufblick zum Allmächtigen macht euch zu Soldaten, die unüberwindlich sind.

Militärbischof Justus Rarkowski

Einige weitere militärbischöfliche Textbeispiele mit unverkennbarem Nazi-Duktus sind in der frei abrufbaren Arbeitshilfe zum 80. Jahrestag des Überfalls auf Polen nachlesbar. Dort kann man sich exemplarisch auch mit dem Liedgeschmack der nominell als christlich, ja sogar als weltkirchlich-katholisch geltenden Militärkirche unter Rarkowski und Werthmann vertraut machen. Mit neuem "zeitgemäßen Ton" wird 1939 Maria, die Mutter Jesu, um Beistand angefleht:

Wir grüßen dich im Schlachtgesang, vom Tode rings bedroht,
mit Trommelschlag und Schwerterklang und Fahnen blutigrot.
O segne uns im Streite. Maria, Maria, Maria, uns’re Königin. (...)
Im Donner der Kanonen, Maria, Maria (...),
erbitt’ uns Siegeskronen.

Und das feierliche Tedeum ("Großer Gott wir loben dich!") hat anlässlich des Angriffskriegs gegen die besonders marianischen Polen folgenden deutschen Gipfelpunkt verpasst bekommen:

Dort, wo unsre Fahnen wehn,
sei’s zu Lande, sei’s zu Meere,
laß die Treue Schildwach stehn,
sei uns selber Waff’n und Wehre.
Losungswort ist allzugleich:
"Treu zu Führer, Volk und Reich!"

"Gerechter Krieg" oder gottbefohlene Teilnahme am "ungerechten Krieg"?

Mit Ausnahme der Berliner Bistumsleitung predigten alle deutschen Bischöfe beim Überfall auf Polen den Gläubigen, sie müssten gemäß Gottes Willen der nationalsozialistischen Kriegsobrigkeit Gehorsam leisten. Der Hildesheimer Bischof Joseph Godehard Machens z.B. war weit davon entfernt, ein Nazi zu sei. Er rief am 3. September 1939 den Getauften zu: "Ein Krieg ist ausgebrochen, der uns alle, Heimat und Front, Wehrmacht und Zivilbevölkerung, vor die gewaltigsten Aufgaben stellt. Darum rufe ich euch auf: Erfüllt eure Pflicht gegen Führer, Volk und Vaterland!"

Andere Oberhirten, vor allem die militaristischen Bischöfe Clemens August von Galen (Münster) und Conrad Gröber (Freiburg), zeigten offen ihre Genugtuung darüber, dass Hitler jetzt da weitermachte, wo der Weltkrieg 1914-1918 durch angeblichen Verrat etc. und "Siegerwillkür" geendet hatte.

Zu den bischöflichen Kriegsvoten ab 1939 ist gleichwohl oft angemerkt worden, sie zeugten von keiner Begeisterung und brächten auch nicht den maßgeblichen Topos des "Gerechten Krieges" ins Spiel. Wenn die Bischöfe aber nicht von einem sog. "gerechten Krieg" ausgegangen sind, dann wäre das moraltheologische Irrenhaus perfekt. Dann nämlich hätten sie auch nach scholastischen Prinzipien auf keinen Fall den Gläubigen den Militärgehorsam und Kriegseinsatz als Gottespflicht predigen dürfen.

Jede Kriegstheologie läuft auf eine Höchstform der geistigen Leistungsverweigerung hinaus. Das gilt besonders für einen zweiten von deutschen Bischöfen benutzten Topos: Der Hitlerkrieg soll eine Strafe Gottes für Gottlosigkeit gewesen sein. Wie das nun? Gott straft die Menschen mit einer gottlosen, kriegsverbrecherischen Nazi-Obrigkeit und obendrein dann noch mit einem - bischöflich vermittelten - Befehl, für diese gottlose Obrigkeit pflichtgemäß andere Menschen zu ermorden und also selbst zu Massenmördern zu werden?

In einer nichtöffentlichen Erklärung vom 15.9.1940 ließ Kardinal Bertram u.a. mitteilen, die Kirche bejahe "den gerechten Krieg, insbesondere zur Sicherung von Staat und Volk" und bete "um einen siegreichen (!) Ausgang dieses jetzt brennenden Krieges in einem für Deutschland und Europa segensreichen Frieden". Widerspruchsfrei ist hier nur eine einzige Exegese möglich: Der Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz betrachtete den Hitlerkrieg expressis verbis doch als einen gerechten Krieg.

Der päpstliche Nuntius Orsenigo, den der Benediktinerabt Burkard Utz 1941 zutreffend als Faschisten bezeichnet hat, war sehr zufrieden mit der bischöflichen Kriegsassistenz in Deutschland. Er führte aber Klage, dass so viele einfache Gemeindepfarrer hierbei gar nicht mitziehen wollten.

Bischöfe für den "völkischer Daseinskampf"?

Dem Staats- und Militärprotestantismus war die nationalreligiöse Verdrehung der christlichen Botschaft gleichsam in die Wiege gelegt, und die Abscheulichkeiten, die etwa eine "deutsch-lutherische Schöpfungstheologie" hervorgebracht hat, sind unerträglich. In Zeiten der Staatsferne hatten die deutschen Katholiken hingegen noch erstaunliche militarismuskritische Potenzen unter Beweis gestellt. Doch spätestens ab 1900 lautete auch bei ihnen die Devise: "Lasst euch von niemandem übertrumpfen, wenn es um das Vaterländische geht!" Die blasphemischen Kriegspredigten 1914-1918 sind zumindest den Historikern und Theologen bekannt.

Bezogen auf den Fundus der bischöflichen Kriegsvoten ab 1939 ist ein hochexplosiver Komplex bislang noch gar nicht wahrgenommen worden. Mitte der 1930er Jahre zeugten im "Heiligen Offizium" interne Vatikangutachten von einem erstaunlichen Problembewusstsein bezogen auf die völkische Kriegsideologie des NS-Rassenstaates.

In Deutschland aber hatte schon 1933 der rechtsradikale Priester Rudolf Graber (später Regensburger Bischof 1962-1982) die Deutschen als neues auserwähltes Volk - statt Israel - charakterisiert, bestimmt dazu, als "das Volk der Mitte" die Welt zu beherrschen. Der prominente katholische Moraltheologe Otto Schilling behauptete 1934 ein angebliches Recht des deutschen Volkes auf "erweiterten Lebensraum". Sind solche häretischen Voten vielleicht der Schlüssel zu manchen Bischofsworten? Was steckt hinter Kardinal Bertrams "gerechten Krieg, insbesondere zur Sicherung von Staat und Volk"?

Militärbischof F.J. Rarkowski bezeichnet am 1.9.1939 schon den Überfall auf Polen als Kampf des deutschen Volkes "um seine natürlichen und gottgewollten Lebensrechte". Auch für Bischof Hilfrich von Limburg geht es um die "Existenz unseres Volkes" (18.2.1940). Der Paderborner Erzbischof Caspar Klein wünscht von seinen Priestern und Theologen, dass sie "die Entschlossenheit und Geschlossenheit unseres Volkes bei dem Kampf um seine Existenz" unterstützen (29.9.1940). Sein Nachfolger, der deutschnationale Militarist Lorenz Jaeger, wird 1943 zur letzten Fuldaer Bischofskonferenz vor Kriegsende proklamieren, die deutschen Bischöfe und ihre deutschen Kirchenuntertanen seien "eines Blutes" (sprich: Arier)!

Der ostpreußische Bischof Maximilian Kaller will in freudigem Bekenntnis zur "deutschen Volksgemeinschaft" und "mit der Teilnahme unseres ganzen Herzens den großen Kampf unseres Volkes um Sicherung seines Lebens und seiner Geltung in der Welt" durchleben (1.2.1941). - Ich behaupte: Die bislang unterbliebene kirchenhistorische Analyse wird zeigen, dass die "deutschkatholischen" bischöflichen Kriegsvoten in nicht wenigen Fällen mit der völkischen Doktrin sehr viel, mit der Botschaft des Jesus von Nazareth aber gar nichts mehr zu tun hatten.

Die Steigerung 1941: "Heiliger Krieg" gegen den Bolschewismus

Bezogen auf den deutschen Vernichtungskrieg gegen Russland mit weiteren 27 Millionen Mordopfern fallen die Hirtenworte dann noch eindeutiger aus. Jetzt predigen die deutschen Bischöfe einen "heiligen Krieg" und erklären gemeinsam: "Mit Genugtuung verfolgen wir den Kampf gegen die Macht des Bolschewismus, vor dem wir deutschen Bischöfe in zahlreichen Hirtenbriefen vom Jahr 1921 bis 1936 die Katholiken Deutschlands gewarnt und zur Wachsamkeit aufgefordert haben." (Denkschrift, 10.12.1941)

Der Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger meint, die Menschen in Russland seien irgendwie auf eine Stufe von Tieren herabgesunken. Der Augsburger Bischof Joseph Kumpfmüller erlässt am 22.9.1941 folgendes Hirtenwort:

Heute bedroht eine andere, nicht minder schreckliche Gefahr die ganze menschliche Gesellschaft, der sogenannte Bolschewismus. Dagegen kämpfen unsere tapferen Soldaten im Osten (...). Wir alle wünschen nichts sehnlicher als ihren baldigen, endgültigen Sieg über die Feinde unseres Glaubens. Ahmt daher das Beispiel unserer christlichen Vorfahren nach, die mit dem Rosenkranz in der Hand die Türkengefahr siegreich abwehrten! Unterstützt die Waffen unserer Soldaten mit Euren gemeinsamen Gebeten!

Joseph Kumpfmüller

Militärgeistliche, die nachweislich Augenzeugen und Chronisten der Mordverbrechen in Russland geworden sind, erklären hernach unverdrossen, sie würden ihrem Fahneneid auf Hitler auch noch weitere Jahre treu bleiben, um dem "deutschen Heldentum" die heiligen Weihen angedeihen lassen. Hitlers Kriegsapparat ist von konservativen, deutschnationalen und NS-nahen Priestern oder Bischöfen, von bekennenden und deutschchristlichen Pastoren gestützt worden.

Die spitzfindigen Apologeten der kirchlichen Selbstlobkollektive übersehen einen entscheidenden Punkt: Für die Opfer in Polen, Russland und anderen Ländern sind die unterschiedlichen vaterländischen Ausrichtungen der Assistenten des Vernichtungskrieges nicht von Belang gewesen. So oder so waren Millionen Tode das Ergebnis.

"Manipulierte Erinnerung" nach 1945

1945 kehren Hunderttausende, nein Millionen Wehrmachtssoldaten als zerbrochene Menschen zurück, können mit ihren eigenen Mordtaten nicht fertig werden und bleiben dann zeitlebens Fremde in der eigenen Familie. Die deutschen Bischöfe predigen den Menschen am 23. August 1945 nunmehr:

Furchtbares ist schon vor dem Kriege in Deutschland und während des Krieges durch Deutsche in fremden Ländern geschehen. Viele Deutsche, auch aus unseren Reihen, haben sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus betören lassen, sind bei Verbrechen gegen menschliche Freiheit und menschliche Würde gleichgültig geblieben, leisteten durch ihre Haltung Vorschub den Verbrechen, viele sind selbst Verbrecher geworden.

Deutsche Bischöfe

Aus "unseren Reihen", damit sind die einfachen Katholiken gemeint, nicht etwa die mit Heiligem Geist geweihten Bischöfe. Dass sie über fünf Jahre lang die Gläubigen unter höchsten Beschwörungen dazu verpflichtet hatten, in Gehorsam gegenüber dem Herrn "gottgewollte Staatsobrigkeit Adolf Hitler" sich aufopferungsvoll einem massenmörderischen Kriegsapparat einzufügen, das wollen die Oberhirten jetzt lieber - nebst vielem anderen - vergessen.

Mit den Märtyrern der Kirche von unten, um die sich 1933-1945 kaum ein Ortsbischof ernsthaft gekümmert hat, schmücken die Hirten alsbald ihre Gewänder. Die Bischöfe, das sind die moralischen Wegweiser der Adenauer-Republik. Sie sorgen dafür, dass Remilitarisierung als oberste Christenpflicht bekannt wird. Sie bestellen positive theologische Gutachten für Adenauers Atombombenpläne. Sie nennen - wie gehabt - die Kriegsdienstverweigerer Irrgeister und Lästerer des göttlichen Gebotes.

Verlorene Schafe mit eingebräunter Wolle bekommen aber viel Pflege. Keines von ihnen darf verloren gehen. Auch der nationalistische Generalvikar der Wehrmacht kann problemlos wieder Generalvikar der neuen Bundeswehr werden.

Noch 1945 hat sich dieser katholische Militärgeneralvikar, der werte Prälat Werthmann, damit gebrüstet, dass beim Überfall auf das katholische Polen alles schon perfekt auf Krieg gerüstet war: die Personalplanung der Militärkleriker, das mit Führergehorsam erstellte Militärgebetbuch, die heilige Fahneneid-Katechese … und auch die mobilen Messkoffer für das Schlachtfeld. Denn Soldaten müssen, so war es immer im Abendland, fleißig beichten und den Leib der eucharistischen Speise empfangen, bevor sie Menschenleiber zerfetzen und später oft als Wesensverwandelte in Psychiatrien eingeliefert werden.

Antikriegstag 2019: Warum kommt es nicht zu einem Hirtenwort von historischem Format?

Im Jahr 2010 reiste der damalige Aachener Heinrich Mussinghof nach Polen. Er sagte, was wegen der Doktrin einer angeblich besonderen Geistbegabung von Mitra-Trägern bis dahin noch kein deutscher Bischof gesagt hatte:

Die deutschen Bischöfe haben diesen Angriffskrieg auf das katholische Land Polen nicht laut verurteilt, vielmehr war in Botschaften an die Soldaten stattdessen von Pflichterfüllung, Opfersinn und Treue die Rede. Beim Sieg über Polen und den folgenden Triumphen der deutschen Wehrmacht läuteten auch an katholischen Kirchen die Glocken. Diese eigene Schuld müssen wir als deutsche Kirche heute bekennen ...

Heinrich Mussinghof

Faktum ist: Die deutschen Bischöfe der Jahre 1933-1945 sind fast ausnahmslos irregegangen und haben Millionen Gläubige irregeführt, nicht in einer nebensächlichen Angelegenheit, sondern in einer Frage, die das Leben von zig Millionen Menschen betraf. Danach ist es kaum noch vorstellbar, Anschauungen zum Bischofsamt aus der ideologischen Kirchenlehre des 19. Jahrhunderts mit gutem Gewissen aufrechtzuerhalten.

Gerade deshalb war eher nicht damit zu rechnen, dass die deutsche Bischofskonferenz in diesem Jahr dem Aufruf von Heinrich Missalla nachkommt und endlich die Wahrheit über die Schuld der Vorgänger im Apostelamt zum Ausdruck bringt.

Sind zumindest die polnischen und deutschen Ortsbischöfe heute einander wirklich brüderlich verbunden?

Ein großes Wort, mehr als die übliche Prälaten-Diplomatie, ist erwartet worden und ausgeblieben. Auch ein gemeinsames polnisch-deutsches Hirtenwort hätte visionär ausfallen können, indem es etwa über das selbstverständliche Bekenntnis zu Europa hinaus eine Zivilisationsperspektive unserer Gattung ohne das selbstmörderische Programm des Militärischen und der hyperaggressiven Ökonomie erhellt. Jedoch: Fehlanzeige.

Mit dem Überfall auf Polen begann der bislang abgründigste Völkermord der ganzen Geschichte. Auftrag aller Bischöfe bleibt es, dass sie - eingedenk der Shoa und der kommenden Barbarei - am 80. Jahrestag jenen "Lebensnerv des Katholischen" zur Sprache bringen, der Pius XI. (gestorben am 10.2.1939) in seinen letzten Lebensmonaten mehr als alles andere bewegte: Das Bekenntnis zur Einheit der menschlichen Familie auf diesem Planeten.

Literaturhinweise:

Bürger, P.: "Erfüllt eure Pflicht gegen Führer, Volk und Vaterland!" Römisch-katholische Kriegsvoten aus den deutschen Bistümern und der Militärkirche. Arbeitshilfe zum 80. Jahrestag des Überfalls auf Polen. Düsseldorf, 28.08.2019. Internetressource: Lebenshaus Schwäcbische Alb

Missalla, Heinrich: Erinnern um der Zukunft willen. Wie die katholischen Bischöfe Hitlers Krieg unterstützt haben. Oberursel: Publik-Forum 2015.

pax christi (Hg.): Es droht eine schwarze Wolke. Katholische Kirche und Zweiter Weltkrieg. Bremen: Donat Verlag 2018.

Schmidt, R. / Nauerth, Th. / Engelke, M. / Bürger, P. (Hg.): Im Sold der Schlächter. Texte zur Militärseelsorge im Hitlerkrieg. Norderstedt 2019

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Inhalt geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.