Die Dunkle Energie ist tot - es lebe Einstein

Seite 2: Einsteins beste Idee

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Fairerweise muss man sagen, dass diese Version der Allgemeinen Relativitätstheorie, obwohl es Einsteins erster Gedanke dazu war (Einsteins verlorener Schlüssel), erst von dem amerikanischen Astrophysiker Robert Dicke ganz richtig formuliert wurde. Dicke beschrieb in einer Veröffentlichung von 1957 eine revolutionäre Konsequenz daraus (man beachte, dass Einstein 1911 noch nichts von Galaxien wissen konnte!).

Dicke erklärte die Rotverschiebung des Galaxienlichts als direkte Folge einer abnehmenden Lichtgeschwindigkeit - in voller Übereinstimmung mit Einsteins Formel aus dem Jahr 1911. Die seit den Zeiten von Edwin Hubble angenommene Expansion des Universums wäre daher nur scheinbar, Galaxien würden sich im Mittel nicht bewegen.

Originalzitat aus Dickes Veröffentlichung in Review of Modern Physics 29, S. 374: "matter is on average on fixed position", eine alternative, geradezu revolutionäre Interpretation der kosmologischen Rotverschiebung.

Ist die Expansion nur scheinbar?

In Dickes Modell gibt es nicht den geringsten Grund, dass eine Expansion, die gar nicht existiert, abgebremst sein sollte, so wie es die Kosmologen seit 80 Jahren annehmen. Die der Abbremsung überlagerte Beschleunigung der Expansion, die 1998 postuliert worden war, um die damaligen Beobachtungen zu rechtfertigen, wird demnach ebenfalls überflüssig.

Die Vermutung, dass entfernte Galaxien weder beschleunigt noch gebremst sind, wurde schon verschiedentlich geäußert, etwa von Fritz Zwicky, einem Pionier der Galaxienforschung.1 Bemerkenswert ist, dass die Daten offenbar so eindeutig sind, dass ein dem Standardmodell so eklatant widersprechendes Resultat in der Zeitschrift "Nature" erscheint.

Es sei hier bemerkt, dass die Entdeckung der 1990er Jahre und der dafür 2011 vergebene Nobelpreis natürlich ihre Berechtigung behalten, nicht nur weil eine neue Methode der Entfernungsmessung entwickelt wurde, sondern auch, weil sich damals zum ersten Mal zeigte, dass mit dem herkömmlichen Expansionsmodell etwas nicht stimmte. Die allerneuesten Daten besagen lediglich, dass die Interpretation als Beschleunigung bzw. "Dunkle Energie" voreilig war. Nicht eine zusätzlich komplizierende Annahme, sondern eine radikal einfache Konsequenz wäre zu ziehen: Das Universum expandiert nur scheinbar, und diese scheinbare Expansion ist weder gebremst noch beschleunigt.

Die Alten wussten Einiges

Es ist auch erwiesen, dass sich mit dieser Idee, die auf das Machsche Prinzip verweist (Einsteins verlorener Schlüssel), auch die Nobelpreisträger Paul Dirac und Erwin Schrödinger befasst hatten, ohne voneinander zu wissen, was dem Gedanken doch eine gewisse Autorität verleiht.

Leider haben in der gegenwartsfokussierten Physik die Ansichten ihrer Gründerväter nicht immer das angemessene Gewicht. So kann man auf einen nicht sonderlich intelligenten Einwand schon warten: Die Dunkle Energie sei ja später auch in allen möglichen anderen Daten aufgetaucht. Dass mit einer frei wählbaren "dunklen" Größe jeder Datensatz zunächst besser beschrieben werden kann, wird dabei gerne ausgeblendet. Zweifellos äußert sich diese Beobachtungsanomalie an verschiedenen Stellen in ähnlicher Weise, nur muss man bei der Ursachenforschung noch weiter in die Vergangenheit zurück als bisher.

Das soziologische Problem im heutigen Wissenschaftsbetrieb wird sicherlich sein, dass man nicht nur ein seit 1990 etabliertes Modell aufgeben müsste, sondern ein Paradigma, das seit 1930 feste Überzeugung praktisch aller Experten ist. Es bleibt abzuwarten, wie viele Kosmologen dieser Grausamkeit ins Auge sehen wollen.

Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch "Vom Urknall zum Durchknall" wurde 2010 von "Bild der Wissenschaft" als Wissenschaftsbuch des Jahres ausgezeichnet. Zum Thema des Artikels veröffentlichte er im November 2015 das Buch "Einsteins verlorener Schlüssel - Warum wir die beste Idee des 20.Jahrhunderts übersehen haben".

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